Süddeutsche Zeitung

Prozess um mutmaßlichen Mord:Rätsel um zwölf vergoldete Dosen

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Von Maximilian Gerl, München/Kreuth

Die Sache hat damals viele bewegt am Tegernsee. Inzwischen bewegt sie vor allem die Justiz. Hat eine vierköpfige Diebesbande das Haus einer Seniorin ausgeräumt? Und wurde die Frau umgebracht, um die Tat zu vertuschen? Seit dem 19. Januar läuft am Landgericht München II der Prozess um den Tod der Millionärin Barbara B. aus Kreuth. Erst war ein Urteil für Ende April, dann für Ende Mai erwartet worden. Doch neue Fragen, Anträge und Zeugen machten zusätzliche Verhandlungstage nötig. Diesen Montag kommt der 21. hinzu. Wieder könnte eine Entscheidung fallen - oder auch nicht.

Die ehemalige Kunsthändlerin war am Tegernsee als Betty B. weit bekannt; als manchmal schwierige, aber großzügige Dame. Ihr Tod sorgte 2016 für Aufsehen. Die Staatsanwaltschaft listet in ihrer Klageschrift 705 Objekte in einem Gesamtwert von 1,1 Millionen Euro auf, die der Seniorin über Wochen gestohlen worden sein sollen. Auch eine Drahtzieherin hat sie ausgemacht, ihre Gesellschafterin. Sie habe die Diebstähle organisiert und die 95-Jährige mit einer Decke oder einem Kissen erstickt, als diese auf der Palliativstation eines Krankenhauses lag. Der Hausmeister und ein Freund von Betty B., ein Antiquitätenhändler, sollen bei den Diebstählen geholfen haben. Der Ehemann der Gesellschafterin steht wegen Vorteilsnahme vor Gericht.

Bald zeigte sich: Die Sache ist kompliziert. Unklar ist zum Beispiel die Todesursache. Das mutmaßliche Opfer stand zuletzt unter Vormundschaft und lebte in einem Seniorenstift. Der medizinische Gutachter sagte, er habe bei der Obduktion "hochverdächtige Befunde" festgestellt, die für eine Erstickung sprächen - sicher nachweisen könne er die aber nicht. Tatsächlich war Betty B. erst wenige Tage vor ihrem Tod ins Krankenhaus verlegt worden, wegen ihres schlechten Gesundheitszustands. Der lässt auch eine natürliche Todesursache möglich scheinen.

Unklar ist bisweilen auch, wer wann welchen Gegenstand warum besaß. So mühte sich das Gericht einen Vormittag um zwölf teils vergoldete Dosen. Sie hatten der Millionärin gehört, befanden sich aber zuletzt im Besitz des angeklagten Antiquitätenhändlers. Dieser hatte bereits zu Verhandlungsbeginn erklären lassen, nichts mit einem Bandendiebstahl zu tun zu haben. "Ein Vertrauter" von Betty B. sei er gewesen, gab seine Tochter später im Zeugenstand zu Protokoll: Sogar Weihnachten habe man zusammen gefeiert. Deshalb habe ihr Vater der Millionärin auch insgesamt mehr als 12 000 Euro geliehen, als diese nicht mehr frei über ihre Finanzen verfügen konnte. Als Sicherheit habe er von ihr unter anderem die Dosen erhalten. Eine Quittung habe er nicht ausgestellt. "Ich geh' wieder nach Hause nach Kreuth", soll die Seniorin zu ihm gesagt haben, "das ist ja wie im Gefängnis hier".

Das Verfahren selbst verläuft für den juristischen Laien ungewohnt. Normalerweise werden Plädoyers erst zum Abschluss gehalten. Im Kreuther Mordprozess aber plädierten die Staatsanwaltschaft und zwei Verteidiger bereits. Danach beschloss das Gericht, noch neue, möglicherweise entscheidende Zeugen zuzulassen. Das führt zu einem sogenannten Wiedereintritt in die Verhandlung: Trotz gehaltener "Schlussvorträge" wird die Beweisaufnahme erneut aufgenommen. In ihrem Plädoyer berief sich die Staatsanwaltschaft auf eine Indizienkette, um die Mordthese zu stützen. Demnach habe die Gesellschafterin ihre Schulden in Höhe von 160 000 Euro mit dem Diebesgut begleichen wollen. Sie habe nachweislich als Letzte die alte Dame lebend angetroffen, ja deren Beerdigung schon organisiert, da sei sie offiziell noch gar nicht verstorben gewesen. Um Betty B. zu töten, habe ein leichter Druck mit einem Kissen genügt: "der perfekte Mord". Der Verteidiger der Gesellschafterin indes widersprach dem Mordvorwurf: Wozu eine im Sterben Liegende töten? Wegen Diebstahls beantragte er dreieinhalb Jahre Haft für seine Mandatin. Der Anwalt des Kunsthändlers forderte einen Freispruch.

Für diesen Montag sind zunächst zwei Zeugen geladen. Vielleicht können sie erhellen, wer wann welche Gegenstände warum besaß. Danach könnte wieder plädiert werden und sogar ein Urteil gefällt werden - oder auch nicht.

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Quelle:
SZ vom 04.06.2018
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