Prozess um Guru von Lonnerstadt:"Nur noch Haut und Knochen"

Prozess gegen Sekten-Guru aus Lonnerstadt

Vor dem Landgericht Nürnberg muss sich der sogenannte Guru von Lonnerstadt verantworten.

(Foto: dpa)

Es geht um den Vorwurf der Misshandlung von Schutzbefohlenen: In Nürnberg müssen sich der sogenannte "Guru von Lonnerstadt" und seine Frau verantworten. Vor dem Landgericht werden zwei Welten gezeichnet.

Von Katja Auer, Nürnberg

Es sind zwei Bilder, die da vor Gericht gezeichnet werden. Das eine von der liebevollen Familie, in der die Mutter mit ihren drei Kindern und dem neuen Lebensgefährten zusammenlebt. Ganz harmonisch und ohne Zwang. Möglichst selbständig sollten die Kinder aufwachsen, deswegen lebten die zwei älteren in einer eigenen Wohnung im Haus - und zwar wie sie wollten. Neue Möbel und Kleider sollen sie bekommen haben, Computerspiele, Fernseher. Trotzdem soll der Kontakt zu Mutter und deren Lebensgefährten eng gewesen sein, man mochte sich. Erzählen die einen.

Die anderen, die Kinder, zeichnen ein anderes Bild. Von einer Mutter, die ihrem neuen Mann beinahe hörig ist und sich deswegen nicht mehr für die Kinder interessiert. Die weder kocht noch wäscht für die beiden Älteren, die ganz alleine in der Wohnung im Keller zurechtkommen müssen. Beide sind sie krank, Mukoviszidose, eine schwere Lungenkrankheit. Aber weil die Mutter und ihre Lebensgefährte ihre eigene Weltanschauung vertreten, werden die Medikamente abgesetzt und Arztbesuche gestrichen. Deswegen stehen die beiden jetzt vor Gericht. Wegen Misshandlung von Schutzbefohlenen durch Unterlassen. Denn ein Sohn soll 2002, als er im Alter von 15 aus der Obhut der Mutter geflüchtet ist, nur noch knapp 30 Kilogramm gewogen haben und so schlecht versorgt worden sein, dass er irreparable Lungenschäden davongetragen hat.

Vor dem Landgericht Nürnberg sitzt ein recht gutgelaunter Mann ganz in Weiß, der sich dagegen verwehrt, als Guru bezeichnet zu werden. Seit eine WDR-Dokumentation vor knapp zwei Jahren über das Leben des Mannes und einiger Gleichgesinnter berichtet hatte, ist er als "Guru von Lonnerstadt" bekannt, er einer Sekte vorsteht, deren Anhänger sich dem einfachen Leben verschrieben haben und auch die Kinder dazu anhalten, wenig zu essen, diszipliniert zu leben und viel zu meditieren. So erzählt es der Film. Das Jugendamt entzog einige Zeit später einem im Beitrag vorgestellten Elternpaar das Sorgerecht für ihre drei Kinder.

Die beiden sind als Zeugen geladen, sie sollen aufklären helfen, was es mit der angeblichen Sekte auf sich hat. Jahrelang fuhren sie zum Meditieren zu dem befreundete Paar, der Mann, der früher einmal Software-Entwickler war, besucht die Angeklagten immer noch täglich. Dann gehe man im Internet auf die Suche "Personen, die uns positiv auffallen", sagt er. Es geht ihnen um ein gesundes Leben, erklären er und seine Frau, um Gemeinschaft und ein liebevolles Miteinander. Von einer Sekte könne keine Rede sein, überhaupt von keiner Organisation. Es handle sich lediglich um eine private Lebenseinstellung.

Über den Film sind sie immer noch empört, dem sie unter ganz anderen Voraussetzungen zugestimmt hätten. Sie fühlen sich hintergangen. Weder gebe es einen Guru noch seien sie "dumme, gehirngewaschene Jünger", sagt der Mann. Seine Frau, die als Lehrerin arbeitet, unterstützt das angeklagte Paar finanziell, früher hat eine andere Freundin den Lebensunterhalt bestritten. Freiwillig, heißt es.

Der Angeklagte lächelt freundlich, wenn solche Sachen erzählt werden. Er fragt nach, gibt Stichworte, um darauf hinzuweisen, dass ihm und seiner Gefährtin, die deutlich weniger sagt, übel mitgespielt wird. Sie vermuten offenbar den Vater der Kinder als Anstifter, er soll schon früher gegen seine Ex-Frau intrigiert haben. Stimmt gar nicht, sagt der vor Gericht, im Gegenteil, er sei jahrelang der Willkür seiner früheren Frau ausgesetzt gewesen, die ihm die Kinder lange vorenthalten habe. Er schluchzt, als er erzählt, in welchem Zustand sein Sohn gewesen sei, als er ihn 2002 endlich wieder bei sich gehabt habe: "Nur noch Haut und Knochen" sei der Bub gewesen und so schwach, dass er ihn die Treppen habe hinauftragen müssen.

"Alle drei Kinder waren andere Menschen als vorher", sagt auch die spätere Frau des Kindsvaters, die gleichzeitig betont, dass die Mutter früher sehr liebevoll und fürsorglich mit ihren Kinder umgegangen sei. Jetzt, mit dem neuen Mann, sei sie "nicht mehr der Mensch, den ich gekannt habe".

Auch die Geschwister des kranken Jungen, der heute 27 Jahre alt ist und als Nebenkläger auftritt, sagen vor Gericht aus. Die Schwester, die als erste aus dem Haus in Lonnerstadt flüchtete, findet harte Worte. "Einen Scheißdreck" habe sich die Mutter um sie und ihren Bruder gekümmert, mit ihre zu reden sei gar nicht möglich gewesen, weil der Lebensgefährte alles bestimmt habe. Auch die Lebensweise, das vegetarische Essen, die vielen Meditationen. Das Schlimmste, sagt sie, sei aber gewesen, dass sie nicht mehr mit der Mutter habe reden können. Nicht mal "Mama" habe sie noch zu ihr sagen dürfen. Der Grund dafür ist für sie der neue Freund. "Der weiß genau, wie er die Leute manipulieren kann", sagt sie.

Der jüngste Bruder schließlich, der am längsten in Lonnerstadt lebte, wollte 2005 ebenfalls weg. Heute ist er 26 und er nennt die Gemeinschaft eine Sekte. Am Anfang sei alles ok gewesen, sagt er, aber als die Geschwister dann weg waren, sei er sehr einsam gewesen. Er habe immer noch psychische Probleme und sei deswegen in Behandlung.

Es kommen Lehrer, die sich daran erinnern, dass der kranke Bub immer schlechter beieinander gewesen sei. Es kommen Leute, die mit der Familie meditiert haben und denen nicht aufgefallen ist, dass der Junge besonders dünn gewesen sein soll. Es kommt ein Apotheker, der nicht mehr genau weiß, ob und wann jemand bei ihm Medikamente zur Behandlung von Mukoviszidose besorgt hat. Der Prozess wird fortgesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: