Prozess um Babyleichen:Kinder, die nicht existieren sollten

Babyleichen-Fund - Mordprozess

Die Angeklagte Dagmar D. vor Prozessbeginn im Landgericht Hof.

(Foto: dpa)

Sie soll die Schwangerschaften verheimlicht haben, aus Angst vor dem Gerede der Leute: Einer 53-Jährigen wird vorgeworfen, zwei Babys getötet und vergraben zu haben. Nun steht die Frau in Hof vor Gericht. Doch sie schweigt - und weint.

Von Katja Auer, Hof

Sie weint immerzu. Als sie den Saal im Landgericht Hof betritt und das Gesicht in der Hand verbirgt vor den Kameras und Fotografen. Als der Richter das Verfahren eröffnet. Als der Oberstaatsanwalt die Anklageschrift verliest. Zweifacher Mord wird der 53 Jahre alten Frau im grauen Hosenanzug mit dem Holzkreuz um den Hals vorgeworfen, der erste wahrscheinlich begangen vor knapp 30 Jahren. Irgendwann zwischen 1985 und 1988 soll sie zwei Kinder zur Welt gebracht haben, ein Mädchen und einen Buben, keine Zwillinge, auf der Toilette in der eigenen Wohnung im oberfränkischen Bad Alexandersbad.

Keiner soll etwas gewusst haben von den Schwangerschaften, nicht einmal ihr Ehemann, der wohl der Vater gewesen ist. Sie soll die Schwangerschaften verheimlicht haben, weil sie keine Kinder mehr wollte, weil sie Angst hatte vor dem Gerede der Leute, der Schwiegermutter - und weil sie die Kosten fürchtete. So steht es in der Anklageschrift.

Ihre beiden Töchter sprechen ihr Mut zu

Die Frau hatte schon vier Kinder geboren, drei lebten in der Familie, eins hatte sie zur Adoption freigegeben. Es soll ein harmonisches Familienleben gewesen sein. Ihre beiden Töchter sind am Mittwoch im Gerichtssaal, sie sprechen ihr Mut zu, heben den Daumen, herzen die Mutter in der Verhandlungspause. Die weint.

Sie soll ihre zwei jüngsten Kinder auf der Toilette geboren und einfach darin liegen gelassen haben, bis sie sich nicht mehr rührten. Dann wickelte sie sie in ein Handtuch und eine Plastiktüte und vergrub sie im Vorgarten. Strafbar als Mord aus niedrigen Beweggründen, sagt Oberstaatsanwalt Reiner Laib.

Die Angeklagte weint, ihre Schultern beben, sie schüttelt den Kopf. Sagen will sie nichts. "Das ist ethisch-moralisch für sie eine miserable Situation", sagt ihr Rechtsanwalt Jürgen Schmidt in einer Pause. "Eine menschliche Tragödie."

Babyleichen wurden bei Bauarbeiten im Vorgarten entdeckt

Als sie vor knapp einem Jahr mit ihrem Mann von einem Besuch bei Bekannten in Florida zurückkehrte, nahm sie die Polizei am Flughafen in München in Empfang. Am 23. Oktober 2013 waren die stark verwesten Babyleichen zufällig bei Bauarbeiten in jenem Vorgarten entdeckt worden. Eine DNA-Analyse brachte die Ermittler auf die Spur der Frau. Woran die Kinder gestorben sind, konnte nicht mehr festgestellt werden. Die Staatsanwaltschaft geht jedoch davon aus, dass beide Kinder bei der Geburt lebensfähig waren. Seitdem sitzt die 53-Jährige in Untersuchungshaft.

Verteidiger Schmidt kritisiert, dass die Ermittler seine Mandantin unter Druck gesetzt hätten. Sie sei nicht ausreichend über ihre Rechte informiert worden und nach dem langen Flug, übermüdet und ohne Essen und Trinken, in einer psychischen Ausnahmesituation befragt worden. Sie habe zwar die Protokolle unterschrieben, aber gar nicht verstanden, was sie da tue. "Sie befand sich bei keiner Vernehmung im Vollbesitz ihrer geistigen Kräfte", sagte der Rechtsanwalt. Die Aussage dürfe deshalb nicht verwendet werden.

Ihre Kindheit war schön, bis der Stiefvater in die Familie kam

Vor Gericht will die Frau nichts sagen, auch nicht über ihre persönlichen Verhältnisse. Mit einem Psychiater hat sie gesprochen. Thomas Wenske, der stellvertretender Leiter der Klinik für forensische Psychiatrie in Erlangen, berichtet an ihrer Stelle von einem scheinbar normalen Leben und einer offenbar glücklichen Familie.

Ihre Kindheit allerdings sei nur so lange schön gewesen, bis der Stiefvater in die Familie kam, ein "finsterer Mann", wie sie ihn beschrieben habe. Er war Bierfahrer, trank am Wochenende und schlug das Mädchen mit Kochlöffel und Teppichklopfer. Die jüngere Stiefschwester, sein eigenes Kind, habe er bevorzugt, während ihr die Mutter sogar die dringend benötigten Schuhe heimlich habe kaufen müssen. Da weint die Angeklagte wieder. Ihren leiblichen Vater habe die Frau nie kennengelernt.

Beim dritten Kind war sie 22 Jahre alt

In ihrer eigenen Familie sei es dagegen sehr harmonisch zugegangen, berichtet der Psychiater. Die Angeklagte machte die Mittlere Reife, eine Ausbildung und lernte früh ihren Ehemann kennen. Sie heirateten, bekamen drei Kinder, zwei Mädchen, einen Buben, beim dritten war sie erst 22 Jahre alt. Dennoch, es habe gut geklappt, erzählt der Psychiater, die beiden hätten sich abwechselnd um die Kinder gekümmert, auch finanziell habe es keine Probleme gegeben. Als die Kinder etwas älter waren, fing sie wieder an zu arbeiten, erst im Frühstückservice in einem Hotel, dann 22 Jahre lang im evangelischen Bildungszentrum in Bad Alexandersbad. "Der Job hat ihr viel Spaß gemacht", sagt der Psychiater. Sie kümmerte sich um das Frühstück, bezog Betten und putzte Fenster. Nebenbei bildete sie sich zur Hauswirtschafterin weiter.

Ihr Ehemann fing bald nach ihr als Küchenchef im Bildungshaus an. Die Familie kaufte sogar ein altes Haus auf dem Gelände und richtete es wieder her. Der Garten war das besondere Hobby der Frau. Überhaupt die Blumen. Für ihre Gestecke im Bildungszentrum war sie viel bewundert worden, sodass sie ihre Kunstfertigkeit weitergeben wollte. Im vergangenen Jahr hätte sie noch ein Seminar für Blumendekoration im Advent abhalten sollen, das stand schon im Programm. Aber da war Bad Alexandersbad schon erschüttert. Da saß die Frau schon in Untersuchungshaft.

Der Prozess wird am Montag fortgesetzt. Zehn Verhandlungstage mit mehr als 30 Zeugen sind angesetzt.

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