Die Arbeiter waren gerade dabei, den dritten Fahrbahnabschnitt der neuen Autobahnbrücke bei Schraudenbach in Unterfranken zu betonieren. 1500 Tonnen Beton waren verteilt, verdichtet und geglättet, als das Traggerüst in sich zusammensackte, mitsamt der Schalung und dem eingefüllten Beton. 13 Bauarbeiter wurden am 15. Juni 2016 mitgerissen, zum Teil stürzten sie 22 Meter in die Tiefe. Ein Bauarbeiter aus Kroatien, ein Familienvater, kam bei dem Unglück ums Leben; drei seiner Kollegen wurden lebensgefährlich verletzt. Weitere elf Bauarbeiter zogen sich zum Teil schwere Verletzungen zu, zwei davon waren am Boden arbeitend von herabfallenden Betonteilen getroffen worden. Wer in den Tagen danach mit Bauingenieuren und Hochschullehrern gesprochen hat, hörte Ratlosigkeit. Wie kann so etwas passieren?
Drei Jahre danach versucht nun das Landgericht Schweinfurt, Licht ins Dunkel zu bringen. Drei Ingenieure sind wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körperverletzung angeklagt, einer davon durch Unterlassen. Schon der erste Verhandlungstag lässt vermuten, wie schwer die Frage zu beantworten sein dürfte, wer den Einsturz zu verantworten hat.
Gerichtsverhandlungen folgen einer straffen Ordnung, für spontanes Handeln ist da üblicherweise kein Raum. Der erste Tag dieses Prozesses aber wirkt mitunter wie ein Arbeitstreffen, bei dem fast alle Beteiligte darum ringen, wenigstens das Notwendigste von dem zu verstehen, was da gerade besprochen wird.
Einer der Angeklagten hat sich entschlossen, sich zu den Vorwürfen persönlich zu äußern, aber im Laufe seiner Einlassung wirkt er eher wie ein Fachreferent für Bauplanung. Die Vorsitzende Richterin bittet ihn gleich zu Beginn seiner Ausführungen über Traggerüste und Joche - also die Einheit aus Trägern und Stützen auf einem Fundament, die wiederum in Einzeljoche und Turmjoche zu unterscheiden sind -, ob er seine Angaben auch anhand von Bauskizzen und mithilfe eines Projektors erläutern könnte.
Der Angeklagte, der die Statik der Traggerüstkonstruktion berechnet hat, steht also auf und doziert an diversen Skizzen über das, was er geplant und das, was dann - seiner Ansicht nach unzureichend - von der Baufirma ausgeführt wurde. Zahlreiche Punkte zählt er auf, der Staatsanwalt unterbricht ihn gleich zu Beginn, er klingt fast flehentlich: "Ich muss das auch nachvollziehen können." Die vorsitzende Richterin treibt offenkundig dasselbe um, sie entscheidet sich aber dafür, der Staatsanwalt solle alle seine bautechnischen Fragen aufschreiben. Man werde diese dann im Laufe des Prozesses Punkt für Punkt abarbeiten. 13 Verhandlungstage sind angesetzt, das Urteil wird im kommenden Jahr erwartet.
Laut Anklage soll der erste Angeklagte - jener Mann, der am Bauplan referiert - nicht erkannt haben, dass die statischen Berechnungen mit der Ausführung des Traggerüstes nicht übereinstimmten. Das Baugerüst sei dadurch nicht in der Lage gewesen, die auftretenden Lasten - den zugeführten Beton also - zu tragen. Der zweite Angeklagte war mit der Prüfung der statischen Berechnungen vom Freistaat Bayern beauftragt, ihm oblag die Gewähr für die Standsicherheit der Konstruktion.
Der Staatsanwalt wirft ihm vor, persönlich für die Prüfung verantwortlich gewesen zu sein. Beauftragen habe er damit lediglich fest angestellte Mitarbeiter dürfen. Entgegen dieser Pflicht habe er aber eine Planungsgesellschaft für die Prüfung eingeschaltet. Der Angeklagte ist Hochschullehrer und selbst als Sachverständiger tätig. Er gilt als international renommierter Experte für Brückenbau. Als etwa im August 2018 die Brücke in Genua einstürzte, nahm der Professor in Medien ausführlich Stellung dazu. Er schweigt am ersten Verhandlungstag; werde sich aber im Laufe der Verhandlung äußern, kündigt sein Anwalt an.
Der dritte Beschuldigte, Angestellter einer Planungsgesellschaft, war laut Anklage vom Professor mit der Prüfung der Statik beauftragt worden. Seinen Anwalt lässt er erklären, "stark bewegt" vom Einsturz der Konstruktion und den Folgen zu sein. Einen Punkt der Anklage bestätigt er. Weil ein bestimmter Sachbearbeiter zu der Zeit nicht zur Verfügung stand, sei er vom offiziell beauftragten Prüfer - dem Hochschullehrer - mit Aufgaben betraut worden; habe aber vereinbarungsgemäß "nicht nach außen in Erscheinung" treten dürfen. Auf der Baustelle sei er niemals gewesen.
Auf der Baustelle, das betont der erste Angeklagte, sei auch er nicht gewesen - das sei aber auch nicht seine Aufgabe. Die in zahlreichen Punkten fehlerhafte Ausführung der Baufirma habe er schon deshalb nicht erkennen können. Wenn, wie er unterstellt, die Baufirma einzelne Teile der Konstruktion anders ausgeführt habe als auf den Plänen vorgesehen, so wäre es die Pflicht der Firma gewesen, ihn darauf hinzuweisen. Das aber sei nicht erfolgt.
Ob die Staatsanwaltschaft aufgrund dieser schon länger erhobenen Vorwürfe gegen die Baufirma "weitere Ermittlungsverfahren" eingeleitet habe, will ein Anwalt wissen. Bislang, antwortet der Staatsanwalt, habe man dafür keinen Anlass gesehen. Das könne sich aber natürlich ändern.
Ob sich bislang jemand entschuldigt habe bei seinem Mandanten, wird ein Nebenkläger vor der Tür des Gerichtssaals gefragt. Bisher, antwortet er, seien alle der Überzeugung, nicht verantwortlich zu sein für den Einsturz. Zumal nach dem ersten Verhandlungstag nicht einmal klar sei, ob da tatsächlich die Hauptverantwortlichen angeklagt sind. Und insofern: "nein".