Prozess:Polizisten übersehen Unfallauto, die Fahrerin stirbt

  • Zwei Autofahrer beobachten, wie sich auf der Autobahn bei Dasing ein Unfall ereignet, und wählen den Notruf.
  • Die Polizei findet in der Dunkelheit jedoch nur einen Anhänger, der auf dem Pannenstreifen abgestellt ist.
  • Wäre die verunglückte Frau gefunden worden, wäre sie mit "hoher Wahrscheinlichkeit" noch am Leben, so der Rechtsmediziner. Ihre Eltern ziehen nun vor Gericht.

Von Christian Rost, Dasing

Eine junge Frau kommt nachts gegen 1 Uhr auf der A 8 mit ihrem Wagen von der Fahrbahn ab, der Audi überschlägt sich und prallt gegen eine Böschung. Andere Autofahrer werden Zeugen des Unfalls und alarmieren Polizei und Rettungskräfte. Doch der A 3 der 24-Jährigen wird erst am nächsten Tag gefunden - zufällig von einem Jogger. Die Fahrerin ist tot.

Nun klagen ihre Eltern am Augsburger Landgericht gegen den Freistaat. Sie werfen der Polizei vor, Fehler gemacht zu haben bei der Suche nach dem Wagen, und fordern 26 000 Euro für die Kosten der Bestattung ihres Kindes und Schmerzensgeld.

Es war ein fürchterliches Unglück, das sich am 26. Juli 2015 auf der Autobahn in Fahrtrichtung München kurz hinter der Anschlussstelle Dasing im Landkreis Aichach-Friedberg ereignet hat. Zwei Autofahrer, einer von ihnen ein Urlauber aus Bremen, sehen, dass die Rücklichter eines Fahrzeugs plötzlich in der Dunkelheit verschwinden. Es ist der Wagen der 24-Jährigen, der aus ungeklärten Gründen regelrecht von der Autobahn fliegt. Der Bremer wählt sofort den Notruf, schildert den Unfall und fragt, ob er an der Unglücksstelle auf die Einsatzkräften warten solle. Der diensthabende Beamte in der Einsatzzentrale der Polizei meint, das sei nicht nötig, er könne weiterfahren. Wenig später sucht eine Streife der Autobahnpolizei den Abschnitt nach dem Unfallwagen ab.

Wäre die Frau gefunden worden, wäre sie sehr wahrscheinlich noch am Leben

Die Beamten leuchten den Randstreifen mit einer Taschenlampe aus, können aber nichts finden. In der Dunkelheit sehen sie weder ein Fahrzeug noch Fahrzeugteile und auch keine Spuren eines Unfalls im Bewuchs oder am Wildschutzzaun neben der Strecke. Allerdings entdecken sie ein auf dem Pannenstreifen stehendes Fahrzeug ohne Beleuchtung. Es ist ein Wagen mit Anhänger, dessen Fahrer angibt, plötzlich sei das Licht an seinem Gespann ausgegangen. Die Polizisten nehmen an, dass es sich um das Fahrzeug handelt, das die Unfallzeugen im Dunkel verschwinden gesehen haben. Die Suche nach einem anderen möglicherweise verunglückten Wagen brechen sie trotzdem nicht gleich ab.

Auch die Feuerwehr ist inzwischen mit einen Fahrzeug eingetroffen, sie war von einem anderen Zeugen alarmiert worden. Auf einer Strecke von etwa fünf Kilometern suchen die Einsatzkräfte die Autobahn weiter ab, dann geben sie auf. Am Morgen dann entdeckt ein Jogger den zerstörten Audi an einer Böschung.

Laut Augsburger Allgemeine rekonstruierte ein Gutachter folgendes Geschehen: Die junge Fahrerin kam mit ihrem Audi von der Autobahn ausgerechnet an einer Stelle ab, an der sich keine Leitplanke befindet. Etwa 200 Meter legte der Wagen noch zwischen Leitplanke und Wildschutzzaun zurück und wurde kurz vor einer Senke in die Luft und über den Zaun geschleudert. An einer Böschung blieb das Auto liegen.

Die Fahrerin erlitt schwere Beckenbrüche und verlor viel Blut, wie ein Rechtsmediziner erläutert. Er geht davon aus, dass die 24-Jährige noch mindestens eine Stunde nach dem Unfall am Leben war. Mit "hoher Wahrscheinlichkeit", wie er sagt, hätte sie bei rascher Hilfe überlebt. Sicher könne er dies aber nicht sagen. Die junge Frau erstickte an ihrem eigenen Blut.

Für das Gericht unter dem Vorsitz von Christoph Kern stellt sich die Frage, ob die an dem Einsatz beteiligten Beamten richtig gehandelt haben. Die beiden Streifenpolizisten meinen jedenfalls, es wäre besser gewesen, wenn der Unfallzeuge aus Bremen dort gewartet hätte und nicht von der Einsatzzentrale fortgeschickt worden wäre. "Dann hätte es eventuell anders ausgesehen", wird einer der Polizisten zitiert.

Das Gericht muss nun darüber befinden, ob die Entscheidung des Beamten am Notruf falsch war und der Freistaat dafür haften muss. Die Staatsanwaltschaft kam bereits zu dem Ergebnis, dass kein strafrechtlich relevantes Verhalten vorliegt und stellte das Verfahren ein. Wie die Zivilkammer entscheidet, ist noch offen. Richter Kern spricht von einem "absoluten Grenzfall". Das Urteil soll Ende November verkündet werden.

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