Süddeutsche Zeitung

Urteil im Fall Maurice:Die letzte Frage bleibt offen

  • Wegen des gewaltsamen Todes des Schülers Maurice K. in Passau soll einer der Schläger für dreieinhalb Jahre ins Gefängnis. Das Landgericht Passau erklärte den 25-Jährigen unter anderem der vorsätzlichen Körperverletzung und fahrlässigen Tötung für schuldig.
  • Die anderen drei Angeklagten, allesamt Deutsche, bekamen Bewährungsstrafen - in einem Fall von einem Jahr und neun Monaten, in zwei Fällen von jeweils einem Jahr. Der Hauptvorwurf lautete Körperverletzung.

Von Hans Holzhaider

Passau - Ein letztes Rätsel bleibt: Wer trägt die Schuld daran, dass der 15-jährige Maurice K. nach einer Schlägerei in einer Passauer Fußgängerunterführung starb? Das, sagt die Vorsitzende Richterin Ursula Raab-Gaudin, konnte die Große Jugendkammer am Landgericht Passau trotz einer langwierigen, teilweise sehr mühsamen Beweisaufnahme nicht endgültig aufklären. Die vier Angeklagten - Kevin C., 25, Larry D., 16, Timur A., 17, und Muharrem E., 15, (Namen geändert) hatten alle auf unterschiedliche Weise Anteil an dem Geschehen, das am 16. Mai 2018 auf so tragische Weise endete. Aber wer die Verletzung verursachte, die Maurice' Tod zur Folge hatte, "das können wir nicht mit einer zur Verurteilung nötigen Sicherheit feststellen", sagte die Richterin bei der Verkündung des Urteils am Donnerstag.

Mehr als eine Stunde lang begründete die Richterin außerordentlich differenziert, und an manchen Stellen für den juristischen Laien nicht leicht nachvollziehbar, die Entscheidungen des Gerichts: Drei Jahre und sechs Monate Haft für Kevin C., den einzigen Erwachsenen unter den Angeklagten, wegen fahrlässiger Tötung und vorsätzlicher Körperverletzung. Bei ihm kam straferschwerend noch das unerlaubte Führen einer Schusswaffe dazu. Larry D., mit dem Maurice sich zu der Schlägerei verabredet hatte, wurde wegen vorsätzlicher Körperverletzung und Widerstands gegen Polizeibeamte zu einem Jahr und neun Monaten Jugendstrafe verurteilt.

Zu je einem Jahr Jugendstrafe wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilte das Gericht Timur A. und Muharrem E., die sich in die"Eins-zu-Eins-Auseinandersetzung zwischen Maurice und Larry eingemischt hatten. Alle vier Angeklagten wurden auch wegen Beteiligung an einer Schlägerei schuldig gesprochen. Die Jugendstrafen wurden zur Bewährung ausgesetzt.

Über die Vorgeschichte des verhängnisvollen Streits ging die Richterin kurz hinweg. "Das sind Vorgänge, denen ein vernünftiger Mensch fassungslos gegenübersteht, die sich aber strafrechtlich nicht erfassen lassen", sagte sie. Jedenfalls hätten sowohl Maurice wie sein Gegner Larry in die Schlägerei eingewilligt. "Maurice wusste, worauf er sich einließ." Die Verabredung sei auch nicht im rechtlichen Sinn sittenwidrig gewesen. "Natürlich finden wir es verwerflich", sagte Raab-Gaudin, "aber sittenwidrig wäre es nur, wenn eine konkrete Lebensgefahr absehbar gewesen wäre." Deshalb seien auch die Faustschläge, mit denen Larry und Maurice sich gegenseitig traktierten, nicht strafbar. Man könne auch ausschließen, dass es schon in dieser Phase zu der Verletzung gekommen sei, die Maurice' Tod verursachte.

Denn Maurice, so die Richterin, starb nicht, weil er nach einem Nasenbeinbruch Blut einatmete. Er starb, weil sein Bewusstsein infolge eines Schädel-Hirntraumas so eingeschränkt war, dass der lebenserhaltende Hustenreflex außer Kraft gesetzt war, und er deshalb an dem eingeatmeten Blut erstickte. Wer den Nasenbeinbruch verursachte, sei nicht mehr zu klären, sagte die Richterin. "Eine Nase bricht nun mal schnell."

Wie aber kam es zu diesem Schädel-Hirn-Trauma? Jedenfalls nicht, sagte die Richterin, als Timur A. und in der Folge auch dessen Cousin Muharrem E. auf Maurice losgingen, möglicherweise, um ihn davon abzuhalten, auf den am Boden liegenden Larry einzutreten. Erst, als auch Kevin C. in das Geschehen eingriff, um seinem kleinen Cousin Muharrem zu Hilfe zu kommen, "wurde es richtig brutal", sagte die Richterin. Kevin führte zwei Faustschläge gegen Maurice, davon einen, nach seiner eigenen Aussage sehr heftigen, gegen die Schläfe. Kevin selbst, erinnerte die Richterin, habe am Tag danach mit seinem "Two-Punch-KOs" geprahlt.

Dieser Schlag, sagte Richterin Raab-Gaudin, habe nach Überzeugung des Gerichts dazu geführt, dass Maurice verteidigungsunfähig wurde, und sich nicht mehr zur Wehr setzen konnte, als Larry D. noch einmal auf ihn losging und ihm mehrere Faustschläge auf den Kopf versetzte. Eine überraschende Wendung, denn die meisten Zeugen hatten ausgesagt, dass Kevin C. der letzte war, der auf Maurice eingeschlagen hatte.

Aber das Gericht stützte sich auf die Aussage der Zeugin Senada K., 37, die zufällig am Ort der Schlägerei vorbeikam und couragiert eingriff. Sie drohte, die Polizei zu holen, woraufhin die Jugendlichen schleunigst die Flucht ergriffen. Senada K. hatte dem Gericht eindringlich geschildert, wie Larry D., eindeutig identifiziert durch sein schwarzes Kapuzenshirt, mit beiden Fäusten auf Maurice' Kopf einschlug, als sie dazu kam, und wie Maurice sich nicht mehr verteidigen konnte. "An der Aussage dieser couragierten und völlig neutralen Zeugin gibt es überhaupt keinen Zweifel", sagte die Richterin.

Ob aber die zum Tod führende Kopfverletzung von Kevin C. oder von Larry D. verursacht wurde, sei nicht zu klären, sagte Raab-Gaudin. Deshalb könne, im Zweifel für die Angeklagten, keiner von beiden wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt werden. Kevin C. sei aber der fahrlässigen Tötung schuldig, weil er mit seinem Schlag Maurice wehrlos gemacht habe. "Er musste damit rechnen, dass Larry D. noch einmal auf Maurice losgeht", sagte die Richterin. Bei Timur A. und Muharrem E. sah das Gericht den Tatbestand der gefährlichen Körperverletzung gegeben, weil sie gleichzeitig auf Maurice losgegangen seien. "Sie haben dafür gesorgt, dass das Geschehen eskalierte", sagte Raab-Gaudin.

Die drei jugendlichen Angeklagten müssen nach ihrer Verurteilung bis auf Weiteres in einer Jugendhilfeeinrichtung bleiben. Das Gericht verhängte auch ein striktes Drogenverbot. Alle drei hatten vor der Schlägerei Marihuana geraucht. Nun müssen sie regelmäßig Haar- und Urinproben abliefern.

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SZ vom 18.01.2019/infu
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