Prozess:Kindesmissbrauch per Webcam

Prozess in Traunstein um Kindesmissbrauch per Online-Chat

Vor dem Landgericht Traunstein wird ein Fall von "Webcam Child Sex Tourism" verhandelt. Der Täter gibt dabei via Internet Anweisungen.

(Foto: Uwe Lein/dpa)
  • Ein 48-Jähriger aus Bayern hat gestanden, via Internet zum Missbrauch philippinischer Kinder angestiftet zu haben.
  • Er bedaure zutiefst, dass er sich zu den Taten habe hinreißen lassen, ließ der Angeklagte über seinen Anwalt erklären.
  • Nun wurde er zu fünfeinhalb Jahre Haft verurteilt.

Von Matthias Köpf, Traunstein

Für den User josef111222 schienen luckybaby3158 und deren drei Kinder so weit weg zu sein, so anonym, sagt er, obwohl er ihren Jungen sogar "seinen Sohn" nennen durfte. Auch sonst konnte der 48 Jahre alte Handwerksmeister über die Kinder der Frau verfügen, konnte per Online-Chat daheim im Landkreis Altötting Wünsche und Vorlieben äußern, und luckybaby3158 sorgte irgendwo auf den Philippinen nach dem minutenschnellen Zahlungseingang dafür, dass er das Gewünschte im Video-Livestream zu sehen bekam.

Die Wünsche waren sexueller Art, und das ältere Mädchen war erst acht, der Junge sieben Jahre alt, als alles begann. Ob die damals Vierjährige bei all dem eine Rolle gespielt hat, lässt sich am Dienstag vom Landgericht Traunstein nicht rekonstruieren. Es verurteilt den Mann wegen Anstiftung zum Kindesmissbrauch und wegen des Besitzes von Kinderpornografie zu fünfeinhalb Jahren Haft.

Die Strafkammer um den Vorsitzenden Jürgen Zenkel verhandelt damit, wie zuvor schon eine Jugendkammer am selben Gericht, einen der ersten Fälle von "Webcam Child Sex Tourism" in Deutschland, einer Missbrauchsart, auf die auch die Cybercrime-Spezialisten des Bundeskriminalamts vor wenigen Jahren aufmerksam geworden sind.

Der User josef111222 mit der deutschen Adressen-Kennung fiel zuerst dem amerikanischen FBI auf, das zusammen mit einer Hilfsorganisation auf den Philippinen ermittelte und 110 Seiten Chat-Protokoll ans BKA weitergab. Die Mutter der Kinder wartet seit eineinhalb Jahren in philippinischem Polizeigewahrsam auf ihren Prozess.

Hier in Deutschland führte die Ermittler eine kleine Spur aus der scheinbaren Anonymität von josef111222 zu dem Mann, der sich jetzt dem stellen muss, was er sich zwischen 2014 und 2016 immer wieder gewünscht, was er immer wieder bestellt hat. Die Anklage listet acht einzelne Fälle auf, für zusammen fast 3300 Euro. Insgesamt sollen mehr als 10 000 Euro geflossen sein.

Der Angeklagte spricht klar und offen, nicht verdruckst, wie so viele Sexualstraftäter vor Gericht. Sein Verteidiger trägt zu Prozessbeginn ein Geständnis vor. Er selbst sagt, von dem, was er zu sehen bekommen habe, sei vieles "nur optisch ausgeführt" und "im Prinzip gefaked gewesen, das hab' ich gemerkt, aber in dem Moment war mir das dann auch recht". Ein BKA-Ermittler hat aus den Chat-Protokollen einen anderen Eindruck, und auch der Staatsanwältin kommt das seltsam vor, aber er sagt, so habe es ihm gereicht.

Wie der Richter sein Urteil begründet

Auf die Frage nach dem Warum tut er sich schwer. "Der Drang war in dem Moment einfach da." An Kindern habe er aber kein sexuelles Interesse, "wenn das Kind da ist, persönlich". Allerdings gibt es da zwei akzeptierte Strafbefehle vom Amtsgericht Altötting, jeweils über acht Monate Haft auf Bewährung. 2009 war es um die eigene, damals gerade erst schulpflichtige Tochter aus erster Ehe gegangen, die Ehe war zu der Zeit schon an seinem Kinderporno-Konsum zerbrochen. 2014 ahndete die Justiz Fotos und Videos auf seinem Computer.

Weder diese Vorstrafen noch die offene Bewährung noch die vom Amtsgericht verfügte Therapie in einer Fachambulanz für Sexualstraftäter hielten den Mann von den Video-Chats mit luckybaby3158 ab. Die habe gesagt, sie brauche Geld für die Schule und für Arztbesuche. Damit habe er seine eigene Schuld zu verdrängen versucht. Auch eine zweite Ehe änderte nichts, die neue Frau und dazu eine Philippinisch-Dolmetscherin sind geladen, doch das Gericht verzichtet auf ihre Aussage. In der Therapie sei er jedenfalls nie auf solche Fantasien angesprochen worden, erklärt der Angeklagte. Das lässt den Sachverständigen, der ihn für voll schuldfähig hält, an der Effektivität der 67 Gruppensitzungen zweifeln. Er sieht "eine Indikation für eine intensivere Behandlung während der Haft".

Diese Haft soll nach Ansicht der Staatsanwältin sechseinhalb Jahre dauern, denn die Anstiftung wiegt so schwer wie die Tat. Der Verteidiger schlägt vier Jahre und acht Monate vor. Mit seinem eigenen letzten Wort bricht der Angeklagte in Tränen aus. "Ich wollte eigentlich nur sagen, dass ich froh bin, dass das endlich vorbei ist", bringt er mühsam hervor. Das Gericht würdigt sein Geständnis, denn der Video-Stream ist nirgendwo aufgezeichnet, und allein anhand des Chat-Protokolls und der Zahlungen wäre die Beweisführung schwierig und der weitere Prozess mindestens mühsam geworden.

Taten wie diese sind nach Ansicht des Vorsitzenden inzwischen dagegen viel zu leicht. "Sie müssen nicht in den Flieger steigen, sie bekommen die Leistung direkt ins Haus", bilanziert er bitter. "Die Tatgelegenheiten häufen sich, die Schwelle zur Tat sinkt."

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