Prozess in Regensburg:Der seltsame Gustl Mollath

Mollath-Prozess

Gustl Mollath im Landgericht Regensburg

(Foto: dpa)

Deutschlands bekanntester Psychiatriepatient wird an diesem Donnerstag vom Landgericht Regensburg freigesprochen. Doch das entlastet weder das bayerische Justizsystem noch Gustl Mollath selbst.

Von Hans Holzhaider

Fünfzehn Tage lang hat die 6. Strafkammer am Landgericht Regensburg unter dem Vorsitz von Richterin Elke Escher den Fall Mollath verhandelt. An diesem Donnerstag um neun Uhr soll das Urteil verkündet werden. Es muss Antwort auf drei Fragen geben:

Gibt es für eine Verurteilung ausreichende Beweise dafür, dass Gustl Mollath in den Jahren 2001 und 2002 seine damalige Ehefrau Petra, wie in der Anklage beschrieben, misshandelt und sie am Verlassen der ehelichen Wohnung gehindert und dass er im Januar 2005 mehrere Dutzend Autoreifen beschädigt hat?

Falls das Gericht das bejaht: Hat Mollath diese Taten wegen einer psychischen Krankheit möglicherweise im Zustand verminderter Schuldfähigkeit begangen?

Falls auch dies zuträfe: Ist Gustl Mollath gefährlich für die Allgemeinheit, sodass er in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht werden müsste?

Auf die beiden letzten Fragen haben der Anklagevertreter und der Verteidiger - der Regensburger Oberstaatsanwalt Wolfhard Meindl und der Hamburger Rechtsanwalt Gerhard Strate - übereinstimmende Antworten gegeben: Mollath war, jedenfalls zum Zeitpunkt der angeklagten Taten, mit hoher Wahrscheinlichkeit in seiner Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigt. Er konnte das Unrecht dieser Taten einsehen und war in der Lage, sich für oder gegen eine strafbare Handlungsweise zu entscheiden - er war also schuldfähig. Damit erübrigt sich die Frage nach der Gefährlichkeit. Bei einem schuldfähigen Angeklagten steht die Einweisung in die Psychiatrie nicht zur Debatte. Dennoch betonte Staatsanwalt Meindl: "Er ist aus meiner Sicht nicht gefährlich für die Allgemeinheit."

Diese Feststellungen, nachdem Gustl Mollath nacheinander von vier psychiatrischen Sachverständigen für psychisch krank, schuldunfähig und allgemeingefährlich erklärt und in der Folge davon über sieben Jahre lang im Maßregelvollzug seiner Freiheit beraubt wurde, beschreibt ohne jeden Zweifel ein Versagen von Justiz und Psychiatrie. Dieses Versagen ist zum Teil in offensichtlichen Fehlleistungen der beteiligten Personen, zum Teil aber auch im System begründet.

Im System insoweit, als es bis vor Kurzem gängige und auch höchstrichterlich kaum beanstandete Praxis war, dass die Dauer des Maßregelvollzugs in keinerlei vernünftigem Verhältnis zu den begangenen Straftaten stand, dass also ein psychisch gestörter Täter über viele Jahre, teilweise sogar über Jahrzehnte, weggesperrt werden konnte, auch wenn seine Tat, wäre sie abgeurteilt worden, ihm nur eine kurzzeitige Bewährungsstrafe eingebracht hätte.

Kein Recht auf Schlagen, Würgen, Beißen

Zu diesem Thema hat sich das Bundesverfassungsgericht in jüngster Zeit, nicht zuletzt aus Anlass des Falles Mollath, erfreulich klar geäußert. Was aussteht, ist eine gesetzlich Regelung, die mit dieser menschenunwürdigen Praxis ein- für allemal aufräumt. Es entlastet die Justiz und die Wissenschaft nicht, dass Gustl Mollath im Laufe des gegen ihn gerichteten Verfahrens gelegentlich Verhaltensweisen an den Tag gelegt hat, die, laienhaft ausgedrückt, schon den Verdacht aufkommen lassen konnten, dass bei ihm die eine oder andere Schraube locker sei. Der Mensch hat auch ein Recht auf seine Schrullen, so lange er andere damit nicht beeinträchtigt.

Ein Recht, seine Ehefrau zu schlagen, zu würgen und zu beißen und die Reifen an anderer Leute Autos zu durchstechen hat der Mensch aber nicht, auch dann nicht, wenn er sich von der Ehefrau oder deren Freunden und Helfern schlecht behandelt oder verfolgt fühlt. Das sind die Taten, die in der Anklage stehen, und um festzustellen, ob Gustl Mollath diese Taten begangen hat, hat das Gericht nun 15 Tage lang Zeugen und Sachverständige gehört und eine Fülle von Dokumenten verlesen.

Das Gericht holt alles Versäumte nach

Es war eine Beweisaufnahme, die an Gründlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ, auch wenn Gustl Mollath selbst das noch immer anders sieht. Alles, was früher versäumt wurde, wurde in extenso nachgeholt. Mollaths 106 Seiten starke Verteidigungsschrift, der mittlerweile legendäre "Duraplus-Ordner", wurde teils im Gerichtssaal verlesen, teils im Selbstleseverfahren eingeführt.

Der Revisionsbericht der Hypo-Vereinsbank, durch Mollaths vielfältige Schreiben an den Arbeitgeber seiner Ex-Frau veranlasst, wurde komplett verlesen - er enthält, entgegen der verbreiteten Lesart, keine Hinweise auf den "größten Schwarzgeld-Skandal aller Zeiten".

Ein Sachverständiger für Autoreifen wurde gehört - sein Gutachten entlarvte die einst vom Landgericht Nürnberg aufgestellte Behauptung, man könne Reifen so raffiniert beschädigen, dass sie ihre Luft erst viel später bei hoher Fahrgeschwindigkeit verlören, als kompletten Humbug. Das ist mehr als nur ein Nebenaspekt, denn eben diese angeblich besonders perfide Vorgehensweise diente dem Gericht damals als Beleg für die Gefährlichkeit Mollaths und damit als Rechtfertigung seiner Einweisung.

Warum der Staatsanwalt Mollath für schuldig hält

Die Beweisaufnahme litt unter dem Umstand, dass die Hauptzeugin, Mollaths ehemalige Ehefrau Petra, die Aussage verweigerte. Oberstaatsanwalt Meindl kam trotzdem zu dem Ergebnis, dass die Indizien ausreichten, um Mollath für die angeklagten Taten schuldig zu sprechen. Er hatte viele gute Gründe dafür. Die Verletzungen, die Petra Mollath ihrer Darstellung nach von ihrem Ehemann beigebracht wurden, wurden zeitnah von einem Arzt attestiert. Sie waren zweifelsfrei vorhanden, egal ob der Arzt das Attest in eigenem Namen oder "i.V." für seine Mutter unterschrieb.

Dass die Verletzungen, wie von Mollath behauptet, bei einem Sprung seiner Frau aus dem fahrenden Auto entstanden sein sollen, ist nicht nachvollziehbar. Man kann schwerlich so aus dem Auto springen, dass man dabei eine Bisswunde und Würgemale am Hals davonträgt. Petra Mollath hat in zahlreichen Vernehmungen - bei der Polizei, dem Ermittlungsrichter, in drei Gerichtsverhandlungen - eine im Kern konstante Aussage geliefert.

"Damit will ich Sie jetzt gar nicht groß belasten"

Gustl Mollath dagegen hat es beharrlich vermieden, selbst Angaben zu dem Geschehen zu machen. Der lapidare Satz "Leider habe ich mich gewehrt" ist bis heute seine einzige inhaltliche Aussage zu diesem Anklagepunkt. Seine Antwort auf die Frage der Richterin, ob er nicht etwas zu dem Vorgang sagen wolle, wird lange im Gedächtnis bleiben: "Damit will ich Sie jetzt gar nicht groß belasten." Und auf die verblüffte Nachfrage: "Das tät' mich jetzt aber interessieren" sagt Mollath: "Das ist alles in den Akten enthalten. Damit muss es jetzt mal gut sein."

Zu den Reifenstechereien verlor Mollath keine Silbe - er sah das wohl als unter seiner Würde an. Seinem Verteidiger war er damit keine große Hilfe. Was blieb ihm übrig? Gerhard Strate stellte die Ex-Frau und deren Schwägerin, die zweite wichtige Belastungszeugin, als notorische Lügnerinnen dar; die Belege, die er dafür anführen konnte, blieben dürftig.

Ob das Gericht dem Staatsanwalt folgt und Mollath schuldig spricht, bleibt abzuwarten - es ist ausschließlich eine Frage der Beweiswürdigung. Dass Gustl Mollath freigesprochen werden muss, steht außer Frage; das Gesetz lässt im Wiederaufnahmeverfahren zu Gunsten des Angeklagten nichts anderes zu. Was er sich erhofft hat - einen Freispruch, der ihn ohne Wenn und Aber für unschuldig erklärt - kann es nach dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme nicht geben.

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