Prozess in Passau:"Getrieben von Verlustängsten und Eifersucht"

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Zum Prozessauftakt gegen Dominik R. in Passau war das Medieninteresse groß. (Foto: Matthias Balk/dpa)
  • Dominik R. steht vor dem Passauer Landgericht, weil er seine frühere Freundin Lisa H. im Oktober 2016 ermordet haben soll.
  • Die Mutter von Lisa H. fand die Leiche ihrer Tochter in einem Plastiksack verschnürt.
  • Am ersten Prozesstag wollte der Angeklagte keine Erklärung zu den Vorwürfen abgeben.

Von Andreas Glas, Passau

Da sitzt er und hält die Augen geschlossen. Als wolle er die Leute aussperren, deren Blicke sich jetzt an ihm festsaugen. Es ist 9 Uhr früh am Passauer Landgericht. In Saal 40/II ist kein Stuhl mehr frei, die Zuschauer strecken ihre Hälse nach dem Mann auf der Anklagebank: Dominik R., 23. Sein Schädel ist kurz geschoren, die Bartkanten millimetergenau rasiert, auf dem Oberarm ist er tätowiert.

Er trägt Kapuzenpulli, man kann das Tattoo nicht sehen, aber jeder im Saal kennt den Schriftzug: Der Name "Lisa" steht auf seiner Haut geschrieben und "Gracias por todo", spanisch für: "Danke für alles". Dazu Lisas Geburtsdatum, drunter eine zweite Zahlenreihe: 27.10.2016. Der Tag, an dem Lisa H. grausam sterben musste.

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Die Leute kennen das Tattoo von einem Foto der spanischen Polizei. Eine Spezialeinheit hatte Dominik R. im vergangenen Herbst in Lloret de Mar festgenommen. Dort hatte er sich auch das Tattoo stechen lassen. Sie überwältigten ihn am frühen Morgen, im Bett einer Ferienwohnung. Neben ihm im Kinderbett: ein Bub, 18 Monate alt, der gemeinsame Sohn von Lisa H. und Dominik R.

In den Tagen vor der Festnahme hatte R. immer wieder Fotos geteilt - auf Lisa H.s Facebook-Profil. Die Fotos sollten offenbar vortäuschen, dass die junge Familie in den Urlaub gefahren ist. In Wahrheit waren nur Vater und Sohn unterwegs, auf der Flucht durch Europa. Die junge Mutter war da schon seit drei Wochen tot. Verschnürt in einen Plastikmüllsack, verstaut hinterm Kaminofen in ihrer Wohnung im niederbayerischen Freyung.

Nun also sitzt Dominik R. auf der Anklagebank, und die Stimme des Staatsanwalts hallt durch das Gewölbe des kirchenhohen Gerichtssaals in Passau. "Getrieben von Verlustängsten und Eifersucht" habe Dominik R. seine Ex-Freundin getötet. Er habe "nicht ertragen", dass sie ihn für einen anderen Mann verlassen hatte, er habe "seine Rolle als Vater" in Gefahr gesehen. Die Anklage: Mord aus Heimtücke und niederen Beweggründen.

Es war ein Gemetzel. Dominik R. soll seine frühere Freundin in ihrer Wohnung überrascht haben, vermutlich nachts, als sie im Bett lag. Wie oft er zustach, steht nicht in der Anklage, aber die Liste der Verletzungen ist lang - und klingt auch im Pathologendeutsch noch äußerst brutal: Messerstiche gegen den Kopf, Knochenabsplitterungen im Schädeldach, Halsgefäße komplett durchsetzt.

Der Täter stach bis zur Halswirbelsäule durch, hätte die zierliche Frau fast geköpft. Dass sich die 20-Jährige gewehrt hat, darauf deuten die Schnittwunden an ihren Händen hin. Aber sie hatte keine Chance, man braucht sich den Kerl nur anschauen, der jetzt im Gerichtssaal sitzt: Stiernacken, Holzfällerkreuz, Dominik R. hat als Fitnesstrainer gearbeitet.

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Im Gerichtssaal sitzt an diesem Dienstagmorgen auch Lisa H.s Vater. Immer wieder blickt er zur Anklagebank, aber Dominik R. schaut nicht zurück. Man kann sich nur ausmalen, wie es im Innern des Vaters aussieht und wie es der Mutter der Getöteten geht, die nicht beim Prozessauftakt anwesend ist. Sie ist wohl zuhause und kümmert sich um ihren Enkel, der nun bei seiner Oma aufwächst.

Sie war es auch, die am 12. November in den Müllsack hinter dem Kaminofen schaute und die Leiche ihrer Tochter fand. Einen Tag zuvor hatte die Mutter eine Vermisstenanzeige aufgegeben. Sie kannte die Urlaubsfotos auf Facebook, doch auf ihrem Handy war Lisa H. nicht erreichbar. Bis die spanische Polizei Dominik R. fassen konnte, vergingen weitere sieben Tage. Sieben Tage, an denen die Großeltern auch noch um das Leben ihres Enkels bangen mussten.

Zwar schickte Dominik R. kurz vor seiner Festnahme eine SMS an seine Familie und kündigte an, sich zu stellen. Doch ist unklar, ob dies nur ein Manöver war, um die Fahnder zu täuschen.

Ob er eine Erklärung zu den Vorwürfen abgeben wolle, fragt der Richter in Richtung des Angeklagten. Dominik R. antwortet nicht. Nein, keine Erklärung, sagt sein Verteidiger. Weil Dominik R. schweigt und weil am ersten Prozesstag keine Zeugen geladen sind, macht der Richter bereits nach wenigen Minuten Schluss mit der Verhandlung.

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Vor dem Landgericht hatten die Leute frühmorgens noch Schlange gestanden, um einen Sitzplatz im Gerichtssaal zu kriegen, jetzt müssen sie direkt wieder nach Hause gehen. Auch Dominik R. schlurft aus dem Gerichtssaal hinaus, in Handschellen und Fußfesseln, begleitet von Justizvollzugsbeamten, die ihn zurück ins Gefängnis bringen. Auch auf dem Weg von der Anklagebank zur Tür des Saals schaut Dominik R. kein einziges Mal hinüber zu Lisas Vater.

Draußen, auf dem Flur, bleibt dieser noch eine Weile stehen, aber sagen möchte er nichts. An seiner Stelle erklärt sein Anwalt, was er von den zwölf weiteren Verhandlungstagen erwartet, die bis Ende November angesetzt sind. "Für meinen Mandanten ist es einfach wichtig, zu erfahren, was in der Tatnacht passiert ist und warum das Ganze eigentlich passiert ist. Das ist für seine persönliche Aufarbeitung sehr, sehr wichtig", sagt Armin Dersch.

Wie er Dominik R. am ersten Prozesstag erlebt habe? "Na ja, wir haben ihn nicht besonders erlebt. Er ist gekommen, hat nicht gesprochen und ist wieder gegangen. Er hat auch kein Wort des Bedauerns erwähnt", sagt Rechtsanwalt Dersch.

Vor einen Wald aus Kameras und Mikrofonen tritt auch noch Rechtsanwalt Ronny Raith, der vor Gericht als Nebenkläger für den gemeinsamen Sohn von Lisa H. und Dominik R. auftritt. Dem inzwischen Zweijährigen gehe es "relativ gut", sagt Raith, "er wird von der Großmutter sehr gut versorgt und dort auch ärztlich und jugendpsychiatrisch betreut".

Als Lisa H. sterben musste, war der Bub in ihrer Wohnung. "Wir alle wissen nicht, was er mitbekommen oder nicht mitbekommen hat", sagt Anwalt Raith. Er hofft deshalb, dass Dominik R. sein Schweigen in den kommenden Wochen noch bricht.

"Wie es in ihm drin ausschaut, das weiß ich nicht, das muss er mit sich selber ausmachen", sagt Raith. Als Anwalt des Kindes gehe es ihm einzig und allein darum, "die Sache aufzuklären", um dem Buben, "wenn er heranwächst, seine Fragen auch beantworten zu können".

Bei der Aufklärung des Falls sollen auch die insgesamt 42 Zeugen helfen, die Richter Wolfgang Hainzlmayr geladen hat, dazu will er vier Sachverständige anhören. Als Zeugin wird voraussichtlich auch Lisa H.s Mutter vor Gericht erscheinen. Am 4. September wird der Mordprozess in Passau fortgesetzt.

© SZ vom 23.08.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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