Prozess in Nürnberg:Wie die "Reichsbürger" zur Bedrohung wurden

Ortstermin 'Reichsbürger'

Ortstermin vor dem Haus eines sogenannten Reichsbürgers: Im fränkischen Georgensgmünd stellen Polizisten einen Einsatz nach.

(Foto: dpa)
  • An diesem Montag ist in Nürnberg das Urteil gegen den sogenannten "Reichsbürger" Wolfgang P. gefallen, der bei einem Polizeieinsatz im fränkischen Georgensgmünd einen Beamten erschossen hat.
  • P. ist wegen Mordes zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt worden.
  • Der Fall lenkte die Aufmerksamkeit auf die rechtsgerichtete Bewegung und wirft die Frage auf, ob die Sicherheitsbehörden sie jahrelang unterschätzt haben.

Von Elisa Britzelmeier

Es ist früh am Morgen, sechs Uhr, stockdunkel. Bis das Blaulicht loszuckt. Das eine Mehrfamilienhaus erscheint im Licht der Polizeischeinwerfer bläulich hell, sofort danach auch das andere. Autos fahren vor. Der Einsatz beginnt.

So muss es gewesen sein am 19. Oktober 2016 in Georgensgmünd. So wurde es jedenfalls nachgestellt, fast genau ein Jahr später - bei einem Ortstermin des Oberlandesgerichts Nürnberg, festgehalten in Videos und Bildern. Das Gericht musste rekonstruieren, was passiert ist an jenem Morgen vor einem Jahr, im Haus eines sogenannten "Reichsbürgers".

Klar ist: Seine Waffen sollten beschlagnahmt werden, das SEK rückte an, und Wolfgang P. schoss durch die Tür. Elf Mal. Am Ende war ein Polizist tot, zwei weitere wurden verletzt. Der Ortstermin sollte klären: War das Blaulicht drinnen zu sehen? Kann Wolfgang P. das Martinshorn überhört haben? Hat er mit dem Einsatz gerechnet? Hat er den Polizisten aufgelauert in seinem Haus? Das Landgericht in Nürnberg kam zum Ergebnis: Ja. Es wertete die tödlichen Schüsse als Mord.

An diesem Haus im mittelfränkischen Landkreis Roth haben sich später viele für den Briefkasten interessiert. "Regierungsbezirk Wolfgang", stand auf einem Schild, und weiter: "Mein Wort ist hier Gesetz!" Nun ist P., der sich im Prozess als "der freie Mann Wolfgang" bezeichnet hat und weiter keine Angaben machen wollte, zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt worden. Ein Urteil, das zeigen soll, dass in Wirklichkeit der Staat derjenige ist, der die Gesetze macht.

Aus Sicht des Gerichts hat Wolfgang P. den Polizisten Daniel E. ermordet. Die Staatsanwaltschaft hatte lebenslange Haft wegen Mordes und versuchten Mordes gefordert, sie sah Heimtücke und niedere Beweggründe - und damit eine besondere Schwere der Schuld. Die Verteidigung dagegen war der Ansicht, dass P. nicht wusste, dass die Polizei vor seiner Tür stand. Er sei von einem Überfall ausgegangen. Aus dieser Perspektive wäre ein Polizeieinsatz gegen einen harmlosen Querulanten tragisch schief gegangen.

Beim dem Prozess ging es auch darum, wie mit "Reichsbürgern" umzugehen ist und ob man sie nicht längst ernster hätte nehmen müssen. Nach den Schüssen in Georgensgmünd trat Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) vor die Kameras. Wenn man mit einem sogenannten Reichsbürger zu tun habe, sagte Herrmann, "dann sagt man auf den ersten Blick: Der spinnt. Aber wenn das zu brutaler Gewalt gegenüber Vertretern unseres Staates führt, dann ist das eben keine Spinnerei mehr."

Keine Spinnerei - zu dieser Auffassung kam auch die Bundesregierung. Allerdings erst mit Verspätung, wie eine kleine Anfrage der Grünen im Bundestag ergab. Erst Anfang 2017 schätzte man das Gefahrenpotenzial als groß ein - bis kurz vorher wusste die Bundesregierung nichts über die Bewegung. Auch, weil sie in den Statistiken schlicht keine spezifische Abfrage nach den Reichsbürgern stellte.

"Reichsbürger" erkennen die Bundesrepublik Deutschland nicht als Staat an, weswegen sie keine Steuern zahlen und die Autorität von Gerichten nicht akzeptieren. Dass der Personalausweis Personalausweis heißt, nehmen sie als Beleg dafür, dass sie nur das Personal der "BRD GmbH" seien. Einer "Firma" der Alliierten, die nach wie vor unter der Kontrolle der Siegermächte stehe.

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