Süddeutsche Zeitung

Prozess in Kempten:"Auf tiefster Stufe"

Tatort Kaufbeurer Tänzelfest: Ein ihm unbekannter Mann brüllt einem Familienvater "Scheiß Russen" entgegen und streckt ihn mit der Faust nieder. Für den 34-Jährigen endet der Ausflug tödlich. Nun hat der Prozess im Allgäu begonnen.

Von Stefan Mayr, Kempten

Konstantin M. wollte nach der Spätschicht mit seinem Kollegen nur noch ein, zwei nette Stündchen auf dem Kaufbeurer Tänzelfest verbringen. Der nette Abend endete tödlich: Auf dem Nachhauseweg wurde der 34-jährige Familienvater von einem angetrunkenen Mann ohne erkennbaren Grund niedergeschlagen. Es war nur ein einziger Faustschlag gegen die Schläfe. Konstantin M. war sofort bewusstlos und starb zwei Tage später im Krankenhaus an Hirnblutungen. Er hinterließ zwei Söhne im Alter von neun und vier Jahren.

Der Fall erschütterte nicht nur die Festveranstalter und die Bürger im Allgäu. Das Tänzelfest ist eigentlich ein Kinderfest, es steht unter dem Motto "Kinder spielen die Geschichte der Stadt". Ausgerechnet auf solch einem Fest wird ein völlig unbescholtener Mann zu Tode geprügelt, ohne vorher auch nur eine minimale Provokation von sich gelassen zu haben. Der russischstämmige Aussiedler war schlichtweg zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort. Unklar ist, ob die Tat rechtsextremistisch motiviert war. Tatsache ist, dass vor dem tödlichen Schlag Sprüche wie "Scheiß Russen" gebrüllt wurden und der Angeklagte wegen rechtsradikaler Taten vorbestraft ist.

Dem Richter in Handschellen vorgeführt

Der mutmaßliche Täter Falk H. muss sich seit Mittwoch vor dem Landgericht Kempten verantworten. Der Angeklagte befindet sich seit der Todesnacht am 17. Juli 2013 in Untersuchungshaft, er wird mit Handschellen in den Sitzungssaal geführt. Der 37-jährige Thüringer ist ein sportlicher Typ, er trägt Jeans und Turnschuhe. Unter dem engen grauen Pullover zeichnet sich ein muskulöser Brustkorb ab. Er macht keine Anstalten, sein Gesicht vor den vielen Fotografen und Fernsehkameras zu verbergen. Es wirkt, als halte er demonstrativ seinen Kopf nach oben, Demut oder Reue sehen anders aus. Seine Anwältin hält ihren Mandanten für unschuldig.

Der Staatsanwalt wirft ihm Körperverletzung mit Todesfolge vor. Sie spricht bei der Verlesung der Anklageschrift in ungewöhnlichen deutlichen Worten von einer "besonders verachtenswerten" Tat, die "sittlich auf tiefster Stufe" stehe. "Der Angeklagte wollte sich willkürlich zum Herrn über die körperliche Unversehrtheit und das Leben anderer Festbesucher aufschwingen", sagte der Anklagevertreter.

Das Unheil nahm an einem Mittwoch seinen Lauf, als um 23.30 Uhr im Festzelt die Musik ausging. Der 37-jährige Maler hatte zuvor mit sechs Arbeitskollegen, die mit ihm im Allgäu auf Montage waren, einiges getrunken. Laut Anklage suchte seine Clique Streit. Sie beschimpfte drei andere Festgäste als "Scheiß Polaken" und "Scheiß Russen". Es entwickelte sich ein Schlagabtausch. Dabei bekamen die Aggressoren allerdings zunächst kräftig auf die Nase; Falk H. ging zwischenzeitlich zu Boden und erlitt eine blutende Platzwunde über dem rechten Auge. Jetzt war der Angeklagte laut Anklage "außer sich vor Wut". Diesen Frust habe er laut Staatsanwalt nun "an einem zufällig vorbeikommenden Festbesucher abreagieren" wollen.

Dann sei alles ganz schnell gegangen: "Willst du mich anfotzen?", soll Falk H. sein Opfer gefragt haben, das zufällig zum Tatort kam. Ohne eine Antwort abzuwarten , soll er dem völlig überraschten Mann mit der Faust gegen die Schläfe geschlagen haben. Konstantin M. stürzte zu Boden und blieb bewusstlos liegen. Daraufhin trat der Angeklagte laut Anklage mit dem Fuß gegen den Hals seines "wehr- und regungslosen"Opfers. Er trug dabei zwar "nur" Plastik-Klocks, doch laut Obduktionsbericht erlitt das Opfer einen Halswirbelbruch. Der 34-jährige Kaufbeurer musste noch auf der Straße reanimiert werden, er erlag zwei Tage später im Krankenhaus seinen Verletzungen. Der Angeklagte wurde wenige Minuten nach der Tat in einem Straßengraben von Polizisten festgenommen

Am Mittwoch sagte Falk H. vor Gericht. aus, er könne sich an die Schlägereien nicht mehr erinnern. Zuvor habe er schon in der Arbeit zwei oder drei Bier getrunken. Im Festzelt schüttete er nach eigenen Angaben etwa vier Maß Bier und fünf bis zehn Schnäpse hinterher. Die Polizei geht von einem Blutalkoholwert von 1,8 bis 2,5 Promille aus. "Wenn ich könnte, würde ich sagen, wer was gemacht hat", beteuerte der 37-Jährige. Zu Beginn seiner Aussage sagte er: "Ich will den Angehörigen mein Mitgefühl aussprechen."

Aussagen der Augenzeugen widersprechen sich

Seine Verteidigerin erklärte, der Täter könne nicht eindeutig identifiziert werden. Sie betonte, dass in der Todesnacht noch ein anderer Mann mit demselben T-Shirt mitprügelte. Zudem kritisierte sie, dass den Zeugen zur Identifizierung des Täters nur ein Foto des Angeklagten vorgezeigt wurde - ohne weitere Bilder von anderen beteiligten Personen.

Im Zeugenstand sagten mehrere Männer aus, dass sie den Angeklagten ganz sicher als Täter wiedererkennen. Allerdings widersprachen sich die Aussagen der Augenzeugen auch: So erzählte ein Security-Mitarbeiter, er habe beim Schlag direkt neben Konstantin M. gestanden. Das Opfer sei "wie ein nasser Sack" umgefallen, sofort bewusstlos gewesen und "blau angelaufen". Fußtritte des Angeklagten gegen den Hals habe er aber nicht gesehen. Zwei andere Zeugen konnten sich wiederum nicht an einen Security-Mann in der Nähe des Opfers erinnern, dafür aber umso besser an "mindestens einen Tritt".

Offen blieb auch die Frage, ob die Tat einen rechtsextremen Hintergrund hat. "Ich bin überhaupt nicht rechts", beteuerte der Angeklagte. Allerdings wurde er bereits dreimal wegen des "Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen" verurteilt. Unter anderem, weil er in einer Diskothek "Sieg Heil" gerufen hatte.

Ein Urteil fällt voraussichtlich Mitte Mai.

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