Prozess in Fürth:Drama um krankes Flüchtlingskind

Prozess um Flüchtlingskind

Der kleine Leonardo betritt auf dem Arm seines Vates Jovica Petrovic im Amtsgericht in Fürth den Gerichtssaal.

(Foto: dpa)

Ein Kind wird so schwer krank, dass die Eltern Sorge haben, es könnte sterben. Jetzt müssen sich Mitarbeiter eines Flüchtlingsheims in Zirndorf und ein Arzt wegen unterlassener Hilfeleistung vor Gericht verantworten. Der Mediziner weist die Vorwürfe als "völligen Blödsinn" zurück - Fieber bräuchte er nicht zu messen, das erkenne er aus Erfahrung.

Von Hans Holzhaider

Es gibt keine Situation, vor der Eltern sich mehr fürchten: Ein Kind wird krank, so schwer krank, dass sie Sorge haben, es könnte sterben - und weit und breit gibt es niemanden, der ihnen und dem Kind hilft. Jovica und Claudia Petrovic haben diese Situation erlebt, und Jovica, der Vater, steht noch heute, zwei Jahre nach dem Ereignis, so unter dem Schock von damals, dass seine Stimme in Tränen erstickt, wenn er davon erzählen muss.

Das Ehepaar aus Serbien hatte im Dezember 2011 in Deutschland um Asyl gebeten und war in der Erstaufnahmeeinrichtung in Zirndorf untergebracht. Am 18. Dezember, es war ein Sonntag, bekam ihr eineinhalbjähriger Sohn Leonardo plötzlich hohes Fieber. Er weigerte sich zu trinken, und war so schwach, dass er nicht mehr alleine sitzen konnte. Ein Arzt kam, er diagnostizierte einen fiebrigen Infekt, den er für nicht weiter bedrohlich hielt, und verschrieb Fieberzäpfchen. Am nächsten Morgen hatte das Kind große schwarze Flecken im Gesicht, an Armen und Beinen. Die Eltern baten an der Pforte um Hilfe. Was dann geschah, muss jetzt das Amtsgericht in Fürth klären.

Sicher ist, dass kein Krankenwagen und kein Notarzt gerufen wurde, dass wertvolle Zeit verging, in der die Eltern sich in der Verwaltung um einen Krankenschein bemühen mussten, dass man sie schließlich bei winterlichen Temperaturen zu Fuß ins zwei Kilometer entfernte Dorf schickte. Ein Autofahrer erbarmte sich der verzweifelten Leute und fuhr sie zur Kinderärztin. Die ließ das Kind sofort in die Klinik bringen, wo das Leben des kleinen Leonardo nur knapp gerettet werden konnte. Er war an einer Meningokokkeninfektion erkrankt, blieb zwei Wochen im künstlichen Koma, musste sich umfangreichen Hauttransplantationen unterziehen und verlor einen Zeh und einen Finger.

Vorsätzliche und fahrlässige Köperverletzung

Angeklagt sind jetzt der Arzt, der Leonardo in der Asylunterkunft untersucht hatte, zwei Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes, und eine Verwaltungsangestellte. Die Anklage wirft ihnen vorsätzliche und fahrlässige Körperverletzung und unterlassene Hilfeleistung vor.

Am ersten Verhandlungstag schilderte Jovica Petrovic noch einmal den dramatischen Ablauf des Abends, an dem Leonardo krank wurde, und des folgenden Tages. Der Arzt habe das Kind nur unzureichend untersucht, klagte er, er habe vor allem versäumt, Fieber zu messen, obwohl die Eltern das immer wieder verlangt hätten. Am Morgen habe sich der Wachmann an der Pforte geweigert, einen Krankenwagen zu rufen, er müsse erst einen Krankenschein besorgen, den gebe es aber erst ab neun Uhr. In der Verwaltung habe man sich nicht um ihn gekümmert, erst ein Dolmetscher, der auf ihn aufmerksam wurde, habe ihm dann den Krankenschein besorgt. Aber auch jetzt habe der Mann an der Pforte weder einen Krankenwagen noch ein Taxi kommen lassen, auch nicht, als er ihn auf Knien angefleht habe.

Von den Angeklagten äußerten sich nur der Arzt und die Verwaltungsangestellte. Als "völligen Blödsinn" tat der Arzt die Anklagevorwürfe ab; er habe das Kind gründlich untersucht, aber der Zustand sei nicht besorgniserregend gewesen. Ein Fieberthermometer benötige er nicht, die Höhe des Fiebers könne er aus Erfahrung beurteilen. Die Angestellte bestätigte, dass die Eltern ihr das Kind gezeigt hätten, aber sie habe keineswegs schwarze, sonder lediglich rote Flecken gesehen, wie sie bei Fieber häufig vorkämen. Aus ihrer Sicht sei es den Eltern durchaus zuzumuten gewesen, die kurze Entfernung ins Dorf zu Fuß zurückzulegen.

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