Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Staatsregierung:Antifaschistisch statt linksextremistisch

Die Klage läuft bereits seit 2010, nun startet der Prozess in München: Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes will nicht als linksextremistisch bezeichnet werden. Sie beruft sich auf einen Schwur, den befreite NS-Häftlinge noch im Konzentrationslager abgelegt haben sollen.

Von Sophia Schirmer

Die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA) wird im bayerischen Verfassungsschutzbericht als linksextremistisch eingestuft. Deshalb klagt der Landesverband Bayern der VVN-BdA gegen die bayerische Staatsregierung. "Wir wollen erreichen, dass die Nennung beendet wird", sagt Guido Hoyer, Landesgeschäftsführer der VVN-BdA Bayern. Der Prozess findet Donnerstagvormittag am Verwaltungsgericht in München statt.

Die VNN-BdA bezeichnet sich als "die älteste und größte antifaschistische Organisation in Deutschland". Sie wurde 1947 gegründet und hat in Deutschland etwa 5800 Mitglieder. In Bayern sind es zirka 700. Unter ihnen sind Überlebende des Naziregimes, aber auch jüngere Antifaschisten.

Als Leitmotiv nennt die Vereinigung einen Schwur, den die aus dem KZ Buchenwald befreiten NS-Häftlinge im April 1945 abgelegt haben sollen: "Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln, der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel." "Dieses Vermächtnis setzt die VVN bis heute in praktischer antifaschistischer Politik um", sagt Mastaneh Ratzinger, eine der beiden Landessprecherinnen. Dazu gehöre nicht nur das Engagement gegen Rechtsextremismus, etwa durch Kampagnen für ein Verbot der NPD, sondern zum Beispiel auch die Errichtung von Gedenkstätten wie im ehemaligen Konzentrationslager Dachau. Mit Linksextremismus habe das nichts zu tun.

In einer Reihe mit DKP und MLPD

Trotzdem nennt der bayerische Verfassungsschutz die VVN-BdA in der Liste der linksextremistischen Parteien und Vereinigungen - neben Organisationen wie der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) oder der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD). "Die VVN-BdA ist die bundesweit größte linksextremistisch beeinflusste Organisation im Bereich des Antifaschismus", lautet die Begründung im Bericht.

Markus Schäfert, Sprecher des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz, erklärt, dass Antifaschismus als solcher erst einmal nichts Extremistisches habe. "Wir sagen ja selbst, dass es wichtig ist, sich dem Rechtsextremismus entgegenzustellen." Das Problem ist, dass antifaschistische Überzeugungen häufig vom anderen Extrem, den linksradikalen Gruppen, instrumentalisiert werden. Im Verfassungsschutzbericht heißt es dazu: "Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus für ihre politischen Ziele, die allerdings weit über die Bekämpfung des Rechtsextremismus hinaus reichen." Laut Schäfert ist die Grenze dann überschritten, "wenn sich Antifaschismus gegen das Staatswesen als solches richtet, dem man vorwirft, den Rechtsextremismus zu fördern und die Wurzel dafür zu sein".

Laut Verfassungsschutzbericht ist das bei der VVN-BdA der Fall: Es würden "alle nicht-marxistischen Systeme - also auch die parlamentarische Demokratie - als potenziell faschistisch, zumindest aber als eine Vorstufe zum Faschismus betrachtet, die es zu bekämpfen gilt".

Vorbereitet auf einen langen Prozess

Die zweite Landessprecherin Renate Hennecke ist empört darüber, dass der Verfassungsschutz damit "ehemals Verfolgten des Naziregimes unterstellt, ihr antifaschistisches Engagement sei nicht ehrlich, sondern diene nur als Fassade für die Verfolgung irgendwelcher anderen Ziele". Yunus Ziyal, der die VVN-BdA Bayern vor Gericht als Anwalt vertritt, weist die Vorwürfe außerdem als "rechtlich unhaltbar" zurück. Schon in der Satzung sei eindeutig festgelegt, dass sich die Vereinigung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung und zu den Verfassungsgrundsätzen bekennt. In Paragraf 2 heißt es zum Beispiel: "Die Vereinigung entfaltet ihre Tätigkeit auf dem Boden des Grundgesetzes."

Um ihre Argumentation zu stützen, weist die Vereinigung auch darauf hin, dass sie nur in Bayern als linksextremistisch eingestuft wird. In den anderen Bundesländern ist das nicht der Fall. Auch im Verfassungsschutzbericht der Bundesregierung wird die VVN-BdA nicht erwähnt.

Die Klage der VVN-BdA Bayern läuft seit 2010. Nun findet der Prozess statt. "Ich sehe Chancen, dass der Richter unserer Argumentation folgt, weil ich das Recht auf unserer Seite sehe", sagt Ziyal. "Aber ich gehe davon aus, dass wir uns eine Instanz höher noch einmal treffen werden. Sollte das Gericht gegen uns entscheiden, werden wir auf jeden Fall weiterklagen."

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SZ vom 02.10.2014/vewo
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