Süddeutsche Zeitung

Prozess gegen Sektenmitglieder:Meditation statt Medikamente

Ihr Sohn leidet an einer schweren Krankheit, doch einen Arzt und Medikamente soll ihm seine Mutter verwehrt haben. Aus religiösen Gründen. Nun stehen sie und der Sekten-Guru von Lonnerstadt in Nürnberg vor Gericht.

  • Ihr Sohn leidet an einer schweren Krankheit, zum Arzt durfte er laut Anklage aber nicht. Seit Dienstag müssen sich die Mutter und der Sekten-Guru von Lonnerstadt in Nürnberg vor Gericht verantworten.
  • "Uns wurde gesagt, dass wir die Medikamente nicht mehr brauchen": Der Sohn erhebt schwere Vorwürfe gegen die Angeklagten.

Sohn erhebt schwere Vorwürfe

Im Nürnberger Prozess um schwere Misshandlung eines Kindes hat der Sohn seiner Mutter und ihrem Lebensgefährten schwere Vorwürfe gemacht. "Uns wurde gesagt, dass wir die Medikamente nicht mehr brauchen", sagte der heute 27-Jährige am Dienstag vor dem Landgericht. Der Freund seiner Mutter habe ihm gesagt, "wenn ich alles mitmache, meditiere, bin ich mit 17, 18 geheilt". Er habe das damals geglaubt.

Irgendwann habe er es nicht mehr ausgehalten. "Es war für mich die Hölle." Als er mit 15 Jahren zu seinem leiblichen Vater kam, sei es ihm schnell besser gegangen. Er habe zugenommen und die Medikamente hätten ihm geholfen. Heute fühle er sich recht gut.

Die Staatsanwaltschaft wirft der Frau und ihrem Lebensgefährten vor, mit dem an der Stoffwechselkrankheit Mukoviszidose leidenden damals zwölfjährigen Sohn der Frau von November 1999 bis Dezember 2002 nicht zum Arzt gegangen zu sein und ihm keine Medizin gegeben zu haben. Der Junge bekam demnach auch immer wieder nichts zu essen, obwohl bei Mukoviszidose kalorienreiche Ernährung notwendig sei.

Im Jahr 1999 sei zudem eine bedrohliche Erkrankung der Lunge diagnostiziert worden, doch die Mutter habe eine Behandlung abgelehnt. Der Gesundheitszustand des Sohnes habe sich dann extrem verschlechtert, er habe zeitweise nur noch 28 Kilogramm gewogen.

Mutter bestreitet alle Vorwürfe

Die 48-Jährige und der 55 Jahre alte Mann bestritten sämtliche Vorwürfe beim Prozessauftakt. Das Kind habe immer frei entscheiden können, was und wann es isst und welche Medikamente es nimmt oder ob es zum Arzt will. "Die Kinder hatten sämtliche Freiheiten zu entscheiden, was sie wirklich wollen", sagte die Frau.

Ihr Sohn habe etwa selbst beschlossen, nicht mehr krankenversichert sein zu wollen. Sie habe ihm auch stets freigestellt, ob er in eine Klinik gehen will. "Es waren immer genug Medikamente da", sagte der Mann.

Paar wehrt sich gegen Bezeichnung "Sekte"

Das Paar aus Lonnerstadt bei Erlangen wehrte sich zudem gegen die Bezeichnungen "Guru" und "Sekte". Laut Anklage beeinflusste der 55-Jährige das Leben der Familie mit seinen religiösen Anschauungen. Er sehe sich als Lehrer der "Neuen Gruppe der Weltdiener". Dies bestritt der Angeklagte: "Ich habe mich allerhöchstens als Lehrer der zeitlosen Weisheit bezeichnet."

Mukoviszidose ist eine vererbte, angeborene Stoffwechselkrankheit. Sie ist bislang unheilbar. Die Atemwege in der Lunge, die Ausführungsgänge an der Bauspeicheldrüse und die Gallenwege verstopfen dabei mit zähem Schleim.

"Mukoviszidose macht eine intensive Behandlung erforderlich", sagte der Arzt des Jungen. Im Schnitt sei alle drei Monate eine ambulante Therapie nötig. Das Sterbealter liege in Deutschland bei etwa 30 bis 35 Jahren. Für den Prozess sind vier Tage angesetzt. Ein Urteil soll am 25. Juli gesprochen werden.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.2047858
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ.de/dpa/ahem
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.