Prozess:Fahrdienstleiter von Bad Aibling spielte bei der Arbeit oft auf dem Handy - trotz Verbot

  • Unter großem Medieninteresse hat vor dem Landgericht Traunstein der Prozess um das verheerende Zugunglück von Bad Aibling mit zwölf Toten begonnen.
  • Dem angeklagten Fahrdienstleiter wird fahrlässige Tötung vorgeworfen.
  • Der 40 Jahre alte Michael P. räumt zum Prozessauftakt das fehlerhafte Setzen von Signalen ein. Er gesteht, trotz eines Verbots während der Arbeit mit dem Handy gespielt zu haben.

Aus dem Gericht von Matthias Köpf

Im Prozess gegen den Fahrdienstleiter von Bad Aibling hat der Angeklagte die Fehler gestanden, die zu dem schweren Zugunglück vom Faschingsdienstag geführt haben. "Ich weiß, dass ich mir da am 9. Februar eine große Schuld aufgeladen habe", sagte er am Donnerstagmorgen zum Beginn des Prozesses am Landgericht Traunstein.

Der Angeklagte entschuldigte sich mit belegter Stimme bei den Hinterbliebenen der zwölf Todesopfer und bei den 89 Verletzten. Sie hätten "großes Leid erfahren, das Sie noch lange mit sich rumtragen werden" - so wie auch er es mit sich herumtragen werde, sagte der inzwischen 40-Jährige Angeklagte. Er könne das Geschehene nicht mehr rückgängig machen, auch wenn er nichts lieber täte. Wie er von seiner Verteidigerin einräumen ließ, hat er am Morgen des Unglückstages im Dienst ein Online-Spiel auf seinem Mobiltelefon gespielt und zwei gegenläufige Regional-Züge auf die eingleisige Strecke geschickt. So geht es aus der Anklage hervor, die der Rosenheimer Oberstaatsanwalt Jürgen Branz vorgetragen und dabei auch die Verletzungen aller 89 Betroffenen im Detail aufgelistet hat.

Der Fahrdienstleiter hat demnach seinen tödlichen Fehler noch selbst bemerkt. Es sind 42 Sekunden, in denen ihm das ganze Ausmaß bewusst geworden sein muss. Über den Bahnfunk hatte er einen Notruf abgesetzt, zweimal hintereinander vor der "Betriebsgefahr zwischen Kolbermoor und Bad Aibling" gewarnt, dann noch ein drittes Mal. In der Aufzeichnung folgt dann eine Pause von 42 Sekunden. Danach nur noch dieses eine Wort: "Hallo".

Zu der Zeit waren die beiden Züge schon mit 51 und 78 Stundenkilometern ineinander gerast. Die Strecke führt durch den Wald am Mangfallkanal, die Unfallstelle liegt in einer Kurve. Die beiden Fahrer haben den entgegenkommenden Zug erst unmittelbar vor dem Zusammenstoß gesehen und hatten keine Chance, die Kollision selbst zu verhindern, obwohl sie vermutlich noch gebremst haben. Der Notruf aus dem Stellwerk hat den Lokführer in dem einen und die insgesamt drei Männer im Führerstand des anderen Zuges nie erreicht, weil der Fahrdienstleiter die falsche Taste gedrückt und den Funkspruch nur an andere Fahrdienstleiter, aber nicht an die Züge abgesetzt hat. Auch diesen Vorwurf der Anlage bestätigte die Verteidigerin zu Prozessbeginn.

Der klein gewachsene, dunkelhaarige Mann, der aus der Region stammt und in Rosenheim zur Schule gegangen ist, hat 1994 seine Ausbildung bei der Deutschen Bahn begonnen. Seit 1996 war er Fahrdienstleiter im Raum Rosenheim, unterbrochen nur vom zehnmonatigen Wehrdienst. Seit die Bahn das größere Stellwerk in Rosenheim aufgelöst hat, war er im Wechsel an drei Bahnhöfen der Mangfalltalbahn tätig, darunter Bad Aibling. Die Hauptstrecke zwischen München und Rosenheim wird seither digital vom zentralen Stellwerk der Bahn in München aus bedient. Doch auch die ältere Technik der Nebenstrecke hat die Kollisionsgefahr erkannt und die Signale auf rot gestellt. Der Fahrdienstleiter hat die Automatik jedoch manuell überstimmt und mit einem Zusatzsignal dem einen Zug freie Fahrt gegeben, obwohl auch für den anderen die Strecke freigegeben war.

Nach Angaben des Kripo-Ermittlers im Zeugenstand war die Technik am Unfalltag in einwandfreiem Zustand. Ob sie noch zeitgemäß war oder ob es weitere technische Sicherheitsvorkehrungen hätte geben können und müssen, wird im weiteren Prozessverlauf zum Thema werden. Zur Sprache kam in der Verhandlung jedoch bereits eine ältere Aufzeichnung, wonach im Bad Aiblinger Stellwerk "im Rahmen der zur Verfügung stehenden Mittel" eine weitere Warnanlage hätte nachgerüstet werden sollen, was aber nicht geschehen ist.

Angeklagter wird aus Bahndienst ausscheiden

Unabhängig vom Ausgang des Prozesses wird der Angeklagte Ende des Jahres aus dem Bahndienst ausscheiden. Beide Seiten hätten sich auf eine "einvernehmliche Beendigung" geeinigt, wie es die Verteidigerin formulierte. Über seine persönliche Erklärung und Angaben zu seinem Werdegang hinaus wollte der Angeklagte keine Angaben zu den Vorwürfen machen - auch nicht zu seinem Umgang mit Computerspielen.

Am Unglücksmorgen lief auf seinem Handy das Online-Rollenspiel "Dungeon Hunter 5", der Angeklagte hat im Dienst unter anderem einen virtuellen Krieger rekrutiert und eine Mission begonnen. Auch dieses Detail aus der Anklage hat die Verteidigerin im Namen ihres Mandanten bestätigt. Die Ermittler haben sich bei der Entwicklerfirma des Spiels die gespeicherten Spielaktionen des Angeklagten bis zum Jahresanfang zurück besorgt und diese Angaben mit dem Dienstplan des Angeklagten verglichen. Demnach hat der Fahrdienstleiter in nahezu jeder Schicht auf seinem Handy gespielt, wie es der Kripo-Beamte in seiner Aussage zusammenfasste.

Der Fahrdienstleiter selbst will nach Ankündigung seiner beiden Anwälte auch an den kommenden Prozesstagen zur Sache schweigen. Dann sollen Ermittler und Sachverständige gehört werden. Die Verhandlung ist vorerst auf sieben Tage angesetzt, das Urteil soll am 5. Dezember fallen. Der Strafrahmen für fahrlässige Tötung beträgt bis zu fünf Jahren Haft.

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