Eisenheim-Prozess:Doch nicht nur ein Vollrausch

Prozessauftakt um Unfall Eisenheim

Zu Beginn der Berufungsverhandlung standen noch vier junge Männer vor Gericht. In dieser Woche wurden die Strafen gegen drei von ihnen rechtskräftig, der vierte wurde als Fahrer des Autos verurteilt, durch das Theresa Stahl zu Tode kam.

(Foto: Daniel Peter)

Im Prozess um den Tod von Theresa Stahl, die 2017 in Unterfranken von einem betrunkenen Autofahrer erfasst wurde, ist erneut ein Urteil gefallen: ein Jahr und drei Monate Haft auf Bewährung - wegen fahrlässiger Tötung. Damit macht das Gericht einen entscheidenden Unterschied.

Von Clara Lipkowski, Nürnberg/Würzburg

Am Ende war es doch fahrlässige Tötung. Niclas H. wird am Mittwochnachmittag in Würzburg schuldig gesprochen: Er habe Theresa Stahl im April 2017 fahrlässig getötet, urteilt der Vorsitzende Richter des Landgerichts, sie war nicht, wie es zuvor geheißen hatte, zu Tode gekommen wegen des "fahrlässigen Vollrauschs" von H.. Er bekommt ein Jahr und drei Monate Haft auf Bewährung.

Man könnte sagen, was macht es für einen Unterschied, ein Mensch ist tot. Theresa Stahl kommt nicht wieder. Sie ist gerade 20 Jahre alt, als sie an einer Landstraße vom Auto erfasst wird, das Niclas H. nach einem Weinfest mit mehr als drei Promille Alkoholwert im Blut steuert. Sie wird in einen Acker in die Dunkelheit im unterfränkischen Eisenheim geschleudert, Niclas H. fährt weiter, mit ihm im Auto drei Freunde, ebenfalls betrunken. Theresas Freund kommt ihr noch zu Hilfe, doch sie stirbt kurze Zeit später im Krankenhaus. Und doch, es macht einen Unterschied für ihren Vater, Ronald Stahl. Er sei froh über das neue Urteil, sagt er. Er hatte dem Richter nach der Verkündung gedankt, für den Aufwand, der betrieben worden sei. Mehr habe man mit menschlichen Mitteln nicht erreichen können.

Michael Schaller urteilt am Mittwoch, dass Niclas H., in jener Aprilnacht sehr wohl trotz Vollrauschs für sein Handeln verantwortlich gemacht werden kann. Schaller urteilt wegen der Schwere der Schuld nach Jugendstrafrecht. Teil der Strafe ist, dass sich Niclas H. zwei Jahre lang an diverse Auflagen halten, eine Therapie machen oder mindestens seinem Bewährungshelfer nachweisen muss, dass er sich um einen Therapieplatz bemüht. Außerdem soll er 400 Arbeitsstunden leisten und abstinent leben. Seinen Führerschein, den er schon im April 2017 abgeben musste, kann er frühestens in drei Monaten neu beantragen und auch erst dann zurückbekommen, wenn er eine entsprechende Prüfung schafft.

Viereinhalb Jahre sind vergangen seit dem Tod von Theresa Stahl, es folgten ein kurzer erster Prozess und dann ein zähes Berufungsverfahren, das wegen neuer Ermittlungen unterbrochen und wieder aufgenommen wurde. Ein Verdacht auf Anstiftung zu Mord durch den Beifahrer erhärtete sich nicht, die Berufungen gegen das Strafmaß der Mitfahrer wurden letztlich zurückgezogen, die Geldstrafen à 1000, 1500 und 2000 Euro für die drei jungen Männer in dieser Woche rechtskräftig.

"Sehr zufrieden" zeigte sich Ronald Stahls Anwalt, Philipp Schulz-Merkel, am Abend nach dem Urteil. Dass H. wegen fahrlässiger Tötung verurteilt worden sei, zeige, dass man nicht volltrunken in ein Auto steigen, jemanden umfahren und dann darauf hoffen könne, man werde wegen Saufens und nicht wegen Tötung bestraft.

Das erste Urteil lautete: 5000 Euro Geldstrafe, ein Jahr Fahrverbot

Denn grob gesagt war so das Urteil in erster Instanz ausgefallen: Weil Niclas H. derart betrunken war, habe er nicht für sein Handeln verantwortlich gemacht werden können, hieß es damals, ein Gutachter hatte nicht ausschließen können, dass er schuldunfähig gewesen sei. H. sollte 5000 Euro zahlen und erhielt ein Fahrverbot für ein Jahr. Die von vielen als zu milde empfundene Strafe löste Empörung aus, bundesweit.

Richter Schaller kam nun im Berufungsverfahren zu einem anderen Ergebnis - weil Sachverständige befunden hatten, dass H. doch schuldfähig gewesen sei. Schaller urteilte nach Jugendstrafrecht. H. gilt laut Gesetz als Heranwachsender, zur Tat war er 18, fiel also nicht mehr automatisch ins Jugendrecht, war aber noch unter 21, von wo an das Erwachsenenrecht greift. H. weise aber "Reifeverzögerungen" auf, sagte Schaller, schon seit der Kindheit habe er Alkohol, früh auch Cannabis konsumiert.

Das Jugendrecht will Schaller in der Urteilsverkündung aber nicht per se als milder verstanden wissen. Tatsächlich kann manch Erwachsener für eine Tat eine Geldstrafe zahlen, während ein Jugendlicher dafür zwei Wochen in den Arrest wandert. Ein Jugendstrafurteil dient generell nicht wie bei Erwachsenen der Sühne und dem Schuldausgleich, sondern der Erziehung. Im Zentrum steht die Frage: Was braucht die angeklagte Person, damit sie möglichst keine Straftaten mehr begeht?

Schaller urteilt am Mittwoch auch nach der Schwere der Schuld. Die greift, wenn jemand nicht aus einem "inneren Zwang" heraus eine Tat begeht, etwa aus Notwehr, sondern salopp gesagt, aus Tollerei, ohne wirklichen Grund. Ronald Stahls Anwalt verbucht das als Teil seines Siegs.

H.s Verteidiger Hans-Jochen Schrepfer findet das angewandte Jugendstrafrecht "falsch, aber für die Befriedung der Angelegenheit möglicherweise richtig". Er hatte 300 Stunden gemeinnützige Arbeit gefordert, nennt das Urteil aber "sehr moderat." Ob er mit seinem Mandanten in Revision gehen und somit vor das Bayerische Oberste Landesgericht ziehen werde, wolle er nun in Ruhe besprechen. Nach Urteilsverkündung hat er eine Woche Zeit.

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