Süddeutsche Zeitung

Prozess:Ein "unbekannter junger farbiger Mann" in der ersten Klasse

  • Ein junger Senegalese sitzt im Zug in der ersten Klasse - das weckt die Aufmerksamkeit eines Polizisten.
  • Obwohl er privat unterwegs war, kontrollierte er den Mann. Es kam zu einer verbalen Auseinandersetzung, der Fall landete vor Gericht.
  • Dass der Polizist dabei selbst ohne Ticket in der ersten Klasse unterwegs war, spielte dabei keine Rolle mehr.

Von Matthias Köpf, Miesbach

Kann so einer wirklich eine Fahrkarte für die erste Klasse haben? So ein "unbekannter junger farbiger Mann", wie ihn der Polizist in seiner schriftlichen Darstellung für die Staatsanwaltschaft beschreibt? Jedenfalls habe er den unbekannten jungen farbigen Mann "freundlich" darauf hingewiesen, dass er in diesem Abteil ein Ticket für die erste Klasse brauche, worauf der andere "aggressiv" zurückgefragt habe, ob er denn selber ein solches Ticket habe. Hatte er nicht. Die Frage lag nahe, denn der Polizist trug keine Uniform, er war privat unterwegs. Und selbst wenn er eine getragen hätte, hätte ihn diese nur zu einer Gratisfahrt in der zweiten Klasse berechtigt.

Jedenfalls hat der weitere Verlauf der Auseinandersetzung in der Bayerischen Oberlandbahn (BOB) Richtung Tegernsee zu einem Strafprozess vor dem Amtsgericht Miesbach geführt, in dem sich der junge Senegalese wegen Schwarzfahrens und Beleidigung verantworten muss. Dafür hat der bayerische Behördenapparat weder Kosten noch Mühe gescheut.

Der 23 Jahre alte Mann soll den Polizisten einen "Rassisten" genannt haben, wobei er vor Gericht versichert, er habe nur "wie ein Rassist" gesagt. Das fehlende Ticket war laut seiner Aussage ein Versehen. Er war mit einer Ersatzbescheinigung vom Kundencenter der BOB in Holzkirchen unterwegs. Die Mitarbeiterin dort hatte sie ihm ausgestellt, weil er im vorherigen Zug Ticket und Rucksack liegen gelassen hatte. Im nächsten Zug habe er sich mit der Ersatzbescheinigung versehentlich in die erste Klasse gesetzt. Den Rucksack habe er in Tegernsee von anderen Polizisten zurückbekommen.

Der Staatsanwalt will von ihm noch wissen, wie viel so ein Ticket koste, wo er es gekauft habe und wie oft er nach München fahre. Der Dolmetscher übersetzt alles in ein sehr afrikanisches Französisch. Eine Pflichtverteidigerin hat das Landgericht mit Verweis auf die Menschenrechtskonvention auch bestellt, obwohl der Amtsrichter dies als unnötig abgelehnt hatte.

Die Verteidigerin würde den Polizisten zu gern fragen, warum ein unbekannter junger farbiger Mann kein Ticket für die erste Klasse haben sollte, selbst wenn es wirklich so gewesen ist. Zudem sei die Gegenfrage ihres Mandanten berechtigt gewesen, denn der Polizist hatte selber kein Ticket für die erste Klasse, sondern befand sich laut seiner Darstellung nur "mit Genehmigung der Zugbegleiterin" im Abteil.

Aber der Beamte erscheint nicht vor Gericht. Er spielt an dem Tag mit seinem Polizeiorchester bei einem Benefizkonzert. So stimmen der Angeklagte und die Verteidigerin "schweren Herzens" einer Einstellung des Verfahrens gegen 40 Sozialstunden zu.

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SZ vom 23.01.2017/infu
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