Prozess:Baby fast verhungert - Angeklagte Mutter räumt Fehler ein

  • Eine Mutter, die ihr Baby fast verhungern ließ, steht seit diesem Dienstag in Augsburg vor Gericht.
  • Die 29-Jährige muss sich wegen versuchten Mordes verantworten.

Von Stefan Mayr

Der kleine Jeremy muss entsetzlich ausgesehen haben. Als er in die Klinik eingeliefert wurde, wog der acht Monate alte Bub weniger als vier Kilogramm. Normal sind in diesem Alter etwa acht bis neun Kilo. "Ich dachte, wir sehen Bilder aus Afrika", sagt der Vorsitzende Richter Christoph Wiesner am ersten Prozesstag gegen Jeremys Mutter Sindy P. "Wenn er nicht ins Krankenhaus gekommen wäre, wäre er gestorben", sagt Wiesner. "Irgendwann wäre er tot im Bett gelegen."

Die Kinderärzte im Augsburger Kinderkrankenhaus Josefinum kämpften sechs Wochen lang um das Leben des abgemagerten Babys. Mit Erfolg. Seit Dienstag muss sich seine Mutter vor dem Landgericht Augsburg verantworten. Der Vorwurf lautet: versuchter Mord durch Vernachlässigung.

Die Angeklagte sieht nicht aus wie eine potenzielle Mörderin. Als sie den Schwurgerichtssaal betritt und das Blitzlichtgewitter der Pressefotografen beginnt, bricht die 29-Jährige in Tränen aus. Auch bei der Verlesung der Anklageschrift schluchzt sie, vergräbt ihr Gesicht in einem Papiertaschentuch und schüttelt ihren Kopf. "Ich liebe meine Kinder über alles", sagt sie, "ich hätte ihnen nie was antun können."

Die Staatsanwaltschaft sieht das anders. Sie wirft der gelernten Metzgereifachverkäuferin "böswillige Vernachlässigung" ihrer drei Kinder vor. "Aufgrund eigensüchtiger Beweggründe", so fährt der Staatsanwalt fort, habe die Angeklagte ihre Kinder "körperlich und geistig" vernachlässigt und sie nicht ausreichend ernährt. Auch Jeremys ältere zwei Geschwister waren unterernährt und mussten stationär behandelt werden.

Die Angeklagte hat insgesamt fünf Kinder - von vier verschiedenen Männern. Sie war alleinerziehend und wohnte in einer Obdachlosenunterkunft. Im Mai 2015 wurden ihr drei Kinder vom Jugendamt weggenommen, im Oktober wurde sie verhaftet. Bereits 2008 wurden ihr die ersten zwei Söhne weggenommen. Sie leben heute beim Vater. Unter Tränen räumt Sindy P. ein, dass sie damals ihre ein und zwei Jahre alten Söhne einfach alleine zu Hause gelassen habe, um auszugehen. Mit den nächsten drei Kindern habe sie aber alles besser machen wollen. Bis im Februar 2015 die Depressionen kamen. "Ich habe es nicht mehr ausgehalten", sagt sie.

Als Kind sei sie von ihrem Vater sexuell missbraucht worden. Die Bilder von damals seien "nicht mehr weggegangen". Deshalb habe sie Alkohol getrunken, "damit ich wenigstens schlafen kann". Die Richter fragen, warum sie nicht zum Arzt oder zum Psychotherapeuten gegangen sei. Sindy P. antwortet, weil sie sich schämte, weil sie keine Krankenkarte für Jeremy hatte und weil sie dachte, sie schaffe das. "Ich war überzeugt, es geht ihnen gut." Der Angeklagten droht lebenslange Haft. Das Urteil fällt wohl noch im Juni.

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