Prozess:Angeklagter gesteht, Frau vor 30 Jahren vergewaltigt zu haben

  • Vor 30 Jahren soll ein Mann eine 22-Jährige vergewaltigt, mit einem Schraubenzieher auf sie eingestochen und sie im Wald verscharrt haben.
  • DNA-Spuren brachten Ermittler auf die Spur des Mannes, der die Vergewaltigung gestanden hat; an einen versuchten Mord will er sich allerdings nicht erinnern.
  • Die Vergewaltigung wäre 30 Jahre nach der Tat verjährt; ein versuchter Mord aber verjährt nicht.

Aus dem Gericht von Olaf Przybilla, Aschaffenburg

Die Ermittler hatten wenig Hoffnung, den Fall noch aufzuklären. Insgesamt 1100 Spuren hatten sie nach der Vergewaltigung mit anschließendem Mordversuch an einer damals 22-Jährigen in einem Wald bei Aschaffenburg ausgewertet, ohne Erfolg.

Eine Belohnung von 5000 Mark - vor 30 Jahren zahlte man noch in Mark - war ausgesetzt worden, ebenfalls erfolglos. Und ein Phantombild hatte die Polizei veröffentlicht mit einigen Details: Ein schmuddeliger Typ soll der Täter gewesen sein, der den örtlichen Dialekt spricht und vermutlich ein Problem mit Alkohol hat. Auch das ohne Erfolg.

Mehr als 30 Jahre später nimmt ein 55 Jahre alter Mann in einem Container des Aschaffenburger Landgerichts Platz, das Gericht wird derzeit renoviert, daher die ungewöhnlichen Umstände. Der Angeklagte soll am 4. Januar 1988 eine junge Frau im Waldgebiet "Hasenkopf" auf brutale Weise über Stunden vergewaltigt, danach mit einem Schraubenzieher schlimm zugerichtet und anschließend verscharrt und mit Laub bedeckt haben.

Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der Angeklagte dachte, sein Opfer sei tot. Die 22-Jährige aber, die zwischenzeitlich bewusstlos war, konnte sich früh um fünf Uhr mit letzter Kraft zu einer Straße schleppen, dort hielt der erste Autofahrer. Nach mehreren Operationen überlebte sie. Die Vergewaltigung wäre 30 Jahre nach der Tat verjährt. Ein versuchter Mord aber verjährt nicht.

Der Angeklagte trägt eine dicke Brille, er starrt unbeirrt in Richtung Richterbank; viel sprechen will er nicht, die Hauptsache lässt er seinen Anwalt sagen. Der räumt für seinen Mandanten die äußeren Umstände der Tat weithin ein. Er sei in der Zeit in jenem Winter 1988 arbeitslos und am Boden gewesen, in den Tagen nach dem Jahreswechsel sei seine persönliche Situation eskaliert.

An jenem 4. Januar, dem Tattag, will er sich erinnern, schon tagsüber mit dem Trinken begonnen zu haben. Als er abends aus dem Haus ging, sollen es zwölf Flaschen Bier, eine halbe Flasche Wein und ein halber Liter Wodka gewesen sein. Ihm sei klar gewesen, "dass heute was passiert", sagt der Anwalt. Deshalb habe er einen Schraubenzieher mitgenommen. Kein Messer, damit nicht zu viel passiert.

Ein Ermittler wird später von einem "absoluten Martyrium" sprechen, das die Frau erlitten habe. Ihr Peiniger habe sich offenbar zunächst einige Stunden in der Innenstadt herumgetrieben, bis er vor einer Diskothek in einer Passage eine ihm nicht bekannte Frau sah. Die stieg um zwei Uhr nachts gerade in ihr Auto. Der Angeklagte habe die Fahrertür aufgerissen, habe die Frau mit dem Schraubenzieher am Hals bedroht und sich auf den Beifahrersitz gezwängt.

Sie solle ins nahe Haibach fahren, und zwar "hinnerum", habe er sie angebrüllt. Der Mann ließ sich dann, auf dem kürzesten Weg, zu einem Feldweg fahren. Der Ermittler ist überzeugt, dass der Angeklagte "sehr gezielt" gehandelt hat dabei, den Waldweg in der Nähe der Aschaffenburger Kinderklinik konnten nur Ortskundige kennen; und die direkte Strecke genau dorthin nur einer, der das geplant hat.

Immer wieder habe er sich der Polizei stellen wollen - aber geschafft habe er es nicht

Der Polizist hat einige vergleichbare Fälle recherchiert, eine so brutale Vergewaltigung aber, über nahezu drei Stunden, habe er selbst in den Datenbanken kaum finden können. Der Angeklagte räumt auf Nachfrage sogar die Dauer seiner Tat ein. Nur eines könne er nicht sagen: dass er die Frau nach Stunden gefesselt, danach aus dem Auto in den Wald gezwungen, dort zunächst einmal und nach einer Pause noch ein zweites Mal wild auf die Frau eingestochen habe.

Daran könne er sich nicht erinnern. Da habe er einen "Filmriss". Die Tat tue seinem Mandanten leid, sagt der Anwalt. In der Untersuchungshaft habe er sich selbst ein "Arschloch" genannt. Er habe das "Leben einer Frau verpfuscht". Immer wieder habe er sich der Polizei stellen wollen. Aber geschafft habe er es nicht.

Vor zwei Jahren, 28 Jahre nach der Tat, hatte sich die Kriminalpolizei Aschaffenburg noch einmal die Akten des Falls vorgenommen. Viermal war das Auto in der Würzburger Rechtsmedizin nach genetischen Spuren untersucht worden, ergebnislos. Das Landeskriminalamt aber fand vor einem Jahr mit einer neuen, aufwendigen Mikrospurenmethode einen Treffer. Am 13. September 2017 teilte es diesen der Kriminalpolizei mit.

Die DNA an "einer Abklebung der Rückbanklehne, hinten rechts" sei identisch mit der des nun Angeklagten. Der hatte 2004 seine damalige Frau vergewaltigt. Seither war seine DNA in der Polizeidatenbank registriert. Er habe ein "richtiges Bauchgrummeln gehabt", sagt der Ermittler, sich nach so langer Zeit bei der Frau zu melden. Es hätte ja sein können, dass die Frau sagt, sie wolle mit der Polizei nichts mehr zu tun haben.

In polizeilichen Vernehmungen hat die Frau angegeben, sie sei "nie mehr der Mensch geworden", der sie vor der Tat gewesen ist. Sie gelte zwar als Mensch voller Energie. Das aber sei eine Fassade. Sie benötige so viel Kraft, um diese nach außen aufrechtzuerhalten, dass sie zu Hause nur noch Ruhe wolle. Auch 30 Jahre danach.

Die nimmt sie offenbar auch im Gericht zusammen. Die gelernte Friseurin spricht mit fester Stimme, "es ist ein bisschen auch befreiend, jetzt hier sein zu können", sagt sie. Ihr müsse "nichts peinlich sein, ihm muss es peinlich sein", davon sei sie inzwischen überzeugt. Immer noch leide sie unter Angstattacken, wenn sie allein zum Auto gehen müsse. Auch im Wald.

Trotzdem habe sie nach Jahren beschlossen, joggen zu gehen. Sie merke, es helfe ihr am meisten, wenn sie sich selbst mit dem, was gewesen ist, konfrontiere. Was ihr durch den Kopf geschossen sei, als sie gehört hat, es sei nun ein Täter gefunden, will der Richter wissen. "Es gibt noch Gerechtigkeit", sagt die Frau. Der Prozess wird fortgesetzt.

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