Prozess:Ärzte verschweigen Intersexualität - Frau hat Anspruch auf Schmerzensgeld

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  • Weil sie vor einer ärztlichen Behandlung nicht ausreichend aufgeklärt wurde, hat eine Intersexuelle Anspruch auf Schmerzensgeld und Schadenersatz.
  • Das hat das Landgericht Fürth entschieden.
  • Der heute 41-Jährigen wurde bei einem Eingriff verschwiegen, dass sie einen XY-Chromosomensatz hat.

Von Katja Auer, Nürnberg

Das Uniklinikum Erlangen muss einer Intersexuellen Schmerzensgeld und Schadenersatz zahlen. Die 41-Jährige sei nicht ausreichend aufgeklärt worden, bevor ihr 1995 die angeblich vergrößerte Klitoris verkleinert und sie mit Östrogenen behandelt wurde, urteilte das Landgericht Nürnberg am Donnerstag.

Die Intersexuelle wurde als Frau behandelt, obwohl sie ein X- und ein Y-Chromosom in sich trägt, also den männlichen Chromosomensatz. Das aber teilten ihr die Ärzte nicht mit, sie erfuhr erst 2004 davon. Hätte sie es gewusst, so argumentierte sie, hätte sie der Behandlung nicht zugestimmt. Das Gericht beurteilte ihre Einwilligung als nicht wirksam und die Operation daher als rechtswidrig. Die Ärzte hätten ihr "kein zutreffendes Bild von ihrem gesundheitlichen Zustand vermittelt", begründete die Richterin. Intersexuelle können Merkmale beider Geschlechter aufweisen.

Wie damals im Intersexuellen umgegangen wurde

Ein Behandlungsfehler des operierenden Arztes liege aber nicht vor, die Klage gegen ihn wies das Gericht ab. Ein Gutachter und der Anwalt des beklagten Arztes erklärten beim Prozessauftakt im Februar, damals sei es Konsens gewesen, intersexuellen Menschen die Diagnose zu verschweigen, um keinen Schock auszulösen. Schließlich seien die Patienten schon als Mann oder Frau sozialisiert worden.

Heute würden intersexuelle Menschen anders behandelt. Sie würden über ihren Chromosomensatz informiert, außerdem werde ihnen freigestellt, wie sie therapiert werden wollten, ob sie als Mann oder Frau leben möchten. Der 41-Jährigen blieb das verwehrt. Sie sei nach der Behandlung krank geworden, litt unter Knochenschmerzen, Migräne, Sehstörungen, Depressionen, sagte sie. Heute ist sie erwerbsunfähig.

Nach der Urteilsverkündung am Donnerstag zeigte sich die 41-Jährige aus Mittelfranken erleichtert. "Das ist schon mal ein wichtiger Schritt in die richtige Richtung", sagte sie. Sie wolle weiter dafür werben, "dass wir von der Gesellschaft so anerkannt werden, wie Gott uns geschaffen hat". Wie hoch Schadenersatz und Schmerzensgeld ausfallen, ließ das Gericht offen, dafür bedürfe es einer weiteren Beweisaufnahme. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, beide Parteien können Berufung zum Oberlandesgericht einlegen.

© SZ vom 18.12.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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