Protestaktion vor der Allianz:Hungern für Daniel

"Helft Daniel Bernert" steht auf den T-Shirts, in denen Mutter Claudia und ihre Unterstützer vor der Zentrale der Allianz-Versicherung ausharren.

"Helft Daniel Bernert" steht auf den T-Shirts, in denen Mutter Claudia und ihre Unterstützer vor der Zentrale der Allianz-Versicherung ausharren.

(Foto: Stephan Rumpf)

Seit mehr als 20 Jahren fordert Claudia Bernert Entschädigung für ihren Sohn, der von Geburt an behindert ist. Vergleiche mit der Münchner Allianz-Versicherung hat sie abgelehnt, nun greift sie zu einem drastischen Mittel.

Von Sarah Kanning

Claudia Bernert hat sich ein Stirnband über die Ohren gezogen, in den Händen hält sie einen Becher heißen Kaffee. Sie friert an diesem Morgen von Tag zwei ihres Hungerstreiks. Seit Montagfrüh, zehn Uhr, hat die zierliche Frau mit den kurzen weißen Haaren keinen Bissen mehr zu sich genommen, nur Wasser und Tee. Sie hungert vor der Zentrale der Allianz-Versicherung in München, Dauer ungewiss, weil sie möchte, dass ihr Sohn Schmerzensgeld zugesprochen bekommt und eine Berufsausfallsrente. Denn Daniel Bernert, heute 29, war in der Schwangerschaft unauffällig - und ist heute schwer behindert. Schuld daran seien der entbindende Frauenarzt und eine Hebamme, weil sie Fehler vor, während und nach der Geburt machten, sagt Claudia Bernert.

Seit mehr als zwanzig Jahren kämpft sie mit der Allianz, bei der Arzt und Hebamme versichert waren. Ging es anfangs um die Frage, wer Schuld an Daniels Behinderung hat, geht es inzwischen vor allem darum, wer für ein Leben aufkommen muss, das mit Rollstuhl, Pflege und behindertengerechten Umbauten teurer und aufwendiger ist als das Leben eines Gesunden. Und das vor allem anders verlaufen ist, als es nach Meinung von Claudia Bernert hätte verlaufen können: "Daniel bräuchte ja keine Sozialhilfe, wenn er nicht behindert wäre, und dann gäbe es auch keine Pflegekosten", sagt die Mutter. Den Satz "wenn Daniel gesund wäre", sagt sie oft, mit sehr viel Bitterkeit. Doch Daniel Bernert wird nie arbeiten können, er sitzt im Rollstuhl, kann kaum gehen. Er hat nie Skifahren oder Radfahren gelernt. Er lacht, wird aber nie lesen und schreiben können. Er wird immer ein Vollzeitpflegefall sein.

Daniel soll abgesichert sein

Seine Mutter ist über sechzig, beim Heben ihres erwachsenen Kindes hat sie sich zwei Bandscheibenvorfälle geholt. Irgendwann wird sie sich nicht mehr kümmern können. Dann soll Daniel abgesichert sein, wünscht sich die Mutter, weiterhin die Therapiestunden bekommen, die seine Spastiken entspannen, weiterhin in der Wohngemeinschaft wohnen können, in die er nach dem Tod des Vaters vor einigen Jahren gezogen ist. "Es geht mir nicht um Rache. Es geht um meinen Sohn. Ich appelliere an die Menschlichkeit", sagt sie.

Seit zwei Jahrzehnten beschäftigt der Fall Bernert die Gerichte, die Akten darüber füllen im Haus der Familie in Immenstadt im Allgäu zwei Schränke. Zweimal hat das Landgericht Kempten verfügt, dass Daniel Bernert voll entschädigt werden muss. Es geht um eine Summe in Millionenhöhe. Zweimal hat das Oberlandesgericht München die Urteile aufgehoben. Im Mai dieses Jahres entschied nun der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, dass ein Großteil der Behinderungen nicht auf Behandlungsfehler im Krankenhaus zurückzuführen seien. Daniel sei bereits schwer geschädigt auf die Welt gekommen. Arzt und Hebamme, beziehungsweise deren Versicherer Allianz, müssen daher nur für ihre Versäumnisse nach der Geburt und den daraus entstandenen Schaden haften. Er ist mit 20 Prozent veranschlagt. Daraus ergeben sich 273 000 Euro plus Zinsen sowie eine monatliche Rente von rund 750 Euro.

"Das ist einfach zu wenig Geld, wenn man sich anschaut, wie viel Daniel braucht", sagt Daniel Bernerts Schwester, die der Mutter in den Hungerstreik-Tagen nicht von der Seite weicht. "Jeden Monat kommen 7000 Euro für Wohnen, Pflege, Medikamente zusammen." Einen großen Teil übernehmen davon Sozialversicherer und Krankenkasse.

Vergleichsangebot abgelehnt

Das Vergleichsangebot von 1,8 Millionen Euro, das die Allianz vor dem BGH-Urteil anbot, nahm die Familie ebenfalls nicht an, "auch wenn wir es gerne hätten". Es sei nicht direkt als Schmerzensgeld für Daniel deklariert gewesen, die Familie befürchtete deshalb, 400 000 bis 500 000 Euro an die Sozialversicherungsträger erstatten zu müssen. Doch Schmerzensgeld in solcher Höhe ist eher in Amerika möglich, in Deutschland lag eines der höchsten bei 700 000 Euro.

Bei der Allianz bedauert man die verfahrene Situation. "Das Schicksal Daniel Bernerts geht mir als Familienvater nahe. Ich kann gut nachvollziehen, dass Frau Bernert sich Sorgen um ihren Sohn macht, und verstehe ihre persönliche Haltung", schreibt Alexander Vollert, Vorstandschef der Allianz, in einer Erklärung. "Umso mehr bedauere ich, dass Familie Bernert nicht auf unsere mehrfach ausgesprochenen Vergleichsangebote eingegangen ist."

Was die Aktion bringt? Claudia Bernert weiß es nicht. Die Zeit für Vergleiche ist vorbei. "Doch wenn die Allianz wirklich wollen würde, könnte man viel machen, auch über eine Stiftung oder ähnliches", sagt sie. Vielleicht will sie selbst jetzt eine gründen, der Zuspruch sei groß. "Ich bleib jetzt einfach mal hier", sagt die kleine Frau. "Ich habe Urlaub eingereicht für eine unbekannte Zeit. Ich will was erreichen."

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