Protest gegen Wiederaufbereitung:Dieses Brett wurde in Wackersdorf berühmt

Wackersdorf: Rudolf Forster auf einer Demonstration gegen die Wiederaufbereitungsanlage

Mit einer klaren Botschaft gegen die Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf zog Rudolf Forster damals zu den Demos.

(Foto: HDBG)

Rudolf Forster ließ sich das Stück Holz 1986 von seinem Schwiegervater zuschneiden. Da ahnte er noch nicht, dass er damit zu einem Symbol für den Protest werden würde.

Von Andreas Glas

Rudolf Forster öffnet seine Haustür. Er sieht anders aus als auf dem Foto von damals. Dünner, älter, grauer. Und, klar, das Brett fehlt. Wer Forster, 79, nur vom Foto kennt, der kennt ihn mit Holzlatte an der Stirn. Das Foto ist fast jedem bekannt, der die Proteste in Wackersdorf verfolgt hat. Nur wenige kennen den Kopf hinter dem Brett.

Er bittet in die Küche. Wer am Küchentisch Platz nimmt, schaut ins offene Wohnzimmer. Kachelofen, Pendeluhr, Sessel, Sofa. Vor 20 Jahren ist seine Frau an Krebs gestorben, kein Möbelstück scheint er seitdem verrückt zu haben. Seit seine Frau tot ist, sei er ein trauriger Mann, sagt Forster. Dann erzählt er von Wackersdorf. Und beginnt zu lächeln.

Früher lächelte er selten, wenn er über Wackersdorf sprach. Da war vor allem Zorn, als Forster von den Plänen der Staatsregierung hörte, dort eine Wiederaufbereitungsanlage (WAA) für Atommüll zu bauen. In seiner Nachbarschaft, in Kohlberg in der Oberpfalz, gab es noch mehr Leute, die zornig waren. Aber die meisten "haben sich nicht interessiert, was da passiert", erinnert sich Forster. "Da hab ich mir gedacht: Was kannst du tun, um die Leute aufzurütteln?" Die Leute, die aus seiner Sicht blind waren für die Gefahren des WAA-Projekts. "Nur wer ein Brett vorm Kopf hat, kann für die WAA sein", sagt Forster. Diesen Gedanken habe er damals gehabt. Daraus wuchs eine Idee, die ihn für kurze Zeit berühmt machte.

Er stellt jetzt eine Bügelflasche auf den Küchentisch. Selbstgemachter Johannisbeersaft. Die Beeren hat er in seinem Garten gepflückt. "In diesen Garten ist noch keine Chemie reingekommen", sagt Forster. Die Natur ist ihm wichtig, das war schon damals so, auch deshalb machte er mit beim WAA-Protest. Im Februar 1986 ging er zur Schreinerei, die sein Schwiegervater in Kohlberg besaß. Er bat ihn, ein Fichtenbrett zuzuschneiden. Wozu das gut sei, fragte der Schwiegervater. Forster erzählte es ihm. Der Schwiegervater setzte die Säge an, "aber widerwillig, seine Kundschaft war ja überwiegend für die WAA. Es hat ihm nicht so recht gefallen, dass ich mich engagiere".

Zu Hause schrieb er mit schwarzem Filzstift aufs Brett: "Nur wenn i a Brett davor hätt wär i dafür". Und rechts und links daneben, in blauer Farbe und Großbuchstaben: "WAA". Das Brett war fertig, aber: "Ich musste noch schauen, wie ich es am Kopf befestigen kann." Damals arbeitete Forster als Werkstattleiter für die Handwerkskammer, bildete Umschüler zu Maschinenbauern aus. Er kannte diese Helme, die Schweißer mit einem größenverstellbaren Band an ihren Köpfen befestigten. Er kaufte so ein Kopfband. Es konnte losgehen.

Es war der 9. Februar 1986, Faschingssonntag, als Forster das Brett auf die Rückbank seines Audi 100 legte und in Richtung Süden fuhr, 50 Kilometer, bis nach Wackersdorf. Dort, im Taxöldener Forst, demonstrierten an jenem Sonntag 5000 Menschen gegen die Pläne der Staatsregierung, darunter viele in Kostümen. Sie formierten sich zu einem "Gaudiwurm", einem Faschingszug, das Motto hieß: "Uns wurmt die WAA." Dicht an dicht marschierte Forster neben den anderen, "das war nicht gerade einfach, wenn man so ein Ding aufhat", 60 Zentimeter lang, 13,5 Zentimeter hoch, ein halbes Kilo schwer. Forster erinnert sich, dass das Brett bei den Demonstranten für Lacher sorgte - und die Aufmerksamkeit eines Fotografen der Deutschen Presse-Agentur weckte.

"Diese Abscheu ist irgendwie in mir drin geblieben"

Protest gegen Wiederaufbereitung: Am Erfolg des Widerstands hat er lange gezweifelt, erzählt der heute 79 Jahre alte Rudolf Forster.

Am Erfolg des Widerstands hat er lange gezweifelt, erzählt der heute 79 Jahre alte Rudolf Forster.

(Foto: GLA)

Zunächst habe er nicht begriffen, dass es ein Fotograf war, der plötzlich auf ihn zukam. "Irgendeiner schiebt mich zu einer Hundertschaft der Polizei", sagt Forster. Dann habe der Mann zu fotografieren begonnen. Dass dabei ein Foto entstand, das Karriere machen sollte, begriff Forster erst am Tag danach. "Meine Frau ging zur Sparkasse, da hat einer zu ihr gesagt: Ihr Mann ist heute in der Süddeutschen Zeitung." Und nicht nur dort. Überall in der Republik druckten Zeitungen das Foto vom Mann mit der Bommelmütze, dem Schnauzbart und dem Brett vorm Kopf.

Inzwischen ist Forsters Bart weiß geworden, hat sich großflächig um Mund und Kinn ausgebreitet. Er ist längst in Rente, liest täglich Zeitung, sein Interesse an Politik ist ungebrochen. "Politik hat mich immer interessiert, das ging schon los, als Atombomben auf Japan abgeworfen wurden." Im August 1945, zum Zeitpunkt der US-Angriffe auf Hiroshima und Nagasaki, war er sechs Jahre alt. Er hörte seine Eltern reden über die Bomben und darüber, "wie schlimm das war und dass Tausende Leute gestorben sind. Diese Abscheu ist irgendwie in mir drin geblieben", sagt Forster.

Sie kam wieder hoch, als Anfang der Achtzigerjahre die WAA-Debatte begann. Immer wieder fuhr er zu den Demonstrationen in den Taxöldener Forst. Mal allein, mal mit seiner Frau, mal mit seinen Söhnen. Seine Chefs bei der Handwerkskammer erfuhren erst durch das Foto in den Zeitungen, dass Forster am Protest teilnahm. Bei den Handwerkern, CSU-nah, kam das gar nicht gut an. "Ganz böse" seien die Chefs gewesen, "da habe ich Probleme gekriegt. Ich war Werkstattleiter und dann hat man einen zweiten Leiter in meinem Bereich eingestellt", erzählt Forster über die beruflichen Konsequenzen, die das Foto und seine Protestfahrten nach Wackersdorf für ihn hatten. "Aber das war mir egal. Ich bin weiter hingefahren."

Rudolf Forster steht auf, verlässt die Küche und geht hinaus auf dem Flur. Er öffnet eine Klappe in der Holzdecke, steigt eine Leiter hinauf, klettert durch eine Luke auf den Dachboden. Der Schritt durch die Luke ist wie ein Schritt in die Vergangenheit. Unterm Dach hat Forster die Zeit eingefroren: das Teenagerzimmer seines Sohnes. Er scheint auch hier kein Möbel verrückt zu haben, nachdem der Sohn auszog. Überall an den Wänden kleben Fotos vom WAA-Protest und Zeitungsartikel, die darüber berichten. Dazwischen Franz-Josef-Strauß-Karikaturen und Poster, auf denen "Widerstand ist Pflicht" steht.

Am Erfolg des WAA-Widerstands habe er lange gezweifelt, erinnert sich Rudolf Forster. Drei Jahrzehnte später sagt er: "Es hat funktioniert." Der Bau der Anlage, das ist bekannt, scheiterte am Bürgerprotest. Und damit auch an einem Mann mit Brett vorm Kopf.

Das Exponat wurde dem Museum der Bayerischen Geschichte in Regensburg zur Verfügung gestellt, das im Mai 2019 eröffnen soll. Näheres dazu unter www.hdbg.de

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