Prostituierte in Nürnberg:Aus dem Rotlicht an die Kasse

Was schreibt man in den Lebenslauf, wenn man 20 Jahre lang angeschafft hat? In Nürnberg werden Prostituierte, die sich einen "normalen Job" wünschen, durch ein Modellprojekt unterstützt.

Olaf Przybilla

Andrea Naumann, Sozialpädagogin, hatte keine konkrete Vorstellung vom einschlägigen Gewerbe, bevor sie beim Modellprojekt "Opera" in Nürnberg begonnen hat, das sich um die Eingliederung von Prostituierten in den Arbeitsmarkt kümmert. Beziehungsweise: Sie hatte eine Vorstellung, die aber speiste sich in erster Linie aus den Berichten des wohl privatesten aller Privatsender, "aus RTL II", sagt Naumann.

Straßenstrich in der Hansastraße in München, 2000

Momentan arbeiten mindestens 1300 Prostituierte allein in Nürnberg, die meisten davon in privaten Wohnungen.

(Foto: ddp)

Ein Jahr hat sie sich nun mit den Biographien von Prostituierten beschäftigt, hat versucht, ihnen Praktika in einem Arbeitsmarkt zu vermitteln, der gemeinhin als "der normale" gilt, und wie es so ist: Von den Klischees aus dem Nachtprogramm ist inzwischen nicht mehr viel übrig geblieben.

"Opera" steht für orientieren, probieren, erfahren und ausbilden, das Projekt wird unterstützt vom Bundesfamilienministerium. Es geht darum, ausstiegswilligen Prostituierten eine Perspektive zu bieten, und eines hat die Pädagogin rasch gemerkt: Die Lebensgeschichten ihrer Klienten sind so unterschiedlich, wie Geschichten nur sein können.

Da gibt es die Germanistin, die keinen Job gefunden hat. Es gibt die Architektin mit Abschluss, genauso aber gibt es Frauen, die mit der Bitte in die Beratungsstelle in die Nürnberger Breitscheidstraße kommen, ihnen beim Verfassen eines Lebenslaufs zu helfen. Was schreibt man da rein, wenn man 20 Jahre lang angeschafft hat?

Die "Tätigkeit in der Gastronomie" ist eine Variante, andere wollen auf das "selbständig im erotischen Gewerbe" nicht verzichten - weil sie keine Lüge im Lebenslauf stehen haben wollen. Beate Leopold, sie leitet das Projekt, rät davon nicht ab: Sie beschäftigt sich wissenschaftlich mit der Arbeit von Prostituierten, und eines, sagt sie, sei gar nicht von der Hand zu weisen: Ihre Klienten bringen Kompetenzen mit, die auf dem Arbeitsmarkt gebraucht werden, einen hohen Grad an "Kundenorientierung und Selbstorganisation" etwa. Wie die Leute von Opera seit einem Jahr beobachten können, kommt das gut an bei den neuen Arbeitgebern.

Für den Einstieg zum Ausstieg aber bedarf es meist der Hilfe. "Der Wechsel ist ein langwieriger und schmerzhafter Prozess", sagt Leopold, oft bedürfe es eines Impulses. Momentan arbeiten mindestens 1300 Prostituierte allein in Nürnberg, die meisten davon in privaten Wohnungen. 36 lassen sich nun von Opera schulen, um irgendwann den Absprung zu schaffen: Bewerbungstraining, Sprachkurse, psychische Begleitung. 2014 endet das Bundesprojekt, Opera hofft dann, von der Stadt weiter finanziert zu werden.

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