Projekt gegen verstümmelte Rehe:Bambi darf nicht sterben

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Kommt der Rasenmäher, ducken sie sich und bleiben liegen: Jedes Jahr, wenn die Wiesen gemäht werden, werden so 100.000 Rehkitze getötet oder verstümmelt. Mit einem Hightech-Gerät sollen die Tiere nun geschützt werden.

Dietrich Mittler

Das ist der Moment, auf den alle gewartet haben: Nun soll die Öffentlichkeit auf dem Gelände des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) das Hightech-Projekt kennenlernen, in dessen Weiterentwicklung die Bundeslandwirtschaftsministerin Ilse Aigner (CSU) 2,5 Millionen Euro investieren will. Die Spannung steigt. Ein Rehkitz duckt sich scheu ins Gras, vor ihm liegt ein etwa doppelt so großes Fluggerät mit acht Rotoren. Die Ministerin nimmt Haltung an - umrahmt von Ingenieur Martin Israel und Jürgen Vocke, dem Präsidenten des bayerischen Jagdverbandes. Kurz darauf ertönen Geräusche, die stark an einen elektrischen Rasenmäher erinnern, und schon schraubt sich das Fluggerät, ein Oktokopter, in die Höhe. Nur das Rehkitz bleibt regungslos: Es ist ausgestopft.

edes Jahr sterben in Deutschland rund 100.000 Rehkitze, weil sie unter Mähmaschinen geraten. (Foto: dpa)

Das pfeilschnelle Fluggerät, das Aigners Entourage mit wachen Blicken im Auge behält, ist das Kernstück eines aufwendigen Forschungsprogramms. Es soll - wenn es denn in gut dreieinhalb Jahren in Serienreife entwickelt ist - die Verstümmelung von Jungtieren beim Mähen landwirtschaftlicher Flächen verhindern helfen. Deutschlandweit werden Schätzungen zufolge jedes Jahr bei der Grünlandmahd rund 100 000 Rehkitze schwer verletzt oder gar getötet. Grund dafür ist der sogenannte Drückinstinkt der Jungtiere. "Anstatt zu fliehen verharren die Kitze regungslos auf dem Boden, wenn Gefahr droht", sagt Aigner. Und Jäger-Präsident Vocke lässt wissen: "Sie vertrauen auf ihre Tarnung." Schon bisher, darauf legt Vocke Wert, hätten Jäger vor der Mahd die Wiesen abgesucht. Sie könnten so vielen Jungtieren das Leben retten - sofern die Landwirte den Jägern rechtzeitig den Mahdtermin mitteilten. Zur herkömmlichen Praxis gehört es auch, die Tiere durch knisternde Plastiktüten oder Flatterbänder vom Betreten der Wiesen abzuhalten. Doch das allein verhindert nicht, dass viele Jungtiere bei der Mahd ein grausames Ende finden.

Die Verstümmlung eines Jungtieres sei auch für Landwirte furchtbar, betont Aigner. Erst kürzlich habe ihr ein gut 70 Jahre alter Bauer erzählt, er habe als Bub miterlebt, wie ein Kitz bei der Mahd verstümmelt wurde. "Für die Bauern ist das eine psychische Belastung. Manche träumen nachts sogar von den verstümmelten Jungtieren", sagt Peter Haschberger, Abteilungsleiter im DLR-Institut für Methodik der Fernerkundung. Jürgen Vocke indes macht deutlich, dass ein untergemähtes Jungtier die Mahd unbrauchbar für die Verfütterung mache. Doch der Hauptaspekt bleibe der Tierschutz. Der Jagdverband hat schon das Vorläuferprojekt "Wildretter" durch Know-how unterstützt, nun will er sich auch finanziell beteiligen. Eines der Fluggeräte - jedes gut 30 000 Euro teuer - hat der Verband bereits gekauft, wie Geschäftsführer Joachim Reddemann sagt. Weitere Bestellungen sollen folgen.

Der Mann des Tages, zumindest der zufriedenste, war wohl der DLR-Ingenieur Martin Israel, der das Fluggerät weiterentwickelt und sich vor allem um sein Innenleben gekümmert hat. "Das Besondere an unserem System ist, dass es eine Thermalkamera an Bord hat, mit der sich die Jungtiere aufspüren lassen", sagt er. Damit nicht genug: Auf winzigstem Raum hat Israel weitere Kameras und darüber hinaus drei Rechner für die Bildverarbeitung und die Flugroutenberechnung eingebaut . Sind erst einmal die Koordinaten eingegeben, so fliegt der Oktokopter das Gelände eigenständig ab. "Unser Ziel ist, dass das System die Kitze bald voll automatisch selbst erkennt", sagt er. Momentan müsse man noch auf einen Monitor schauen, der mit der Fernbedienung verbunden ist. Ist das Kitz gefunden, so kann es der Landwirt mit einer Art Chip kennzeichnen, der wiederum einen Piepton auslöst, sobald man sich dem Kitz nähert. Ladendieben dürfte diese Technologie leidvoll vertraut sein. Ministerin Ilse Aigner ist indes sehr angetan: Hier werde endlich einmal auch anwendungsorientiert geforscht - und das gemeinsam mit einigen Firmen.

© SZ vom 30.05.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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