Prozess in Würzburg:Priester soll mehr als eine Million Euro veruntreut haben

Wenn Kirchengelder auf dubiose Art und Weise verschwinden: Ein unterfränkischer Priester soll mehr als eine Million Euro aus Spenden und Kollekten veruntreut haben. Jetzt steht er in Würzburg vor Gericht. Was veranlasste ihn zu einer solchen Tat?

Olaf Przybilla

Man muss in Laudenbach den schmalen Hügel hinaufsteigen, um zu erahnen, was für ein erhebendes Gefühl es sein muss, hier Dorfpfarrer sein zu dürfen. Steht man vor dem Kirchenportal, dann schweift der Blick rechter Hand ins Maintal. Bei klarer Sicht glaubt man die Türme der Sakralbauten von Würzburg zu erkennen, aber vielleicht bildet man sich das auch nur ein.

1969 wurde Hans S. hier Priester, und wer sich umhört im unterfränkischen Dorf - es wurde inzwischen ins Städtchen Karlstadt eingemeindet -, der hört immer wieder die Geschichte, wie zufrieden sie all die Jahre mit ihrem Pfarrer waren. Wie sehr dieser in seiner Aufgabe aufzugehen schien, insgesamt 40 Jahre lang. Und wie sehr sie ihm die Stange halten - auch jetzt, da sich der pensionierte 78-Jährige vor dem Landgericht Würzburg verantworten muss. Laut Staatsanwaltschaft soll der Priester mehr als eine Million, exakt 1.088.658 Euro und 30 Cent, aus dem Kirchenvermögen veruntreut haben.

Es kursieren viele anrührende Geschichten über den Priester, die meisten aber haben mit der Art zu tun, wie der Ortspfarrer von Sankt Ägidius mit den Habseligkeiten seiner Kirche umzugehen verstand. Der Organist müsste das am besten wissen, er bekam jene Zettel zugesteckt, auf denen der Pfarrer den Liederkanon für den nächsten Gottesdienst notiert hatte.

Bei diesem Zettel, so erzählen sie es im Dorf, handelte es sich nicht selten um ausrangierte Briefkuverts, möglicherweise um die Korrespondenz des Pfarrers mit der Diözese. Exakt war das schwer nachzuvollziehen, denn der Priester hatte Absender und Adressen aus den Kuverts geschnitten und die Restbögen mit Liednummern versehen. Nach dem Gottesdienst mussten die Zettel wieder eingesammelt werden, am nächsten Sonntag sollten sie ja wiederverwendet werden. Auf der Rückseite war schließlich Platz für weitere Liednummern.

Vom Geiz des Pfarrers aber will keiner sprechen im Ort. Auch machte sich niemand lustig, wenn der Priester sein Gewand mal wieder so lange trug, dass sie bei einer Kleiderkollekte kaum mehr Verwendung dafür gefunden hätten. Dass er sich zumeist weigerte, in Urlaub zu fahren, galt ohnehin als normal. Und ihre Tageszeitung gaben die Gemeindemitgliedern ihrem Pfarrer auch gerne. Die Kosten für ein eigenes Abo hätten diesen gewiss nicht in den Ruin getrieben, aber das Herz möglicherweise unnötig schwer gemacht. Schließlich soll der Geistliche in permanenter Angst gelebt haben, im Leben noch einmal mittellos zu sein.

Wie kann einer so werden?

Am zweiten Verhandlungstag vor dem Landgericht Würzburg geht es - vorläufig noch unabhängig von der möglichen Schuld des Priesters - genau um diese Frage: Wie einer so werden kann? Warum einer, selbst im relativen Wohlstand und mit einem Pfarrersgehalt gesegnet, ein so seltsames Verhältnis zu den materiellen Dingen des Lebens entwickelt?

Der Anwalt des Angeklagten verliest eine Erklärung zum Werdegang des Pfarrers, er sagt, dieser Lebenslauf könnte "in gewissem Umfang Einfluss auf die vorgetragenen Vorwürfe der Staatsanwaltschaft" genommen haben. Hans S. wurde im Sudetengebiet geboren, sein Vater fiel im Krieg, bei der Flucht in den Westen durfte seine Mutter maximal 50 Kilogramm auf einem Waggon verstauen, das Vermögen blieb zurück.

In Pflaumheim bei Aschaffenburg kam man unter, fünf Personen in einem Raum. Hans S. machte erst eine Schneiderlehre. 1955 holte er dann das Abitur in Miltenberg nach, studierte Theologie und bezog 1969 die Pfarrwohnung in Laudenbach. 40 Jahre lebte er dort.

"Schwarze Kassen"

Nachdem sich der Pfarrer wegen Steuerhinterziehung selbst angezeigt hatte, fanden Ermittler bei einer Hausdurchsuchung in dieser Wohnung 133.071 Euro Bargeld in Kuverts. Diese trugen verschiedene Aufschriften, mal war "Neues Geld" darauf zu lesen, mal "Schwarze Kassen". Versteckt waren die Umschläge überall in der Wohnung, manche in Schränken ohne Schlüssel, andere gut verstaut unter Geschirreinlagen in Schubladen. Der Staatsanwaltschaft zufolge stammte das Geld aus Spenden, aus Gottesdienstsammlungen sowie anderen Kollekten. Geld also, das dem Pfarrer anvertraut worden war.

In anderen Fällen soll er Kirchenvermögen direkt für seine private Lebensführung verwendet oder auf Privatkonten überwiesen haben. Zudem soll er Kollekten auf Konten überwiesen haben, die zwar formal auf den Namen einer Kirchenstiftung liefen, die aber niemand außer ihm kannte. Insgesamt wirft die Staatsanwaltschaft dem einstigen Pfarrer vor, in 50 Fällen systematisch Kirchenvermögen veruntreut zu haben. Alles in allem eine siebenstellige Summe.

Der Pfarrer erscheint an diesem zweiten Verhandlungstag in schlichtem Gewand und in Sandalen. Er lässt seinen Anwalt die Erklärung zu seinen Vermögenswerten vorlesen und korrigiert diese nur insofern, als er auf Nachfrage des Staatsanwalts einräumt, ihm würden momentan nicht mehr 1300 Euro vom Ruhestandsgehalt per Pfändung abgezogen. Denn das hinterzogene Steuergeld in sechsstelliger Höhe sei bereits abbezahlt.

Der erste Anwalt des Pfarrers hatte das vor Ermittlern abgelegte Geständnis des Priesters zurückgezogen. Um aus der Untersuchungshaft zu kommen, hätte der Pfarrer alles gestanden, hatte der Anwalt gesagt. Inzwischen hat dieser Anwalt sein Mandat zurückgezogen. Der neue Anwalt gibt nun zu erkennen, dass diese Rücknahme des Geständnisses im Prozessverlauf wohl ebenfalls zurückgenommen werden soll. Die Verhandlung wird am 20. Oktober fortgesetzt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: