Prien:Warum Ludwig Thoma als Namenspatron eines Gymnasiums umstritten ist

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Autor der "Lausbubengeschichten" und zynischer Menschenfeind: In Prien beschäftigen sich Schüler mit dem bayerischen Schriftsteller - und sind überrascht über sein widersprüchliches Wirken.

Von Hans Kratzer, Prien

Die wenigen Jugendjahre, die der Dichter Ludwig Thoma in Prien am Chiemsee verbracht hat, dürften ziemlich lebhaft verlaufen sein. Jedenfalls, wenn die Anekdoten in seinen "Lausbubengeschichten" einigermaßen zutreffen. Thomas Mutter hatte 1876 die Gaststätte "Zur Kampenwand" in Prien gepachtet, Ludwig wurde ins Internat gesteckt und kehrte in den Ferien zurück. Thoma war wohl ein Rabauke, sein Biograf Martin A. Klaus vermutet sogar, die Streiche hätten ein solches Ausmaß angenommen, dass die Mutter Prien deshalb überstürzt verlassen musste.

Das Gebäude, in dem der Gasthof Kampenwand untergebracht war, existiert immer noch. Seit Ende der 1940er-Jahre beherbergt es das Ludwig-Thoma-Gymnasium, in dem aktuell 920 Schülerinnen und Schüler unterrichtet werden. Aus heutiger Sicht ist es bemerkenswert, dass überhaupt ein Gymnasium nach Thoma benannt ist. Immerhin weist die Biografie des lange Zeit hochgeachteten Schriftstellers allerdunkelste Seiten auf.

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Mittlerweile ist bekannt, dass er zum Ende seines Lebens hin im Miesbacher Anzeiger anonym gegen Juden, Linke und die Demokratie hetzte. Die Texte weisen ihn als zynischen Menschenfeind aus. Das alles kam aber erst ans Licht, nachdem das Gymnasium längst seinen Betrieb aufgenommen hatte.

Vielen Priener Gymnasiasten dürften die Schattenseiten Thomas unbekannt sein. "Ich habe mich erst jetzt näher mit Thoma beschäftigt", erzählt Salome Plank, Schülerin der 12. Klasse des Ludwig-Thoma-Gymnasiums, und sie ist diesbezüglich kein Einzelfall. Nun hatte Salome einen triftigen Grund, sich mit Thoma auseinanderzusetzen. In einem P-Seminar im Fach Deutsch befasste sie sich zusammen mit einem guten Dutzend Mitschülerinnen und einem Mitschüler intensiv mit dem Leben und Werk des Dichters.

Wird Thoma am Gymnasium überhaupt noch gelesen? "Eigentlich nicht", sagte Salome Plank bei der Präsentation der vom Seminar gestalteten Thoma-Ausstellung im Evangelischen Gemeindezentrum Prien. "Seine Werke waren im Unterricht bisher nie ein Thema, ich kannte nur einen Teil der Lausbubengeschichten."

Thoma ist aus der bayerischen Literatur nicht wegzudenken

Die Ausstellung beleuchtete anlässlich des 150. Geburtstages von Thoma verschiedene Facetten des Dichters, die weit über die bekannten Lausbubengeschichten hinausgingen. "Die Person Thoma ist doch komplexer, als wir dachten", sagte Salome Plank. "Der Lausbub Ludwig, das war unsere gängige Vorstellung. Ich wusste nichts von seinem Antisemitismus, auch nichts von seinen tragischen Liebesgeschichten, und die Romane kenne ich auch nicht."

Dieses Bekenntnis einer angehenden Abiturientin überrascht dann doch, denn Thoma ist aus der bayerischen Literatur nicht wegzudenken. Was er schrieb, das ist Bayern in seiner intensivsten Form. Thoma habe das Bayerische deutschlandweit zur Geltung gebracht hat, sagt der Literaturwissenschaftler Waldemar Fromm.

Und dazu der scharfe biografische Kontrast. Der linksliberale Satiriker Thoma, der zum rechten Hetzer wurde. "Der Mann hatte zwei Gesichter", sagt die Thoma-Biografin Gertrud Rösch, und daran anknüpfend, arbeitete auch das P-Seminar diesen Zwiespalt heraus, nicht zuletzt mit Textbeispielen aus seinen frühen und seinen späteren Lebensjahren.

Günther Madsack, der frühere Leiter des Priener Gymnasiums, bestätigte in der Ausstellung, dass Thoma im Unterricht nur selten thematisiert wird. Das sei auch nicht verwunderlich, denn im Abitur komme so gut wie nie ein bayerischer Schriftsteller dran. Wer soll da Thoma-Romane lesen, auch wenn ihre sozialkritische Thematik zeitlos ist? Auch der Kreisheimatpfleger Karl J. Aß sieht, dass Thoma immer weniger Leser findet. "Die Lausbubengeschichten sind noch bekannt, aber wohl mehr wegen der Verfilmungen." Auch die Thoma-Ausstellung, die kürzlich im Museum in Prien gezeigt wurde, sei nur auf ein mittelmäßiges Interesse gestoßen.

Am Ludwig-Thoma-Gymnasium aber reizt der Namensgeber doch ab und zu zur kritischen Auseinandersetzung. In der Aula hängt seit Jahren eine Schülerarbeit, ein gebrochenes Gesicht von Thoma, das seine Ambivalenz gut widerspiegelt. Im Gymnasium hat sich sogar noch ein hölzerner Fußboden aus der Zeit Thomas erhalten.

Ob das alles ist, was bleiben wird? Wohl nicht, das P-Seminar verwies auf die "Heilige Nacht". Eine Dichtung, die Thoma mitten im Ersten Weltkrieg und in einer heftigen Lebenskrise geschrieben hat. Sie zählt zum Feinfühligsten, was je in bayerischer Mundart verfasst wurde. Heute ist das Stück fester Bestandteil der bayerischen Adventsfolklore, oft hart am Kitsch entlang interpretiert. In der Vorweihnachtszeit aber gibt es kaum noch einen Ort, an dem es nicht gelesen würde. "Offenbar brauchen das die Menschen", sagt Aß, "die jetzige Zeit ist ja auch irgendwie zerrissen."

© SZ vom 21.11.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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