Die Nutzung eines Smartphones bietet vielerlei Risiken und Nebenwirkungen. Zu den eher physisch spürbaren zählt, was auf einem Zettel an einer Glastür am Willibald-Gluck-Gymnasium in Neumarkt in der Oberpfalz illustriert ist: Ein Strichmännchen hat seine Aufmerksamkeit dem Handy gewidmet, stolpert und rauscht eine Treppe auf körperlich schmerzhafte Weise hinunter.
Gleich nebenan haben sich am Montag in der Schule allerlei hochrangige Uniform- und Anzugträgerinnen eingefunden, um über primär psychisch spürbare Gefahren zu sprechen: Der Neumarkter Landrat Willibald Gailer, Vertreter der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth, der Polizei, des Amtsgerichts und des Kreisjugendamtes Neumarkt, der Opferhilfe Weißer Ring und der Schule haben zum Auftakt einer Präventionswoche an das Gymnasium eingeladen. Etwa 450 Schülerinnen und Schüler aus den achten Klassen dreier Schulen sollen bis Freitag verstehen, wie schnell man in der digitalen Welt zum Opfer und zum Täter werden kann.
Die zunehmende Verbreitung von Cybermobbing, digitaler Gewalt und „Schulhofpornografie“ zeigten, „dass wir gemeinsam handeln müssen“, erklärt der Oberpfälzer Polizeipräsident Thomas Schöniger. Viele Jugendliche seien sich „der Tragweite ihres Handelns nicht bewusst“. Aufklärung sei daher „der erste Schritt, um Jugendliche zu schützen“. In diesem Fall muss man sagen: vor sich selbst – und vor anderen.
Denn zwischen beiden Seiten, der des Opfers und des Täters, liegen manchmal ein paar Handgriffe am Smartphone. Wird zum Beispiel einem 14-Jährigen von einem Klassenkameraden ein Porno mit erwachsenen Darstellern zugesendet, so ist der 14-Jährige zunächst Opfer des Straftatbestandes der Verbreitung pornografischer Inhalte. Schickt er das Video einem gleichaltrigen Freund weiter, macht er sich wegen derselben Tat strafbar – er hat als Strafmündiger einem Minderjährigen Pornografie zugänglich gemacht.
Zeigen die Videos keine erwachsenen, sondern – wie es zunehmend der Fall ist – minderjährige Menschen, drohen noch höhere Strafen. Mit dem Versenden solcher Inhalte schade man zudem nicht nur dem Opfer, also dem Aufgenommenen, sagt Polizeipräsident Schöniger. Sondern auch den Adressaten der Bilder. Ein Foto in einem Gruppenchat macht alle Mitglieder zu Mittätern.
„Das ist jetzt Kinderpornografie?“ Ja, lautet dann die Antwort – ist es
Bei der Aufklärung und Verfolgung solcher Taten berücksichtigten die Ermittler bei Jugendlichen ganz besonders den Kontext, sagt Sebastian Pelkhofer von der Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth. Schicke etwa ein 17-Jähriger einem 16-jährigen Kumpel einen Porno, falle dies weniger schwer ins Gewicht, als wenn ein 15-Jähriger einem zwei Jahre jüngeren Mädchen ein Bild seines Genitals sende. Man führe keine dezidierte Statistik, sagt Pelkhofer, aber Besitz und Verbreitung strafrechtlich relevanter Bilder hätten bei jungen Menschen deutlich zugenommen. Er spricht von einem „Sprung“ in den vergangenen Jahren. Bestimmte Darstellungen würden „inzwischen viral gehen und massiv Verbreitung finden“.
Was Pelkhofer und die anderen Anwesenden ebenfalls feststellen: Oftmals fehlt das Unrechtsbewusstsein. Sie erlebten, sagt der Staatsanwalt, immer wieder Jugendliche, die „vermeintlich lustige Inhalte“ geteilt hätten und überrascht seien: „Das ist jetzt Kinderpornografie?“ Ja, lautet dann die Antwort – ist es.
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Um mehr Aufmerksamkeit zu schaffen, ist an diesem Tag auch Marvin Sperber zugegen. Der 24-Jährige ist Influencer mit plattformübergreifend knapp 2,5 Millionen Followern, macht, wie er selbst sagt, „lustige Videos mit oft ernstem Hintergrund“ und arbeitet für die Aktionswoche mit der Oberpfälzer Polizei zusammen. In seiner Kindheit habe er als schwarzer Mensch viel „mit Mobbing und Rassismus zu tun“ gehabt, sagt er. Für ihn sei das Projekt einerseits „Teil der Weiterverarbeitung“ und andererseits wolle er den Kindern zeigen, „dass sie nicht alleine sind“. Inhaltlich bleibt sein Austausch mit den Kindern am Montag überschaubar, sie wollen viel lieber Selfies und Autogramme von Sperber. Aber immerhin: Er steigert die Aufmerksamkeit für das Thema.
Um obendrein ein besseres Verständnis für die Taten und ihre Opfer zu entwickeln, besuchen die Achtklässler drei Stationen in Neumarkt: die Polizeiwache, auf der ihnen Beamte in einem Vortrag erklären, welche Vergehen sich im digitalen Raum begehen lassen. Das Amtsgericht, an dem sie in einem fiktiven Verfahren selbst als Richterin, Angeklagter, Staatsanwalt und Verteidiger und Nebenklageanwältin fungieren und lernen, welche Konsequenzen die Taten für sie haben können. Und die Feuerwache, wo sie mit Experten des Weißen Rings jene Taten beleuchten, für die das Strafrecht keine Paragrafen umfasst, die aber doch schwere Folgen für die Opfer haben können.
„Was ist eigentlich Cybermobbing?“, diese Frage wirft ein Projektor auf eine Leinwand in dem Schulungsraum der Feuerwehr und Alexander, 13, hat da eine Idee: „Wenn man was verschickt, was andere verletzt.“ Er selbst habe damit zum Glück noch keine Erfahrungen gemacht, überhaupt sei so etwas wie an diesem Tag sonst nur selten Thema. „Heute beschäftigt man sich zum ersten Mal richtig damit“, sagt er. Alexanders Gruppenmitglieder haben derweil die Auswirkungen von Cybermobbing auf einem Plakat in zwei Bereiche unterteilt. „Seelische Auswirkungen – man fühlt sich schlecht (ausgeschlossen, unterdrückt), Suizidgedanken“ steht da. Und „körperliche Auswirkung: Bauchschmerzen, man verletzt sich selbst“.
Die Hemmschwelle, sich Hilfe zu holen, sei für Opfer von Cybermobbing sehr hoch, sagt Doris Klingseisen, die Landesvorsitzende des Weißen Rings Bayern-Nord. Opfer seelischer Verletzungen litten an diesen oft noch stärker als Opfer körperlicher. „Diese Schmerzen sieht niemand, aber die sind hier drinnen“, sagt sie und legt die Hand aufs Herz.
Auf der Leinwand steht auch diese Frage: Warum mobbt jemand einen anderen? „Aus Neid, oder wenn man selbst nicht mit sich zufrieden ist“, meint Sara, 17. Ihre Mitschülerin Emilia sieht das ähnlich: „Wegen eigener Schwächen“, sagt die 13-Jährige. Und dann ist da noch die vierte Frage: Wie kann man sich schützen vor, was lässt sich tun gegen Cybermobbing? „Man soll sich nicht davon einschüchtern lassen“, sagt Emilia.