Was verbindet den Blick auf den Tölzer Kalvarienberg und die Aussicht vom Loisachufer über die Wolfratshauser Altstadt mit der Münsinger Moränenlandschaft samt der auf dem Hügel thronenden Pfarrkirche St. Johann Baptist Holzhausen? Zweifellos dürften alle drei Bildmotive zu den ortstypischsten im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zählen und sind auch deshalb bis heute auf klassischen Ansichtskarten zu sehen. Ein Medium, dass die Bilderflut sozialer Medien und Messenger-Apps begraben zu haben scheint. Dafür spricht, dass in Wolfratshausen etwa nur in wenigen Geschäften noch Ansichtskarten zu finden sind, die Darstellungsbandbreite begrenzt ist.
Zeigt das beispielhaft, wie marginal das Geschäft mit der Ansichtskarte geworden ist, das womöglich nur noch ältere Generationen am Markt halten? „Das ist nicht, dass Werbeinstrument, dass ich unbedingt brauche“, sagt die junge Lenggrieser Tourismusleiterin Maria Bader frei heraus. Der Stellenwert der Ansichtskarte habe im vergangenen Jahrzehnt stark abgenommen. Denn viele verschickten heutzutage mit dem Handy selbst aufgenommene Fotos direkt über die Messenger-App.
Laut Bader bekommt aber jeder Tourist in Lenggries mit der Gästekarte klassische Ansichtskarten als Begrüßungsgeschenk gratis obendrauf, Stifte inklusive. „Das wird total gerne genommen“, sagt die Tourismusleiterin. Vor allem die Weitblicke über Lenggries oder den Sylvensteinspeicher kämen ganz gut an. Generell seien Postkarten nicht mehr so viel gefragt. Wenn schrieben vielfach die Enkel an Großmutter oder -vater, so Bader. „Was schade ist, weil eine Postkarte einfach persönlicher ist.“
Nur ein Paralleltal weiter westlich hält es Daniel Weickel zu früh, das Medium verloren zu geben. „Ich schreibe selbst auch noch Postkarten, sagt der 37-jährige Tourismusleiter der Gemeinde im Zweiseenland. Seine beiden Kinder fänden das genauso toll. „Weil es etwas Besonderes ist.“ Sich hinzusetzen und sich die Zeit zu nehmen zum Stift zu greifen, sei ein Zeichen der Wertschätzung an die Menschen, für die jemand schreibe. „Postkarten sind sehr glaubwürdig und für uns wichtig“, sagt Weickel.
Kochel will heuer einen Testversuch mit kostenlos ausgegebenen Postkarten wagen
Damit spielt er auf den Marketingeffekt an. Seiner Darstellung nach will die Tourist-Information in Kochel am See in diesem Sommer einen Testversuch wagen. So legt die Kommune für die Gäste eine Charge mit verschiedenen Motiven kostenlos auf. Die Beschriftung werde sich am Motto der Kochler Kommunikationsstrategie „Einfach. Natürlich. Inspirierend“ orientieren. „Wir wollen nicht nur das Bild sprechen lassen, sondern die Postkarten zeitgemäß gestalten“, so Weickel. Kostenlos sei das Angebot, um den Gewerbetreibenden, die das Medium verkauften, keine Konkurrenz zu machen.
Was auf den Postkarten der Kochler Kommune gezeigt werden könnte? Weickel denkt etwa an die Herzogstandbahn oder das Walchenseekraftwerk, Landschaftsmotive von Seen und Bergen. Generell kauften die Leute, wenn auch in geringerem Umfang als zu Hochzeiten, Ansichtskarten an ihren Aufenthaltsorten. Wie alt jemand sei, spiele keine Rolle.
Um die 30 Kilometer Luftlinie weiter nördlich im Landkreis fragt sich Hermann Paetzmann allerdings, wie viele Leute tatsächlich heute noch Ansichtskarten bei der Post aufgeben. Zum 1000-jährigen Gründungsjubiläum von 2003 habe er in seinem Druckereibetrieb zuletzt in größerem Stil Postkarten produziert. Am Stand des Vereins Flößerstraße, in dessen Vorstand Paetzmann aktiv ist, verschenke er Karikatur-Postkarten mit dem gezeichneten Wolfratshauser Wolf und Kirchturm. Insbesondere Collagen-Motive mit den touristischen Highlights würden aber nach wie vor nachgefragt. „Das ist eine gute Zusammenstellung.“
Darunter fallen etwa die Altstadt mit der zentralen Achse der Marktstraße und Loisach in der Luftaufnahme, das Flößerdenkmal oder der Blick auf die Pfarrkirche St. Andreas von Bergwald-Perspektive. Postkarten aus der Druckerei Peatzmann mit diesen Motiven von Fotograf Siggi Menzel gibt es seit etwa einem Monat im Schreibwarengeschäft samt Postfiliale in der Bahnhofstraße. Weil immer wieder Leute speziell nach Wolfratshauser Postkarten gefragt hätten, sagt Sonja Piller.
Das bestätigt Fabian Krell vom Zeitschriften- und Tabakladen in der Loisachpassage genauso. Der Inhaber hat selbst Karten mit verschiedenen Motiven in Auftrag gegeben. Die Käufer stammten aus allen Generationen, sagt er. Allerdings ist die Auswahl von Ansichten mit München-Bezug größer als die mit Flößerstadt-Aufnahmen. Und wer genau hinsieht, kann im Bild noch das inzwischen abgerissene Isarkaufhaus finden. Wolfratshausen sei eben eine kleine Stadt, die Zahl der Motive begrenzt, sagt Krell. Und wer in München war und vergessen habe, sich dort eine zu kaufen, hole dass dann gerne auch nach. Generell wollten die Käufer aber Karten mit Bildern vom Aufenthaltsstandort.
Das dürfte die Zeitgenossen kaum von den Generationen vor hundert bis 120 Jahren unterschieden haben. Nur war damals die Postkarte das Leitmedium, um Bekannten oder Familienangehörigen von Reisen und entfernteren Aufenthaltsorten berichten zu können.
Sammler Wiggerl Gollwitzer hat etwa ein Exemplar, auf der ein Mädchen berichtet, dass es ihr auf der Wolfratshauser Mädchenschule sehr gut gefalle, und bittet, ihr Wäsche zu senden, die sie in die Schubladen ihrer Kommode einsortieren wolle. „Mich interessiert, was die Leute damals so gedacht haben“, sagt der langjährige, frühere Vorsitzende der Loisachtaler Bauernbühne und Wolfratshauser Stadtrat. „Das ist einer der Gründe, warum ich angefangen habe, Postkarten zu sammeln.“
In Wolfratshausen ist der Blick von der Floßlände über die Loisach Richtung Altstadt der Dauerbrenner
Aktuell besitzt er zwischen 450 und 500 Postkarten aus dem Wolfratshauser Raum mit „locker“ 50 verschiedenen Motive, wie er sich ausdrückt. Diese Darstellungsvielfalt unterscheidet seine historischen Exemplare aus der Zeit um kurz vor 1900 bis in die 1950er-Jahre. Einst habe es einfach viel mehr Verlage und Kunstanstalten bis nach München gegeben, die Postkarten produzierten, sagt Gollwitzer. Hauptmotive waren damals auch schon die Floßlände mit dem Blick hin zur Altstadt mit dem inzwischen abgerissen Vier-Jahreszeiten-Haus und der Stadtpfarrkirche. Diese Ansicht habe über die Jahrzehnte zu den Dauerbrennern gehört wie die Sicht auf die sogenannte Schwanenwiese an der Floßlände mit vielen der nach ihr benannten Wasservögel inklusive.
Ebenfalls laut Gollwitzer sehr beliebt war die Darstellung des Campingplatzes samt damaligen Schwimmbad und Sprungbrett oder das Bild von Maler Richard Wagner von der letzten Spitzkehre am Wolfratshauser Berg bergab auf Weidachmühle, über Altstadt und Stadtpfarrkirche hinweg auf Wiesengründe und die Voralpen. Oder das Motiv von Kathi Kobus Café „Kathis Ruh“. Eine heile Welt, eine Idylle sei darauf zu sehen, die es wahrscheinlich so nie gegeben habe, sagt Gollwitzer.
Und bis heute offenbar gültiges Marketinginstrument. Dafür sprechen wenigstens die Motive der Postkarten, die Besucher in der Wolfratshauser Tourist-Information am Untermarkt kostenlos mitnehmen können – vom Blick vom Bergwald über die Dächer der Stadt, einem Paar im Kräutergarten, Konditorhandwerk mit der Spritztüte, den Flößern beim Zusammenbauen des Transportmittels bis zu Schwarz-Weiß-Luftaufnahmen aus dem Isartal.
Natur- und Landschaftsmotive dominieren die Auswahl an Postkarten, die Fritz Wagner in seinem Ambacher Verlag mit Sitz in Münsing verkauft. „500 bis 600 Stück verkaufen wir davon im Jahr“, sagt der Inhaber. Finanziell laufe das so nebenher. Glücklicherweise könne er aus dem Motivfundus für die Mitteilungsblätter der Gemeinde und der Nachbarkommune Berg schöpfen, die der Ambacher Verlag veröffentliche. Es handele sich um ein saisonales Geschäft, das zu den Haupturlaubszeiten im Sommer und zu Weihnachten am meisten nachgefragt sei. „Die Fotopostkarten gehen am besten“, sagt Wagner.
Darunter seien die Fotos der Holzhauser Musikkapelle bei Schnee und im Sommer im Freien die meistverkaufte. Womöglich sei dafür der exotische Bayernkolorit verantwortlich. Die historischen Postkarten im Sortiment verkauften sich bis auf die Ausnahme zur 1250-Jahr-Feier Ambachs eher weniger gut. „Die Leute wollen eben gerne den aktuellen Stand zeigen“, sagt Wagner.
Die Tölzer Tourist-Information hat 2023 insgesamt 7000 Ansichtskarten verkauft
In der Kreisstadt Bad Tölz sind im Jahr 2023 an den beiden Standorten der Tourist-Information immerhin um die 7000 Postkarten über den Ladentisch gegangen. „Gegenüber früher ist dieses Geschäft natürlich etwas rückläufig. Aber dennoch ist es nach wie vor eine gute Menge“, sagt Kur- und Tourismusdirektorin Brita Hohenreiter. Besonders gefragt seien Exemplare mit den typischen Tölzer Stadtansichten. Die kauften auch jüngere Gäste.
Ganz weg ist die klassische Ansichtskarte also keineswegs. An eine echte Renaissance wie zu Boomzeiten bis in die 1960er-Jahre glaubt zwar selbst ein begeisterter Sammler wie Gollwitzer nicht. Missen möchte er das Medium aber nicht und verschickt selbst gerne einige Exemplare aus dem Urlaub. „Du musst dich hinsetzen und dir ein paar Gedanken machen, bevor du schreibst“, sagt er. Das mache den Reiz der Postkarte aus.