Positive Prognosen:Der Motor der Stadt

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Der Automobilhersteller Audi will bis zum Jahr 2025 um die 9500 Arbeitsplätze abbauen. Davon auch betroffen ist der Stammsitz in Ingolstadt. (Foto: Imago)

Bei Rankings über Wirtschaftskraft, Wachstum oder Innovation steht Ingolstadt vor allem wegen Audi seit Jahren glänzend da

Von Johann Osel, Ingolstadt

Bei den Fürbitten kam dann doch zur Sprache, was zuvor wie ein Schatten über dem Gottesdienst lag: Sorgen um den Job, die Zukunft der Familie, um das, was man sich aufgebaut hat dort im prosperierenden Ingolstadt. Im Januar hatte sich das bundesweite Netzwerk "Christen in Automobilindustrie" erstmals in Bayern zu Gebet und Austausch getroffen, und die Organisatoren des Abends in der Piuskirche, ein paar Minuten nur entfernt vom Audi-Werk, wollten eines vermeiden - den Eindruck, es handele sich um einen Krisengottesdienst. Tatsächlich war das Treffen mit viel Vorlauf geplant. Doch eben bei der Anrufung des Herrn wurden ganz akute Bitten vorgetragen - für den Erhalt von Standort und Arbeitsplätzen, weise Entscheidungen in den Vorständen, "Gnade" über den Industriezweig. Für Beistand in der "Zeit der Transformation mit unklarem Ende".

Die wirtschaftliche Lage und der Umbruch in der Automobilindustrie beschäftigen Ingolstadt jetzt im Wahlkampf. Eine Krise wird zwar derzeit eher gefühlt, als dass sie tatsächlich durchschlüge, es ist ja keineswegs so, dass ein plötzlicher Niedergang hereingebrochen wäre über Stadt und Region - die Trends sind aber nicht erfreulich. Audi will bis 2025 um die 9500 Arbeitsplätze abbauen, betroffen sind hierzulande Neckarsulm und eben Ingolstadt. Die Devise lautet jedoch: Sozialverträglichkeit, zum Tragen kommen sollen vor allem Vorruhestandsregeln oder das Nicht-Nachbesetzen von Stellen. Zugleich gibt es am Standort Ingolstadt eine Beschäftigungsgarantie bis Ende 2029. Das bedeutet etwa auch: Jeder Audianer, dessen Job abgebaut wird, hat Anrecht auf Qualifizierung oder eine andere Tätigkeit. Ende März streicht der Konzern eine Montage-Schicht, auch für deren 1250 Arbeiter gilt diese Garantie.

Und doch keimt Unsicherheit auf: auch wegen der Zulieferer am Ort, wegen der Corona-Epidemie in China, das so eng mit Ingolstadt verbandelt ist, wegen der Konjunktur im Allgemeinen. "Wenn Audi hustet, hat die Region eine Lungenentzündung", heißt es gerne. Doch was ist, wenn Audi die Lungenentzündung bekäme? So sind viele Gerüchte in der Stadt unterwegs, man hört sie an Stammtischen, echten wie digitalen. Steht bald Kurzarbeit an? Was ist, wenn der Umstieg auf neue Antriebstechnologien nicht gut gelingt? Gibt es Verlagerungspläne? Zumal, wenn insgesamt die Wirtschaft einbricht? Bei Audi betont man die Jobgarantie; und in Konzernkreisen heißt es, der Abbau sei letztlich das "Schrumpfen auf ein reales Maß", nach vielen quasi unnormalen Rekordjahren.

Die Situation der Unklarheit kratzt auch am Selbstverständnis mancher Ingolstädter - man ist nach Einwohnern fünftgrößte Stadt Bayerns, im Selbstverständnis aber ein Stück weiter vorn. Über Jahre konnte man sich daran erfreuen, in Rankings glänzend dazustehen, wenn bundesweit Wirtschaftskraft, Wachstum oder Innovation gemessen wurden. Daran freilich dürfte sich 2020 nichts geändert haben.

Jüngste Prognosen der Bundesagentur für Arbeit taugen jedenfalls nicht zum Krisengeheul - aber auch nicht zum Jubel. Ingolstadt verbucht leicht steigende Arbeitslosigkeit, generell sinkt die Einstellungsbereitschaft. Gleichwohl wächst in der Prognose für das Jahr 2020 die Zahl der Jobs am Standort nach wie vor, nur langsamer. Freie Stellen sind dort so lang vakant wie fast nirgends. Und mit seiner Arbeitslosenquote, die als Vollbeschäftigung gilt, wird Ingolstadt weiterhin in der Spitzengruppe in Bayern sein. Ein Wert jedoch ist heikel, langfristig. Bei Jobs mit hoher "Substituierbarkeit", also theoretisch von computergesteuerten Maschinen ersetzbar, hat Ingolstadt eine Quote von 35,6 Prozent. Bayernweit beträgt sie 26,3 und in der Stadt München nur 14,7 Prozent.

© SZ vom 05.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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