Fall Peggy:Plötzlich wieder auf Spurensuche

Polizei sucht nach Peggys Leiche

Zwei Polizisten bewachen einen Hauseingang in Lichtenberg. Hier wird nun nach der Leiche von Peggy gesucht.

(Foto: dpa)

Für die Justiz schien der Fall abgeschlossen, doch jetzt ist die Polizei wieder auf Spurensuche. Zwölf Jahre nach dem Verschwinden der kleinen Peggy suchen die Ermittler unter einer Hofeinfahrt im oberfränkischen Lichtenberg nach der Leiche des Mädchens. Und sie befragen einen Hausbewohner - er ist wegen Sexualdelikten vorbestraft.

Von Uwe Ritzer

Das rosafarbene Haus am Marktplatz von Lichtenberg in Oberfranken ist mit rot-weißen Banderolen abgesperrt, vor der Tür stehen zwei uniformierte Polizisten. Ringsum ist die Aufregung groß. Am Montagmorgen hat nach Angaben von Augenzeugen ein Großaufgebot an Polizeibeamten überraschend damit begonnen, das Grundstück hinter dem Haus langsam und vorsichtig umzugraben. Dazu rückte eigens ein Bagger an.

Planen schützen die Einsatzkräfte dabei vor neugierigen Blicken. Ein Leichenspürhund kam zum Einsatz, nahm aber offenkundig keine Fährte auf. Auch das Haus selbst wurde nach Spuren durchkämmt und sein einziger Bewohner intensiv von den Beamten befragt: Robert E., ein einschlägig vorbestrafter Sexualtäter.

Die Polizeibeamten suchen nach einer Kinderleiche. Jener von Peggy Knobloch, die im Mai 2001 im Alter von neun Jahren unter mysteriösen Umständen verschwand. Seither kam das 1100-Einwohner-Städtchen Lichtenberg im Frankenwald unweit der Grenze zu Tschechien nie zur Ruhe. Die Spekulationen, was aus dem aufgeweckten blonden Mädchen mit dem frechen Lächeln wurde, das bis zu ihrem Verschwinden nur wenige Meter von besagtem rosaroten Haus entfernt mit ihrer Mutter und deren damaligem Freund wohnte, schießen bis heute ins Kraut.

Für die Justiz schien der Fall allerdings abgeschlossen. Bis jetzt zumindest. Im April 2004 verurteilte das Landgericht Hof den heute 35-jährigen, geistig behinderten Ulvi Kulac, einen Gastwirtssohn aus Lichtenberg, als Peggys Mörder zu lebenslanger Haft. Seither sitzt Kulac in der geschlossenen forensischen Abteilung des Bezirkskrankenhauses Bayreuth. Nicht nur in Lichtenberg zweifeln jedoch viele daran, dass Ulvi Kulac Peggys Mörder ist. Es fehlt der wichtigste Beweis: Die Leiche. Auch fanden sich keine Spuren, die definitiv Aufschluss über das Schicksal von Peggy Knobloch hätten geben können.

Nach jener suchen die Einsatzkräfte nun seit dem frühen Montagvormittag offenkundig hinter dem rosafarbenen Haus mitten im Dorf. Die Aktion werde womöglich mehrere Tage dauern, heißt es. Angeblich befand sich hinter dem Haus eine Zisterne, in der Peggys Leichnam entsorgt worden sein könnte. Darüber wurde zwischenzeitlich Pflaster verlegt, das nun vorsichtig abgetragen wird. Auch die darunterliegende Kanalisation soll einem Bericht des Bayerischen Rundfunks zufolge eingehend durchsucht werden.

Nebulöse Formulierungen

Warum die Polizei die Aktion gestartet hat blieb zunächst rätselhaft. "Die Summe der Erkenntnisse hat uns dazu veranlasst, hier Untersuchungen neu zu beginnen", formulierte ein Polizeisprecher etwas nebulös. Mit dem Wiederaufnahmeantrag, den Kulacs Verteidiger Michael Euler Anfang April medienwirksam beim Landgericht Bayreuth eingereicht hat, habe die Aktion jedoch nichts zu tun.

Der Frankfurter Anwalt hat auf etwa 2000 Seiten alles zusammengetragen, was seines Erachtens für die Unschuld seines Mandanten spricht. Von angeblichen neuen Zeugen ist die Rede und einer Tatrekonstruktion des Hofer Gerichtes, die so nicht stimmen könne. Ob und wann es gegebenenfalls zu einem Wiederaufnahmeverfahren kommt, ist noch völlig unklar.

Warum ausgerechnet das rosafarbene Haus und seinen Bewohner nun ins Visier der Ermittler gerieten, auch darüber macht die Polizei bislang keine Angaben. Die Frankenpost berichtet, dass es offenbar bereits länger entsprechende Hinweise gegeben habe. Keine Bestätigung gab es zunächst dafür, dass bei Robert E. bereits kurz nach Peggys Verschwinden 2001 ein Kinderhemd gefunden worden sei, dass von dem verschwundenen Mädchen stammen könnte.

Robert E. - nicht zum ersten Mal im Visier der Ermittler

Bereits damals hatten Fahnder unter anderem auch das Haus und das Grundstück abgesucht, sagte ein Mitglied der damaligen Sonderkommission am Montag der SZ. Es hätten sich seinerzeit jedoch keine Hinweise auf den Verbleib von Peggy oder überhaupt ein Zusammenhang zu diesem Fall ergeben. Im Oktober 2007 wurde das Haus allerdings erneut durchsucht. Diese Razzia stand in Zusammenhang mit einem anderen Ermittlungsverfahren gegen den Bewohner.

Denn Robert E. ist nun nicht zum ersten Mal ins Visier der Ermittler geraten. Der Frührentner ist wegen sexuellem Missbrauch von Kindern vorbestraft. 2008 verurteilte ihn das Landgericht Hof zu einer dreijährigen Freiheitsstrafe. Er soll zwei Mädchen missbraucht haben, seine Enkelin und sein Patenkind. Die Taten sollen sich Anfang des Jahrzehntes zugetragen haben, also in etwa zu der zeit, in der Peggy Knobloch verschwand. Zudem sollen die missbrauchten Mädchen in etwa im Alter von Peggy gewesen sein. Eines der Mädchen soll sie aus der Schule gekannt haben. Robert E. bestritt jedoch, Peggy Knobloch überhaupt gekannt zu haben.

Auch Ulvi Kulac hatte Kinder sexuell missbraucht. Streng genommen sitzt er deshalb in der geschlossenen Psychiatrie in Bayreuth; seine lebenslange Strafe wegen Mord trat er formal nicht an. Am Ende des Indizienprozesses war das Landgericht Hof überzeugt, dass auch Peggy das Opfer seiner Übergriffe geworden war. Aus Angst, sie könnte ihn verraten, habe Kulac sie umgebracht, urteilten die Richter damals.

Der geistig behinderte Mann, dessen Verstand in Folge einer Krankheit auf dem Niveau eines Kindes stehen geblieben ist, hatte die Tat zunächst gegenüber der Polizei gestanden. Allerdings unter fragwürdigen Umständen: Sein Anwalt war bei der Vernehmung nicht zugegen und ein Tonbandmitschnitt existiert nicht. Später hat Kulac sein Geständnis widerrufen und erklärt, die Beamten hätten ihn unter Druck gesetzt.

Seit Jahren kämpft eine Initiative um Kulacs Betreuerin Gudrun Rödel um dessen Rehabilitation. Würde nun tatsächlich sterbliche Überreste von Peggy Knobloch gefunden, wäre die nächste Frage, wer den Leichnam des Kindes dort abgelegt hat. In jedem Fall aber würde die Argumentationskette des Landgerichts Hof zusammenbrechen.

Rödel sagte am Montag der SZ, es habe bereits im Missbrauchsprozess gegen Robert E. konkrete Hinweise auf eine mögliche Verwicklung zum Fall Peggy gegeben. Diese seien jedoch nicht mit dem nötigen Nachdruck verfolgt worden.

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