Polizei in Ansbach:Schikanieren für die Karriere

Wer hat die meisten Bußgelder verhängt, wer hat die meisten Anzeigen erstattet? Im bayerischen Ansbach führte die Polizei Strichlisten, wie viele Verkehrssünden die Beamten anzeigten. Manche Bürger wurden bis zu drei Mal pro Tag kontrolliert.

Olaf Przybilla

43 Jahre hat Ulrich Mende den Führerschein und in dieser Zeit, so hat er das in Erinnerung, dürfte er höchstens dreimal von Verkehrspolizisten kontrolliert worden sein. Geändert hat sich das schlagartig, als seine Mutter ihm einen 25 Jahre alten Golf vererbte. Der Wagen war kaum gebraucht, verschrotten wäre eine Sünde gewesen und so hat sich Ingenieur Mende, 61, entschieden, den Weg von Zuhause zu seinem Büro in Ansbach künftig mit dem alten Golf zurückzulegen.

Polizeikontrolle in Friedrichshafen

In Ansbach führten die Polizisten Strichlisten über Verkehrskontrollen.

(Foto: dpa)

Vier Kilometer sind das nur, aber plötzlich wurde Mende ein bis zweimal pro Woche kontrolliert, erst dachte er an einen Zufall, aber als das ein Jahr so ging und dann noch ein Jahr, stellte er die Beamten zur Rede, möglichst freundlich. Bis ihm einer antwortete: ein altes Auto und ein alter Mann, so ist das eben.

An dem Tag, als Mende dreimal angehalten wurde, schrieb er einen Brief an den Dienststellenleiter der Inspektion in Ansbach. Was es mit der Gängelei auf sich habe und wie er sich gegen die "offensichtlichen Schikanen" wehren könne, fragte er. Eine Antwort bekam er nicht, jetzt aber, ein Jahr danach, glaubt Mende zu wissen, warum die Beamten fast zwanghaft nach möglichen Strafzettel-Kandidaten fahnden: In Ansbach werden Strichlisten geführt, welcher Beamte in welchem Zeitraum wie viele Verkehrsdelikte zur Anzeige gebracht hat.

Klaus Dieter Breitschwert hat die Listen einsehen können. Er ist Abgeordneter aus Ansbach. In der letzten Woche haben ihm mehrere Beamte der örtlichen Polizeiinspektion einen Besuch abgestattet. Sie haben ihm die Strichlisten vorgelegt, und sie haben ihm erzählt, wie sehr sie sich unter Druck gesetzt fühlen, möglichst hohe "Abschusszahlen" vorzulegen.

Wer hat die meisten Mängel festgestellt, wer hat die meisten Bußgelder verhängt, wer hat die meisten Anzeigen erstattet - wer dem Durchschnitt hinterherhinkt, für den soll es schwer werden mit der Karriere. Breitschwert vermag nicht zu beurteilen, ob alles zutrifft, was ihm die Beamten berichten. Das aber ist inzwischen klar: Es gibt diese Strichlisten. Und die Beamten, die sie dem Abgeordneten vorgelegt haben, weil sie offenbar kein Vertrauen haben in ihre Vorgesetzten, haben "große Angst, sich zu erkennen zu geben", sagt Breitschwert.

Keine Strichlisten mehr

Das Führen solcher Strichlisten wurde gerade vom Landespolizeipräsidenten untersagt. Innenminister Joachim Herrmann (CSU) beeilte sich, dem CSU-Abgeordneten Breitschwert eine Antwort auf seine Fragen zu schicken: Zwar existiere in Ansbach "keine Anweisung der Dienststellenleitung, dass jeder Beamte am Tag eine Verwarnung zu erbringen" habe, betont der Minister. Angesichts der Listen aber erklärt Herrmann auch, dass "die Einforderung von Arbeitsleistungen in Form von reinen Zahlenwerten nicht zielführend und deshalb abzulehnen" sei.

Wer sich mit mittelfränkischen Polizisten unterhält, der ahnt, dass es momentan vergnüglichere Arbeitsplätze gibt als den in Ansbach. Da gibt es jene Beamten, die auf die Nestbeschmutzer schimpfen. Keiner kennt sie, viele glauben, dass es Zukurzgekommene sind - vor allem aber glauben das wohl diejenigen, die bislang nichts dagegen hatten, sich ihre Striche vorzählen zu lassen. Ein Beamter berichtet, die Verkehrskontrollen glichen jetzt einem Spießrutenlaufen. "Braucht ihr wieder einen Strich für die Karriere?", werde man gefragt. Zumal es nicht das erste Mal ist, dass sich die örtliche Polizeileitung zum Gespött macht. Seit Monaten klagt sich der Chef der westmittelfränkischen Polizei, Raimund Swoboda, durch die Instanzen, wegen eines Bußgelds von 35 Euro. Er war in Nürnberg geblitzt worden, weil er die vorgegebene Geschwindigkeit um 19 Stundenkilometer überschritten hatte. Der Polizeichef ficht dagegen - bislang ohne Erfolg.

Für die Stimmung in der Inspektion sei schon dies "problematisch", sagt Helmut Frey, Personalrat bei der Polizei in Ansbach. Per Leserbrief in der örtlichen Zeitung hatte der Polizist Frey kürzlich dem Polizeichef Swoboda angeboten, unter Kollegen die 35 Euro einzusammeln, um damit Schaden von allen Beamten abzuwenden - ein vermutlich einmaliger Vorgang in der Geschichte der bayerischen Polizei. Nun steht schon wieder die Ansbacher Dienststelle unter Beschuss. Eines ist Frey wichtig: "Brutalen Druck hat es in Ansbach nicht gegeben, das sieht die Mehrheit der Beamten so."

Subtilen Druck aber natürlich schon, sagt ein anderer Beamter. Eines von 21Bewertungskriterien für die Beurteilung von Streifenbeamten ist die Anzahl von Kontrollen und Strafzetteln, das ist in ganz Bayern so. Und das wird auch in Ansbach so bleiben, auch wenn dort künftig keine plumpen Strichlisten mehr geführt werden dürfen.

"Diese reinen Quantitätskontrollen", sagt ein Ermittler, "waren schon immer ein Mittel eher schwach veranlagter Beamter." Das seien jene Polizisten, die "nachts links parkende Fahrzeuge" aufschreiben oder "Aufkleber auf Autokennzeichen" zur Anzeige bringen. Oder eben hoffen, bei einem älteren Auto einen Mangel feststellen zu können.

Dieses Problem hat Ulrich Mende übrigens nicht mehr. Von den Kontrollen entnervt hat er den Golf vor Monaten zum Kauf angeboten. Im neuen Wagen wurde er seither kein einziges Mal kontrolliert.

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