Politischen Aschermittwoch:Draufhauen mit Ansage

Politischer Aschermittwoch - Freie Wähler

Der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger

(Foto: dpa)

Beim politischen Aschermittwoch in Niederbayern hat die Auseinandersetzung Tradition. Beim großmäuligen Daherreden gibt es Naturtalente. Und solche, die sich verweigern. Der Tag in der Nachlese.

Von Anika Blatz, Anna Günther, Johann Osel, Christian Sebald und Lisa Schnell

Mehr als 100 Jahre nach der Premiere hat der politische Aschermittwoch immer noch viele Anhänger. Tausende pilgern nach Niederbayern, um den Parteigranden beim gegenseitigen Anstänkern zuzuhören. Eine Dokumentation des Vormittags.

8.46 Uhr: Noch sind die Tische bei den Grünen leer. Höchstens 20 Leute schlürfen ihren Kaffee an den Biertischen. In Biergläsern stecken Windräder, auf denen steht: "Zeit, dass sich was dreht." Mehr als 600 Leute werden schließlich in den Bernlochner Saal in Landshut kommen, die Grünen denken über den Umzug in eine große Halle nach.

9.08 Uhr: Bei der SPD im Wolferstetter Keller in Vilshofen sind die Plätze längst besetzt. 500 Leute passen rein, wo vor 101 Jahren die Tradition des politischen Aschermittwochs begann. Die Blaskapelle Hahlser Musikanten spielt zünftige Musik, Tracht tragen vor allem die Bedienungen. Die meisten Gäste tragen grau auf dem Kopf und rot am Körper. Die Jusos senken den Altersschnitt beträchtlich und schicken Spitzen gegen die Union: "Hütet euch vor den Ideen des Merz" steht auf einem Plakat, ein Bonmot für Lateiner.

9.15 Uhr: In der Deggendorfer Stadthalle hebt die Bayerwaldkapelle zum ersten Mal zu gepflegten Umpftata an. Hinter dem Rednerpult prangt ein riesengroßes orangefarbenes Transparent mit dem Freie-Wähler-Slogan "Verantwortung übernehmen!" Draußen vor dem Haupteingang demonstrieren ein paar Bauern mit drei Traktoren. Die Stadthalle füllt sich nur langsam. Auch die FW-Prominenz, Kultusminister Michael Piazolo und Fraktionschef Florian Streibl zum Beispiel, tröpfelt nur allmählich herein. Umweltminister Thorsten Gauber, der als ein Hauptredner angekündigt ist, ist plötzlich erkrankt.

9.25 Uhr: "Jetzt kommen die Prominenten!", ruft eine Frau von der Treppe durch die Vorhalle und blickt zur Tür, durch die sich Robert Habeck schiebt. Um ihn herum ein Kranz aus Kameras und etwa ein Dutzend Landwirte, Filzhüte, schwere Stiefel, verschränkte Arme. "Tach, hallo", sagt Habeck, Grünen-Parteichef aus dem Norden. Einem Bauern versucht er zu erklären, dass die CSU ihn "beschubst". Der überlegt wohl noch, was das genau heißt, da wird Habeck schon weitergezogen auf die Treppe zum Mikro. "Vor 20 Jahren wären wir alle nach Passau gefahren zur CSU", erfährt Habeck da, jetzt aber sind die Grünen für die Bauern auch würdig, ihre Leiden zu hören: "Seid's stolz drauf."

10.00 Uhr: Sogar zum Auftakt kopieren die Freien Wähler die CSU. Auf einer Leinwand zelebriert ein Video-Einspieler das weiß-blaue Bayernklischee, zum Defiliermarsch zieht Hubert Aiwanger ein. An den Tischen sind noch reichlich Plätze frei. Gleichwohl spricht der niederbayerische FW-Chef Heinrich Schmidt von einem "Rekordbesuch".

10.02 Uhr: SPD-Chefin Saskia Esken zieht in Vilshofen ein, Schunkelklatschen, Fahnenwehen. Vilshofens Bürgermeister Florian Gams begrüßt die Gäste eine Viertelstunde lang - und schickt eine Ermunterung an die Wahlkämpfer: "Schaut's einfach nach Vilshofen, wir hatten vor sechs Jahren auch keine Chance."

10.05 Uhr: Es geht los bei der AfD im niederbayerischen Osterhofen, Einzug mit Defiliermarsch, Bayern- und einer Deutschlandfahne. Gut 800 Gäste dürften es sein, etwas weniger als im Vorjahr der Landtagswahl, da war alles rund um den Gewerbepark gnadenlos zugeparkt. Mit dabei zwei Stargäste aus dem Bundestag, Stephan Brandner und Gottfried Curio, beide als Polterer bei der Basis gefeiert. Niederbayern-AfD-Chef Stephan Protschka begrüßt mit Tiraden auf die Medien, prompt kommen einzelne "Lügenpresse"-Rufe im Saal auf. Dann noch ein uraltes Strauß-Zitat über "rote Ratten". Das kann ja heiter werden.

Politischer Aschermittwoch - SPD

Saskia Esken, Bundeschefin der SPD, ergibt sich keineswegs, sondern versucht die bayerischen Genossen anzuspornen.

(Foto: Daniel Karmann/dpa)

10.40 Uhr: FW-Schulminister Michael Piazolo probt den Schulterschluss mit den Bauern. Der Jurist und Politikwissenschaftler aus München erinnert daran, dass es "der Bayerische Bauernbund war, der 1919 den ersten politischen Aschermittwoch überhaupt veranstaltet hat". Schon damals hätten die Bauern den Politiker gezeigt, wo's langgeht. Dann rühmt er die Freien Wähler als die Kommunalpartei schlechthin. "Wir Freien Wähler prägen das Land, das werden wir am 15. März wieder zeigen", ruft er.

10.41 Uhr: In Landshut ist gleich Ludwig Hartmann dran, Fraktionschef der Grünen im Landtag. Es gäbe viele Zahlen, mit denen Gastgeberin Sigi Hagl ihn vorstellen könnte: Rekordergebnis bei der Landtagswahl, Rekordvolksbegehren für die Bienen. Hagl entscheidet sich für eine andere Zahl: 48,8 Prozent, damit sei Hartmann 2012 in der Kommunalwahl gescheitert, als er Oberbürgermeister von Landsberg am Lech werden wollte. Kurze Verwunderung, dann schlagen die ersten ihre Hände zusammen. Den Grünen geht es momentan offenbar so gut, dass sie sogar ihre Niederlagen beklatschen.

10.43 Uhr: SPD-Landeschefin Natascha Kohnen appelliert an den Kampfgeist im Saal. Sie erinnert an Hanau und Thüringen. "Die Angst darf uns nicht lähmen, wir müssen diese Angst in Kraft umwandeln." Sozialdemokraten bräuchten Mut, "aus unserer Geschichte wissen wir, Sozialdemokratinnen und -demokraten werden niemals zurückweichen!" Der Saal jubelt.

10.45 Uhr: Ludwig Hartmann, selbst erst 41 Jahre alt, erzählt von damals. Früher, da hätten die Vollkornnudeln "wirklich beschissen geschmeckt". Früher, da habe die Geschäftsstelle noch rumtelefoniert, damit sie den Saal am Aschermittwoch überhaupt vollkriege. "Die heutigen Zeiten gefallen mir deutlich besser." Dann kommt er zur Kategorie "Aschermittwochs-Sprüche". Ein Wettstreit der Ideen sei "kein Fotowettbewerb, wer das bessere Bild beim Kuscheln mit einem Baum produziert", ruft er in Richtung Söder.

Politischer Aschermittwoch - FDP

Daniel Föst, Landeschef der FDP nutzt die komplette Bühne.

(Foto: Lino Mirgeler/dpa)

10.55 Uhr: Der Abgeordnete Stephan Brandner und AfD-Landeschefin Corinna Miazga reden im Duett. Das tun sie sonst auf einem viel geklickten Youtube-Kanal, der Aschermittwoch ist nun die 22. Folge. Das Format ist an sich ganz erfrischend, durchbricht das monotone Reden in Osterhofen. Die Inhalte aber sind flach witzelnd und mitunter grenzwertig. Es geht etwa um die Bundeswehr, die sich heute "am Grad der Buntheit" orientiere. Miazga empfiehlt "rosa Panzer", Brandner findet: "Der Russe lacht sich tot."

11.10 Uhr: FDP-Landeschef Daniel Föst setzt in der Sparkassenarena in Landshut zum Rundumschlag an. Die große Koalition nennt er eine "Statistengruppe bei The Walking Dead", die SPD nur noch einen Schatten ihrer selbst. Über die Union sagt er: "Bei denen in der Halle ist es zwei Grad wärmer, weil keiner so viel heiße Luft wie die produziert." Auch an Robert Habeck, den "Messias", hat er eine Botschaft: Schluss mit den Verboten. "Das Weltbild der Grünen ist eine Verbotsideologie für Gutsituierte - das ist mit der FDP nicht zu machen", sagt Föst.

11.13: Saskia Esken betritt in rotem Blazer die Bühne im Wolferstetter Keller und macht gleich mal klar, worauf sie keine Lust hat: typisches Aschermittwochsgepolter. Trotzdem: "Schöner Gruß nach Passau zum Kollegen Söder, der gesagt hat, die SPD sei wie Tick, Trick und Track. Vielen Dank für dieses Kompliment, lieber Markus Söder: Ihr seid die Panzerknacker und habt den gleichen Erfolg wie die." Eskens Fokus liegt auf der Bundespolitik. "Der Feind steht rechts", sagt sie und watscht FDP und CDU für die Ministerpräsidenten-Wahl in Thüringen ab und Annegret Kramp-Karrenbauer für die Führungskrise der CDU.

Politischer Aschermittwoch - AfD

Corinna Miazga, Landesvorsitzende der AfD, nimmt am reservierten Tisch Platz.

(Foto: Karl-Josef Hildenbrand/dpa)

11.15 Uhr: FW-Chef Hubert Aiwanger nimmt sich die Lehrer vor, die seit Wochen gegen die Mehrarbeit protestieren, die ihnen Schulminister Piazolo verordnet hat. Aber nicht so, wie die vielleicht erwartet haben. Aiwanger lobt die Lehrer über den Schellenkönig. "Dank euch, dass ihr euren Kopf hinhaltet für die Zukunft unserer Kinder", ruft er in den Saal. "Dank euch für die Mehrarbeit." Dann beklagt er das "Versäumnis der Vergangenheit, dass zu wenig Lehrer ausgebildet worden sind" und wirbt um Verständnis, dass es "jetzt die befristete Mehrarbeit braucht".

11.16 Uhr: Klezmer-Band statt Blasmusik bei den Grünen, dann steht er da: Robert Habeck. "Wie reden wir Klartext, ohne dem Populismus, der sich in die Gesellschaft frisst, Munition zu geben?", fragt Habeck und versucht es dann mal. Erst mal zum rechten Terror, bei dem man zu lange weggeschaut habe: "Fangen wir mit den Nazis an, bringen wir sie hinter Schloss und Riegel", ruft Habeck. Applaus, Füßestampfen. Klartext hat er auch für Markus Söder. Seine Überzeugungen suche sich Söder zusammen wie "beim Krabbeltisch am Black Friday", sagt Habeck. Am Ende steht der Saal. Und für das Foto nimmt Habeck doch noch einen Bierkrug in die Hand.

11.20 Uhr: Ein Glücksbringer für die Wahl? Bei der AfD geht ein Schornsteinfeger in voller Montur durch die Reihen. Kein gebuchter Gag - es ist ein AfDler aus dem Kreis Pfaffenhofen mit diesem Beruf.

11.33 Uhr: Landshuts FDP-Oberbürgermeister Alexander Putz will keine typische Aschermittwochrede halten. Stattdessen dankt er seinen sieben Mitbewerbern um das Bürgermeisteramt und ruft zu respektvollem Umgang miteinander auf. "Wenn wir immer versuchen andere Parteien schlecht zu machen, dürfen wir uns nicht wundern, dass der Respekt vor Politikern sinkt, Politikverdrossenheit zunimmt und dass extreme Parteien so einen Zulauf haben."

Politischer Aschermittwoch - Grüne

Die Grünen um ihren Bundesvorsitzenden Robert Habeck sind seit Beginn der Corona-Krise in den Umfragen abgesackt.

(Foto: Tobias Hase/dpa)

11.35 Uhr: Aiwanger geht jetzt die Union an. Die CDU sei ein "Gespensterschloss, in dem jetzt die Verliese geöffnet werden", ruft er. Friedrich Merz, Norbert Röttgen und Armin Laschet nennt er "Scheintote", "im Garten sieht man die Annegret, wie sie Krähen verscheucht", "der Jens fängt mit der Steinschleuder Schmetterlinge" und "der Markus spuckt Kirschkerne in den Graben". Aiwanger ist noch nicht am Ende: "Es ist höchste Zeit, dass wir Freie Wähler in das Schloss einziehen und durchlüften."

11.49 Uhr: Saskia Esken ist bei ihrem Lieblingsthema Digitalisierung angelangt. Sie hat bereits länglich erklärt, wofür die SPD steht und gibt sich selbstkritisch. "Wir haben das Vertrauen der Leute verloren, das muss man auch benennen." Sie beschwört den Saal, ans Potenzial der SPD zu glauben. "Wir haben mehr verdient als 14, 15 Prozent." Im Bund, wohlgemerkt. Die Bayern-SPD liegt deutlich drunter, bei neun Prozent in der jüngsten Umfrage.

11.50 Uhr: Nun solidarisiert sich Aiwanger mit den Bauern. "Es kann nicht sein, dass wir uns für eines der reichsten Länder der Welt halten", donnert er. "Und dann können wir uns die paar Bauern nicht leisten, die wir noch haben." Die Agrarpolitik von Berlin und EU nennt er einen Kopfschuss mit Ansage. Hinten im Saal positioniert sich die Blaskapelle des Bauern-Protest-Netzwerks "Land schafft Verbindung".

11.55 Uhr: Thema Hanau bei der AfD. Hauptredner Curio sagt, bei Verbrechen durch Migranten heiße es sofort, man dürfe nicht verallgemeinern. Jetzt bei der "schrecklichen Tat" eines "wirklich Irren" sei plötzlich die AfD Schuld. Das sei ein "Amoklauf der Lüge im Nachhinein". Der Saal tobt. Ein niederbayerischer Wahlkämpfer erzählt am Rande, der aktuelle "Shitstorm" gegen die AfD seit Hanau motiviere Mitglieder und Wähler. "Die Leute ärgert das, was da mit uns gemacht wird." In der Halle spürt man das.

12.05 Uhr: FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg will die Tradition fortsetzen, "vom Leder zu ziehen". Das gelingt mäßig, sie nimmt sich Kevin Kühnert und Robert Habeck und ihre "romantisierenden Enteignungsideen" vor. Den eigens mit Traktoren angereisten Bauern ruft sie zu: "Wer das Land ernährt, verdient Respekt" - tosender Applaus der Landwirte. Dass die FDP auch für Bauern und Krankenschwester da sein wolle, klingt dennoch nur halb überzeugend.

12.06 Uhr: Saskia Esken bringt ihre erste Aschermittwochsrede ohne Gepolter zu Ende, eher behäbig stehen die Leute für ihre Bundeschefin auf. Den Einpeitscher vor der Kommunalwahl gibt der bayerische SPD-Generalsekretär Uli Grötsch. Er brüllt fast, als er das Selbstverständnis der SPD noch mal zusammenfasst, Service für alle, die vorher bei Esken und Kohnen weggenickt sind? Grötsch schwört auf die Kommunalwahl in zweieinhalb Wochen ein. Tosender Applaus. Geht doch.

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CSU's traditional Ash Wednesday meeting in Passau

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