Politikum:Gute Frau, schlechte Rede

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Ilse Aigner hat auf dem CSU-Bezirksparteitag ein hervorragendes Ergebnis bekommen, obwohl sie ihre Partei in den Schlaf geredet hat. Auf dem Weg in die Staatskanzlei muss das kein Manko sein

Von Daniela Kuhr

Ilse Aigner ist ein Vollprofi. Das steht spätestens seit dem Bezirksparteitag der CSU Oberbayern am Samstag fest. Und zwar nicht etwa, weil Aigner dort so eine tolle Rede gehalten hätte. Im Gegenteil, ihr Auftritt hätte zäher kaum sein können. Die knapp 400 Delegierten im Saal zogen es denn auch prompt vor, fröhlich weiterzuplappern und zu speisen, während ihre Bezirkschefin sich am Rednerpult abmühte. Vereinzelt war sogar ein lautes "pscht" zu hören - als wäre Aigner eine überforderte Gymnasiallehrerin, die Hilfe benötigt, damit sie überhaupt mal jemand wahrnimmt.

Was daran "Vollprofi" ist? Dass Aigner völlig unbeirrt blieb. Sie machte weiter, als liefe alles wie geplant. Kein Wackler in der Stimme, nicht das geringste Zeichen von Unsicherheit - und das völlig zu Recht: Am Ende wählten die Delegierten sie mit 96,3 Prozent wieder. Aigner strahlte, Vollprofi eben. Stehvermögen hat die Wirtschaftsministerin also. Doch reicht das, um ernsthaft Chancen auf die Nachfolge von CSU-Chef und Ministerpräsident Horst Seehofer zu haben? Ihr Rivale, Finanzminister Markus Söder, ist auf jeden Fall der bessere Redner. Wenn er spricht, ist der Saal ruhig.

Vermutlich könnte Aigner das auch. Dazu bräuchte sie nur einen guten Redenschreiber. Und sie müsste aufhören, persönlich am Text herumzufeilen und ihn mit so vielen Füllwörtern anzureichern, dass man hinterher gar nicht mehr weiß, was sie gesagt hat. Andererseits sollte man die Wirkung einer guten Rede aber auch nicht überschätzen. Rhetorisches Talent ist keine Voraussetzung, um zu regieren. Siehe Angela Merkel. Auch der Kanzlerin gelingt es nur selten, die Menschen zu fesseln.

Dass Aigner eine schwache Rednerin ist, muss also kein Manko sein im Kampf um die Seehofer-Nachfolge. Entscheidend dafür, wer das Rennen macht, ist ohnehin ein anderer Punkt: Die größten Chancen wird der Kandidat haben, dem die Wähler eher zutrauen, Probleme zu lösen. Taten zählen da deutlich mehr als Worte. In diesem Punkt aber hat Söder seiner Konkurrentin bislang nichts voraus. Wenn es um Verhandlungsgeschick und Überzeugungskraft geht, dürfen - und müssen - beide sich erst noch beweisen. Wie gut, dass es bis zur nächsten Landtagswahl noch drei Jahre sind.

© SZ vom 30.06.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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