Süddeutsche Zeitung

Nach Gewalttaten:Die Grünen entdecken ihre Liebe zur Polizei

Wer nach den Bluttaten von München und Ansbach die Tweets der Politiker liest, reibt sich verwundert die Augen.

Kommentar von Lisa Schnell

Die Polizei, dein Freund und Helfer - zum ersten Mal scheint der Spruch nicht nur eine Wunschvorstellung der Polizei selbst zu sein. Noch nie hatten Polizeibeamte in Bayern so viele Freunde wie jetzt. Der Münchner Polizeisprecher Marcus da Gloria Martins hat seit kurzem sogar eine eigene Fanseite mit fast 60 000 Bewunderern. Er bewahrte in der Schreckensnacht von München am Freitag, wo alles in Panik und Chaos zu versinken drohte, einen kühlen Kopf. Sogar die linke taz nennt ihn "Info-Held".

Überhaupt verwundert es doch, wer nun alles Lobeshymnen auf die Polizei singt. Die Grünen etwa. Grüne + Polizei = Kritik, so lautete die Formel bis jetzt. Dass sich ein Grüner in Liebesbekundungen an die Polizei ergoss, galt innerhalb der linken Szene fast schon als Blasphemie. Und das nicht nur zu Zeiten von Hausbesetzungen und Wackersdorfprotesten. Bis zuletzt war das Verhältnis von Grünen und Polizei, vorsichtig gesagt, eher von Misstrauen geprägt, siehe Renate Künasts Tweet nach der Axt-Attacke von Würzburg.

Oft war das Misstrauen auch berechtigt, aber das sollte es nicht unmöglich machen, auch einmal ein Lob auszusprechen. Das fiel zumindest einigen Grünen bis vor kurzem noch sehr schwer, wie etwa die Diskussion um den ersten grünen Polizeikongress vor ein paar Monaten zeigte. Die innenpolitische Sprecherin, Katharina Schulze, wollte sich den Sicherheitsbehörden öffnen. Doch das stieß nicht bei allen in der Partei auf Zustimmung. Man könne nur verlieren, wenn man sich jetzt als Grüne mit Sicherheitspolitik befasse, hieß es.

Spätestens seit dem Amoklauf von München hört sich das ganz anders an. Wie sich die Polizei in der Tatnacht äußerte, sei "sehr angenehm", twitterte etwa Claudia Stamm und "Danke", mit einem Ausrufezeichen. Auch SPD und sogar die Linke stimmten in den Lobgesang ein. Von "besonderem", ja sogar "maximalem" Dank war die Rede. Ein Lob, das die Polizei verdient hat, die mit zwei Millionen Überstunden (Stand Februar 2016) nicht selten überlastet ist. Ein Lob, das natürlich auch Grüne, SPD und Linke äußern dürfen, ja, es sogar sollen. Und das ihnen selbst Lob einbringt, weil sie dabei sind, sich über ideologische Grenzen hinwegzusetzen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3093653
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 26.07.2016/mkro
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.