Politiker auf dem Oktoberfest:Bärlis, Löwen und ein Baseball-Spieler

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Ob Stadtrat oder Diplomat: Das Oktoberfest ist zum natürlichen Lebensraum für Politiker geworden. Wie Münchens Ex-OB-Kandidat Schmid, Rosa-Liste-Stadtrat Niederbühl und US-Konsul Tribble in lockerer Atmosphäre Kontakte pflegen.

Es zählt zu den weit verbreiteten Irrtümern, dass die Wiesn zum Zwecke des Spaßhabens existiert. Denn für viele Gäste ist der Biertisch im Zelt eigentlich eine Außenstelle ihres Büros. Vor allem die politisch Tätigen schätzen die Gelegenheit, in lockerer Atmosphäre zu "networken", wie man neudeutsch so schön sagt. Drei Beispiele:

Der ehemalige OB-Kandidat Josef Schmid erklärt am SZ-Wiesndesk, warum er das Oktoberfest als "vorpolitischen Raum" bezeichnet." (Foto: Robert Haas)

Der kitschfreie Konservative

Josef Schmid nennt es den "vorpolitischen Raum": von Tisch zu Tisch gehen, von Box zu Box - Wiesn jeden Tag. Im Wahlkampf 2007 hat es der damalige OB-Kandidat der CSU auf die Spitze getrieben und sich im Zwei-Stunden-Takt von Termin zu Termin geschleppt. Zwei Wochen lang im Dauerlauf übers Oktoberfest, und dabei noch gesellig und kontrolliert zugleich bleiben - das ist die Herausforderung. Aber Politiker zeigen nun einmal gerne Präsenz, und so zieht Schmid Jahr für Jahr seine Runden, plaudert, lacht und hat Spaß.

Ob ein solcher Bierzelt-Marathon wirklich viel bringt für die Wahl, weiß auch Schmid nicht. "Ich bin da eher skeptisch." Er tut es trotzdem. Obwohl er eigentlich überzeugt ist, dass zwei völlig andere Faktoren für einen Wahlsieg entscheidend sind: "wie man in den Medien rüberkommt und wie die politische Großwetterlage ist". Für 2013 stellt Schmid sich trotzdem wieder auf einen Bierzelt-Wahlkampf ein - falls, wovon er fest ausgeht, seine Partei ihn zum Kandidaten nominiert.

Bis dahin weiß er auch, gegen wen er antreten muss. "Wenn es für die SPD Dieter Reiter wird, dann werde ich ihn sicher sehr oft auf der Wiesn sehen." Aber auch mit den Grünen rechnet Schmid - Tracht jedenfalls, so hat er festgestellt, gehört längst auch bei den einstigen Alternativen zum Wiesnstandard.

Den Trend zur Tracht findet Schmid "sehr positiv". Echte Tracht wohlgemerkt, nicht Landhausmode: "Trachtenjanker mit Bärli, Vögli und Eichhörnli sind entsetzlich! Kitsch!" Er selbst ist aktives Mitglied im Trachtenverein Alpenrösl Allach und Trachtenstadtrat der Landeshauptstadt. Seinen Janker zieren mindestens 20 Abzeichen, und Schmid erzählt, dass er schon einmal scherzhaft mit einem russischen Großadmiral im Kommunismus verglichen wurde.

Eine wichtige Qualifikation für den OB-Posten hat Schmid in der Warteschleife bis zur nächsten Wahl zweifelsohne erworben - bei den "Schwarzen Wochen" der CSU in Aubing. Zum Auftakt musste im Münchner Westen ein Anzapfer her, und Schmid nahm die Herausforderung an. Zwar fehlte die johlende, nach Bier lechzende Masse, mit der der amtierende OB Christian Ude jedes Jahr auf der Wiesn fertig werden muss. Aber zwei Schläge schaffte auch Josef Schmid. dh/lod

Gleich zugesagt hat Thomas Niederbühl nicht, als Florian Dering, der stellvertretende Direktor des Münchner Stadtmuseums, ihn um seine Lederhose bat. Verliehen hätte er das gute Stück sofort. Aber ganz und für immer hergeben? Sie passte ja noch, und außerdem hatte die Hose 13 Jahre zuvor einen Tausender gekostet. Trotzdem kann man sie nun als Exponat in der Jubiläums-Wiesnausstellung im Stadtmuseum sehen: ein historisches Dokument für den Wandel der Wiesn hin zu einer Party, die auch für Homosexuelle interessant ist. Schließlich hatte die Lederhose des bekennend schwulen Stadtrats Niederbühl keine Gay-Gaudi in der Bräurosl verpasst.

Lässt keine Gay-Gaudi in der Bräurosl aus: Rosa-Liste-Stadtrat Thomas Niederbühl. (Foto: Robert Haas)

Der "Gay Sunday" dort zieht tausende Schwule und Lesben aus ganz Europa an. Das Zelt ist fest in Szene-Hand, was Wirt Georg Heide nicht stört und seine Bedienungen glücklich macht. "Ein tolles Trinkgeld" gäben die Schwulen, sagt Heide. Früher hätten die Leute sich noch beschwert, heute sagt der Wirt lapidar: "Ja mei, des schaut halt a bisserl anders aus, wenn zwei Männer schmusen."

Für Niederbühl ist die schwule Wiesn- Gaudi mehr als Feierei, sie ist Ausdruck einer Normalisierung. Die Homosexuellen seien "super selbstbewusst", sagt der Rosa-Liste-Stadtrat: "Sie trauen sich Hand in Hand über die Wiesn." Mancher belächle zwar die Männerpaare. Dass es zu verbalen oder handfesten Angriffen komme, sei aber die Ausnahme. Der Alkohol führe eher dazu, dass mancher Hetero nicht mehr so recht wisse, worauf er stehe: "Je betrunkener die Männer sind, umso zugänglicher werden sie."

Niederbühl trinkt keinen Alkohol. "Wenn ich ins Zelt komme, bin ich sofort wie eingeschaltet", sagt er. In der Bräurosl zieht es ihn auf den hinteren Balkon, dort trifft sich der "Münchner Löwen Club" (MLC). Wirt Georg Heide hat die Geschichte schon unzählige Male erzählen müssen, sie ist einfach zu gut: Als der Club zum ersten Mal Tische reservierte, dachte er, es kämen Fans des TSV 1860, und war dann überrascht, wer an den Tischen Platz nahm. Die Empore ist seitdem Stammplatz des MLC und tabu für nicht-schwule Männer. Dieses Jahr, erzählt Niederbühl, hätten die Löwen eine Ausnahme gemacht und den Oberbürgermeister hinaufgebeten, der aber "sichtlich angespannt" gewesen sei. "Das war ihm dann wohl doch zu viel Fetisch."

Die neue Hirschlederne, die sich Niederbühl kaufen musste, war teurer als jene, die das Stadtmuseum für 400 Euro ablöste. Bei der Anprobe fragte die Verkäuferin, ob die alte wohl zu eng geworden sei. Da musste er schmunzeln. mai

Mit der Bestellung "Einen Schnitt, bitte" ist alles gesagt. Conrad Tribble, US-Generalkonsul in München, sitzt in Lederhose am SZ-Tisch im Käferzelt. Es ist Sonntagmittag und er erzählt von seinen Oktoberfest-Erfahrungen. "Im letzten Jahr war Premiere, da dachten wir, die Wiesn ist ein Sprint und haben gleich am Anfang richtig Gas am Glas gegeben." Jetzt weiß er: Die Wiesn ist ein Marathon.

Und den läuft nicht nur seine Familie. Ehefrau Christina besitzt vier Dirndl, und die beiden Söhne, vier und fünf Jahre alt, fiebern schon Wochen vor dem Start dem Fest entgegen. "Mittlerweile rufen Diplomaten aus anderen Botschaften und aus den USA an, um während der Wiesn herkommen zu können." Der gelernte Musiker Tribble singt leise "In der Schickeria" mit und sagt: "Nächstes Jahr will ich unbedingt auch einmal eine Zeltkapelle dirigieren." Vielleicht sind dann auch seine Söhne ein paar Zentimeter größer und wieder zufrieden: "Die sind total unglücklich, weil sie noch nicht Achterbahn fahren dürfen."

Conrad Tribble kennt die bayerische Kultur, als Amerikaner auf der Wiesn hat aber auch er etwas zu bieten. Zum Beispiel beim Dosenwerfen. "Hey, ich bin Baseballspieler, ich kann natürlich alle neun Dosen auf einmal abräumen." Gelegenheit dazu hat er allerdings nur noch ein Jahr, dann wird er wohl turnusgemäß in eine andere Stadt versetzt. Aber klar ist: "Wir werden auch privat immer wieder zur Wiesn kommen."cro

© SZ vom 27.09.2010/cro/mai/dh/lod - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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