Berliner Politik-Oktoberfest:"Darf ick Ihnen noch 'ne Maß bringen?"

Die bayerische Vertretung in Berlin veranstaltet ein Oktoberfest für Politiker, Lobbyisten und Medien. Die Kanzlerin findet trotz ESM-Urteil und Bundestagsdebatte noch Zeit für den Fassanstich. Dabei zeigt sich eines: Am glücklichsten sind die Bayern, wenn sie die Preußen zur Gemütlichkeit zwingen können.

Jannis Brühl, Berlin

Bei der Blasmusik endet das Mandat der Bundeskanzlerin. Angela Merkel und die bayerische Staatsministerin Emilia Müller (CSU) schreiten zum Defiliermarsch von der Bierbank zur Bühne. Dort wartet ein Bierfass. Müller will der Kanzlerin den Vortritt lassen, aber die weigert sich. Dann sagt die mächtigste Frau im Land: "Ne, Sie gehen vor! Nicht dass ich hier in 'ne Führungsrolle komme."

Eröffnung Bayerisches Oktoberfest in Berlin

Mehr Schaum als Bier befindet sich in den Maßkrügen der Politiker beim Berliner Oktoberfest der Bayerischen Staatsregierung.

(Foto: dpa)

Merkel hat sich an diesem Mittwoch schon durch das ESM-Urteil des Verfassungsgerichts gezittert und in der Elefantenrunde im Bundestag mit den Alphamännchen und -weibchen der Opposition gestritten. Als wäre das nicht genug, muss sie jetzt auch noch aufs Oktoberfest.

Die bayerische Landesvertretung hat Politiker, Journalisten und Lobbyisten zu ihrer jährlichen Wiesn geladen. Gemütlichkeit ist hier Pflicht. Der Saal in Berlin-Mitte fasst mehrere hundert Menschen: weiß-blaue Stoffbahnen an der Decke, weiß-blaue Tischdecken. Die weißen Wände werden mit blauem Licht angestrahlt, damit auch der Letzte begreift: Hier ist Bayern, wa?

Das wirkt eher kühl als gemütlich, aber es ist ja auch eine Veranstaltung für Profis: Viele Abgeordnete sind gekommen, das halbe Kabinett, von Peter Altmaier bis zu Ilse Aigner. Die dunklen Anzüge des Regierungviertels mischen sich mit Lederhosen. Die Frauen tragen fast ausnahmslos Dirndl. Außer der Kanzlerin natürlich.

Der bayerische Wirtschaftsminister Martin Zeil (FDP) zeigt, wie man verhindert, dass eine Feier außer Kontrolle gerät. Er hält eine Rede, die gespickt ist mit Wendungen wie "Absage an Euro-Bonds", und "Umgehung des Verbots der monetären Haushaltsführung". Dann bemängelt er: "Unser Diskurs gleicht für viele Bürger eine Geheimsprache." Die Kanzlerin isst währenddessen Radi und unterhält sich.

Echtes Wiesn-Gefühl kommt erst mal nicht auf - dafür ist der Service zu schnell: Statt eine gefühlte Ewigkeit um die Aufmerksamkeit der Bedienungen zu kämpfen wie in einem Münchner Zelt, fragen die schon bei noch halb vollen Gläsern: "Darf ick Ihnen noch 'ne Maß bringen?" Sie granteln dabei auch gar nicht.

Die Fotografen treten sich gegenseitig auf die Füße und blockieren die Gänge um die beiden Tische mit Regierungsmitgliedern. Sie wollen Ministerinnen im Dirndl und die Kanzlerin am Biertisch. Irgendwann hält Merkel die Hand abwehrend hoch und scheucht einen Kameramann weg. Später wird DJ Pierre van Hooven aus Regensburg im Disco-Raum nebenan den Wiesn-Hit "Schatzi, schenk mir ein Foto" auflegen.

Zeil redet, die Kanzlerin unterhält sich

Joachim Herrmann, der bayerische Innenminister von der CSU, hat den Platz neben der Kanzlerin ergattert und strahlt wie ein Lottogewinner. Es ist das perfekte Schaulaufen für Unionspolitiker: Aigner, Altmaier und Markus Söder grinsen für die Fotografen um die Wette, schäkern und prosten sich mit Maßkrügen zu.

Eroeffnung des Bayerischen Oktoberfests in Berlin

Den Fassanstich übernimmt Staatsministerin Emilia Müller von der CSU.

(Foto: dapd)

Florian Pronold und Franz Maget von der bayerischen SPD sitzen eine Biertisch-Reihe weiter, auf Distanz zur Kanzlerin. Vor ihnen drängen sich keine Fotografen. Als Zeil sie begrüßt, klatschen nur wenige - die absolute Wiesn-Mehrheit ist schwarz oder weiß nicht, dass es in Bayern eine SPD gibt.

Einen hat sich Zeil in seiner Rede für den Schluss noch aufgehoben: Die reichen Bayern geben den klammen Berlinern einen aus - diese Symbolik ist unwiderstehlich. Er kann sich eine Anspielung auf den Länderfinanzausgleich nicht verkneifen und ruft ins Mikro: "Heute bewirten wir Sie noch, aber das muss nicht immer so sein."

Altmaier lobt das bayerische Bier - protzt aber auch, dass die Saarländer in seiner Heimat den höchsten Pro-Kopf-Verbrauch haben. Die Gruppe "Fünf auf Kraut" spielt Blasmusik. Ihr Motto ist: "Kein Stück ist uns zu leicht, kein Maßkrug zu schwer und kein Niveau zu tief!" Aber im kühlblau-weißen Saal besteht wenig Gefahr, dass sich jemand danebenbenimmt. Hier geht es darum, Kontakte zu knüpfen, die länger halten als eine Septembernacht.

Beim Rauchen vor der Tür schwärmen Lobbyisten mit Weißbierglas in der Hand von früher: Vergangenes Jahr seien die Feiern der Landesvertretungen größer gewesen. Dass nach der Affäre Wulff nicht nur Politiker, sondern auch Sponsoren vorsichtiger geworden seien. Der ehemalige Bundespräsident war unter anderem in die Kritik geraten, weil Unternehmen in seiner Zeit als niedersächsischer Ministerpräsident der Landesregierung Feste bezahlt hatten. Deshalb soll es im Sommer 2012 etwas weniger danach aussehen, dass sich Volksvertreter und Geschäftemacher zu nahe stehen.

Nach der politischen Sommerpause überbieten sich die Länder jedes Jahr gegenseitig mit ihren Festen. Eine Sprecherin der bayerischen Vertretung sagt, beim Oktoberfest gebe es kein Sponsoring. Das Fest koste Bayern 45.000 Euro. Eine Münchner Brauerei habe lediglich Bier und Schankanlage geliefert - und durfte etwa 30 Gäste einladen.

Die Kanzlerin wird nach einer Stunde verschwinden, und die Minister übernehmen lassen. Zuvor stemmt sie den Maßkrug und quält sich zu einem Lächeln. Söder grinst, Aigner grinst, Herrmann grinst. Am glücklichsten sind die Bayern, wenn sie die Preußen zur Gemütlichkeit zwingen können.

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