Süddeutsche Zeitung

Politik in Bayern:Freie Wähler gegen den ewigen Aiwanger

  • Der Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger steht nach dem Austritt des Landtagsabgeordneten Alexander Muthmann noch immer stark in der Kritik.
  • Vor allem die Ämterhäufung des Fraktionschefs, Landeschefs und Bundesvorsitzenden missfällt den Parteimitgliedern.

Von Dietrich Mittler und Lisa Schnell

Freie-Wähler-Chef Hubert Aiwanger steht zurzeit unter Beschuss. Erst kritisiert ihn der Landtagsabgeordnete Alexander Muthmann heftig und wechselt von den FW zur FDP. Dann fordert der Kreisverband Ansbach Stadt Aiwangers Rücktritt als Bundesvorsitzender. Am Wochenende nun treffen sich die Freien Wähler zum Parteitag in Dingolfing. Ein Grund, die Stimmung an der Basis zu ergründen.

Hans Kraus, Kreisvorsitzender im Landkreis Cham findet, dass sich der Austritt von Muthmann nicht so lapidar zur Seite schieben lasse, wie Aiwanger das getan hatte. Bei ihm habe sich noch keiner gemeldet, der Muthmanns Entscheidung bedauere, hatte Aiwanger gesagt. Anstatt sich zu freuen, dass es jetzt ohne einen lauten Kritiker in der Fraktion ruhiger geworden sei, sollte Aiwanger das Signal ernst nehmen, sagt Kraus. Denn in manchen Punkten habe Muthmann schon recht. "Aiwanger ist ziemlich beratungsresistent in manchen Fragen", sagt Kraus.

Mit seinem Kurs in der Flüchtlingspolitik liefen die FW außerdem Gefahr, zu sehr in die rechte Ecke gestellt zu werden. Auch, dass Aiwanger vom Fraktionschef über den Landeschef bis zum Bundesvorsitzenden ziemlich alle Ämter inne hat, die eine Partei zu bieten hat, sieht Kraus kritisch. "Wenn er sich um alles kümmern möchte, das kann er nicht mehr schaffen", sagt er. Viele Dinge im Tagesgeschäft blieben da auf der Strecke. Wer es besser machen könnte? Das ist die große Frage, sagt Kraus. Im Moment kristallisiere sich niemand heraus. "Das kann uns auf Dauer wirklich schaden", sagt Kraus. Es gebe durchaus Politik-Talente. "Man muss sie nur ranlassen."

Wer das sein könnte, fällt der oberbayerischen Bezirksrätin Marianne Heigl spontan nicht ein. Die Ämterhäufung bei Aiwanger aber sieht sie auch "ein bisschen kritisch". Eine Person alleine überfordere das doch mit der Zeit, sagt Heigl. Auch der Partei würde es guttun, wenn mehr als eine Stimme für sie spräche. Das "Freie" sei bei den Freien Wählern von großer Bedeutung. Dazu passe es nicht so richtig, dass eine Person so viele Ämter habe. Aber natürlich dürften die Verdienste Aiwangers nicht geschmälert werden. Schließlich sei er es gewesen, der die FW in den Landtag gebracht habe.

Zu sagen, Aiwanger muss weg, wäre ein wenig forsch, sagt Martin Behringer, Kreisvorsitzender der FW im Grafenauer Land. Eine wirkliche Alternative falle ihm da nicht ein. Die "One-Man-Show" von Aiwanger stört aber auch ihn. Es sei nicht gut, wenn alles auf einen Mann zugeschnitten sei. Er erwartet von Aiwanger, auch mal andere ran zu lassen, wenn es um Fachthemen gehe. "Es kann ja nicht einer alles wissen", sagt Behringer. Im Umgang mit dem Landtagsabgeordneten Günther Felbinger etwa sei Aiwanger nicht hart genug gewesen, als er sich monatelang hinter Felbinger stellte, der den Landtag um mehr als 50 000 Euro betrogen haben soll. "Wenn jemand betrügt, muss er raus und zwar sofort", sagt Behringer. Gerade, weil Ehrlichkeit für die FW immer ein so wichtiges Thema gewesen sei. Behringer hofft, dass durch den Austritt von Muthmann "endlich etwas aufgerüttelt wird".

Aufrüttelnde Wirkung hatte auf Elke Homm-Vogel, Vorsitzende der FW Ansbach Stadt, die Bundestagswahl und das ernüchternde Ergebnis für die FW von 2,5 Prozent. Nicht nur sie sehe bei solchen Resultaten die Ausweitung der FW auf Bundesebene sehr kritisch. Die Partei müsse sich jetzt voll auf die Landtagswahl konzentrieren. Dafür sei Aiwanger der richtige Mann, als Bundesvorsitzender aber müsse er zurücktreten. Dazu forderte sie ihn vergangene Woche in einem offenen Brief auf. Aiwanger hat noch nicht geantwortet. Aus der Partei aber habe sie viele positive Reaktionen bekommen, sagt Homm-Vogel.

Auch Peter Dreier, Landrat von Landshut, sorgt sich um die Landtagswahl 2018. Er will nicht ausschließen, dass die FW ein böses Erwachen erwartet - wenn sich nichts ändert. Derzeit steht die Partei in den Wahlprognosen bei sieben Prozent, 2013 hatten sie neun. Die FW müssten wieder mehr "Kante zeigen", wie sie es beim Studiengeld oder dem neunjährigen Gymnasium getan hätten. "Das sagen mir viele, dass sich die FW nicht mehr von anderen Parteien unterscheiden", sagt Dreier. Auch in Aiwangers Heimat Niederbayern gebe es Kritik an seinem Führungsstil oder seinen vielen Parteifunktionen. Dreier selbst lobt Aiwangers Verdienste. Auf den Lorbeeren ausruhen, dürfe man sich aber nicht.

Fabian Mehring, Jungpolitiker und stellvertretender Bezirksvorsitzender der FW in Schwaben fallen ein paar Änderungen ein, die der Partei gut tun würden. Jünger und weiblicher müssten die FW werden. Da brauche es eine Personaldebatte, nicht um den Vorsitzenden. "Wir gehören geteert und gefedert, wenn wir von ihm Abstand nehmen würden", sagt Mehring. Aiwanger treffe einfach den Nerv der Leute und seine Belastungsgrenze sei enorm: "Wenn man sich anschaut, was der Kerl leistet, rund um die Uhr, dann können wir nur dankbar sein, dass er dies tut und wie er es tut", sagt Mehring.

Kritikern, die Hubert Aiwanger eine Postenhäufung vorwerfen, hält er entgegen, sich doch selbst mehr zu engagieren und zu profilieren. "Das steht doch jedem frei", sagt Mehring. Er selbst mache das und er habe nun nicht das Gefühl, zu kurz zu kommen, nur weil die öffentliche Aiwanger-Wahrnehmung so stark sei. "Das ist eher eine Welle, auf der man ein Stück weit mitsurfen kann", sagt Fabian Mehring, der sich bereits bei den Jungen Freien Wählern einen Namen gemacht hatte.

Es wäre wohl eher erstaunlich, wenn sich Tanja Schweiger, die Landrätin im Kreis Regensburg, gegen Hubert Aiwanger stellen würde. Schließlich ist sie seine Lebensgefährtin. "Ich sehe keinen, der das schafft", sagt sie. Wenn in der Partei nur dann andere Leute nach vorne kämen, wenn Aiwanger weniger als bislang für die FW tue, sei das "der falsche Ansatz". Bei der CSU habe man übrigens 2008 gut sehen können, wohin es führe, Spitzenposten auf zwei Personen zu verteilen - damals auf Günther Beckstein und Erwin Huber. Das endete seinerzeit für die Christsozialen im Verlust der absoluten Mehrheit. Davon freilich sind die FW weit entfernt.

Der unterfränkische Bezirksvorsitzende Thomas Zöller verortet sich klar im Lager pro Aiwanger. Zöller, Bürgermeister im unterfränkischen Mönchberg, weiß aus eigener Erfahrung, dass es manchmal in der Politik eine ordnende Hand brauche. Die Freien Wähler selbst seien in ihrer Diversität bisweilen auch "ein wenig frei in ihren Ansichten". Und da sei es hilfreich, wenn einer wisse, wo es hingeht.

Aiwanger sei ein unglaublich fleißiger Mensch, sagt Klaus Förster, der jahrzehntelang FW-Bezirksvorsitzender von Oberfranken war und jetzt im Bezirkstag sitzt. Als Aiwanger Landesvorsitzender wurde, sei es in großen Schritten vorwärts gegangen, sagt Förster. Am rechten Rand fische er auch nicht mehr als andere. Aiwanger sei alles andere als rechts, und dass er nicht auf andere höre, stimme auch nicht.

So viele Posten auf einmal, das sei aber auch eine immense Belastung. Für Aiwanger selbst und die Gemeinschaft wäre es da besser, wenn der Vorsitzende mal gute Leute ranließe. Die Kritik der Basis aber richte sich nicht nur gegen Aiwanger, sondern die ganze Landtagsfraktion. Noch sei es nicht ganz nach Oberfranken durchgesickert, dass mit Alexander Muthmann ein hoch geschätzter Haushaltspolitiker die Fraktion verlassen habe.

Schon die Affäre um Felbinger habe den Ruf der Landtagsfraktion nicht gerade gesteigert. "Da waren wir relativ angefressen", erinnert sich Förster. Muthmanns Austritt, der immer den Umgang Aiwangers im Fall Felbinger kritisiert hatte, werde das nicht gerade verbessern. Förster ist überzeugt: "Bis Weihnachten wird noch einiges laut werden."

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SZ vom 17.10.2017/libo
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