Grünen-Chef im Landtag:Charmeoffensive im Putenstall

Grünen-Chef im Landtag: Bloß kein Küken kicken: Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann ist beim Besuch im Putenmastbetrieb von Kreisbäuerin Sabine Asum im schwäbischen Dasing vorsichtig unterwegs.

Bloß kein Küken kicken: Grünen-Fraktionschef Ludwig Hartmann ist beim Besuch im Putenmastbetrieb von Kreisbäuerin Sabine Asum im schwäbischen Dasing vorsichtig unterwegs.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Mit vielen konventionellen Bauern in Bayern liegt Ludwig Hartmann über Kreuz. Doch er will Wandel durch Annäherung. Ein Hofbesuch.

Von Lisa Schnell, Dasing

Und jetzt also rein in den Stall, dem Grünen aus München die Puten zeigen. Ludwig Hartmann steht in einer Halle, 120 Meter lang, acht Meter breit, es riecht nach Stroh, künstliche Belüftung, geschlossene Fenster, Neonröhren. Und: 18 000 Putenküken. Ein Meer aus weißem Gefieder umschließt Hartmanns Füße. Blick nach unten. Wie läuft man da? Zack, zack, zack, Bäuerin Sabine Asum marschiert los, mitten rein ins Putenmeer. Dann Hartmann aus dem Stimmkreis München-Mitte: Bei jedem Schritt zieht er sein Knie weit hoch. Bloß kein Küken kicken. Asum zeigt stolz zu den Fenstern: "Sonnenlicht". Das ist doch was. Oder etwa nicht? Der Bauernsohn packt eine Pute, Flügelgeflatter vor Hartmanns Nase: "Geht's denen jetzt schlecht?" Hartmann blickt zu den Neonröhren, zu den Tierstapeln auf den wenigen Heuballen. Ihm fällt ein: "Hm".

Ein Grüner auf dem Bauernhof, das ist was Besonderes. Grüne sind doch eher Stadtmenschen. Hartmann ja auch, dreimal verfährt er sich auf dem Weg zu den Asums im schwäbischen Dasing, er sitzt nicht oft im Auto. Noch bemerkenswerter aber ist, welche Bauernhöfe Hartmann am Ende doch findet. Bis jetzt waren das bei den Grünen eher die, wo die Kuh Resi gemütlich auf einer Almwiese steht, das Biosiegel an der Wand. Jetzt aber: namenlose Puten, Kühe hinter Absperrungen, Schweine ohne Auslauf. Es sind keine Bauernhöfe, es sind ländliche Betriebe und die Orte, wo die meisten der Schnitzel herkommen, die sich die Bayern einverleiben. Ein Grüner beklagte da bis jetzt eher das Leid der Tiere. Hartmann aber - und das ist die nächste Sensation - ist wegen des Leids der Bauern da.

Diese Tour könnte der Beginn einer wunderbaren Freundschaft sein oder zumindest einer ungewöhnlichen Allianz. So kommt einem das zumindest vor, wenn man Hartmann reden hört in seinem Mietwagen, den er gerade mal wieder wendet. Die Bauern suchten Orientierung, sagt der kurz selbst orientierungslose Hartmann. Und die Grünen seien jetzt Taktgeber. Ja, der Graben zwischen Stadt und Land sei groß. Aber: Man könne ihn noch schließen. Er etwa? Nächster Kreisverkehr, nächstes Thema: Die Wut der Bauern und zwar - auf ihn, Chef der Grünen im Landtag, Sprecher des Volksbegehrens "Rettet die Bienen". Die Mails, die er da von Bauern bekomme. Puh, haben es in sich, vielsagender Seitenblick, Augenbrauen hoch. Ans Telefon geht er auch nicht mehr, wenn er die Nummer nicht kennt. Könnte ja wieder ein Bauer sein, der ihm ins Ohr brüllt, was er ihm mit diesem Volksbegehren angetan hat.

Hartmann, der Bauernschreck, Hartmann, der Bauernversteher? Wer sitzt da eigentlich neben einem? Ist seine Tour nun schizophren, völlig gaga oder einfach sehr klug? Auf der einen Seite ist da ein gespaltenes Land. An einem Tag Fridays for Future, am anderen die Bauern auf ihren Traktoren. Umweltschutz gegen Landwirtschaft, Latte macchiato gegen Misthaufen. Die Brücke, die da drüber passt, müsste zum achten Weltwunder erklärt werden. Errichtet sie ein Grüner, hätte man schon neun. Auf der anderen Seite ist das grüne Zeitalter angebrochen. In Deutschland wird ein Grüner als Kanzlerkandidat gehandelt, in Bayern pflanzt ein Markus Söder Bäume und Hartmann bekommt auf einmal Einladungen vom Bauernverband. Angekündigt als: "Landwirtschaftsminister 2023". Offenbar ist da etwas ins Rutschen geraten in diesem beständigen Bayern. Bauern - Grüne - CSU, seit Jahrzehnten war klar, wer Feind ist und wer Freund. Jetzt aber steht Hartmann auf diesem Putenhof und man weiß nicht, was gilt: Wird er nun geteert und gefedert? Oder irgendwann doch: der erste grüne Landwirtschaftsminister Bayerns? oder gar: Beides?

Hartmann steht umringt von einem Kreis aus Bauern. Gesehen hat er vom Hof noch nichts, er soll jetzt erst mal zuhören und lernen. Dass die Asums hier nichts Verbotenes tun. Dass sie jeder einzelnen von ihren 19 500 Puten ein schönes Leben wünschen. Dass der Preis für Putenfleisch aber seit 29 Jahren nicht gestiegen ist. Gestiegen sei nur eins: die Auflagen. Und warum? Hartmann zuppelt an seiner Funktionsjacke. Wegen der Grünen und ihres Umweltschutzes! "Sagen Sie mir", ein Bauer zückt seinen Zeigefinger, zielt direkt auf Hartmanns Gesicht: "Wo haben die Bauern einen Vorteil vom Naturschutz?" Asum schiebt ihren Sohn vor sich: "Das ist die nächste Generation." Was werde denn aus der? Schüttelt Hartmann mal den Kopf, heißt es: "Doch, Herr Hartmann!". Sagt er nichts, kommt: "Jetzt sagen Sie halt Ihr Rezept!". Sagt er was, gibt es ungutes Gemurmel, zusammengekniffene Lippen und zum Schluss ein: "Hören's doch auf mit dem Scheiß!"

Hartmann verschwende seine Zeit. So sagen das manche Grüne. Hartmann aber weiß: Die Grünen brauchen das Land, wenn sie mal regieren wollen in Bayern. Und er sagt: Abwarten. Er hat seine Besuche aufgeteilt in Phasen. Phase eins: die Frustphase. Da muss alles raus.

Jetzt also Phase zwei: der Hofbesuch. Hartmann und der grummelnde Pulk haben sich in Bewegung gesetzt. Ein riesiger Berg Hackschnitzel, ein riesiger Berg Mist. Dann stehen sie auf einer kleinen Anhöhe. Unter ihnen: ein lang gezogener Betonklotz. Asum sagt: "50 Hektar einfach verschwunden." Ein anderer: "Das geht so nicht!" Zustimmendes Gemurmel. Halt, wer hat das gerade gesagt? Blicke zu Hartmann. Es sei doch unmöglich, dass überall Gewerbegebiete hingepflanzt werden und die Bauern keine Flächen mehr haben. Es müssten doch alle mitmachen. "So isses", "so isses", Hartmanns Stimme wird lauter. Wer habe das denn verbrochen? die CSU. Und wer will es anders machen? die Grünen. Keine Widerworte. Da traut er sich was: "Wäre doch gar nicht so schlecht, wenn wir fünf Jahre die Möglichkeit kriegen?" Kurze Stille. Die ersten nicken. Einer sagt: "Aber wehe, es haut dann nicht hin."

Früher war das so: Von 100 Bauern wählten 105 CSU. CSU und Bauernverband, das war eins. Und die Grünen? Unwichtig. Jetzt ist das so: Die Grünen gewinnen eine Wahl nach der anderen und sie machen Politik. Das Volksbegehren "Rettet die Bienen" ist Gesetz in Bayern, CSU und Freie Wähler konnten nicht anders als zustimmen. Die Mächtigen waren auf einmal machtlos und die Spinner von früher wichtig. Wie wichtig, zeigt sich, wenn man mit Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber (CSU) spricht. Da sind die Grünen und ihre "überzogenen Forderungen" auf der einen Seite "der Sargnagel für die bayerische Landwirtschaft". Andererseits gilt: "Jeder konventionelle Landwirt muss ökologischer werden." Dem Bauernverband hat Kaniber letztens übrigens ausgerichtet, sie sei nicht dessen "Befehlsempfängerin".

Die berühmte Einladung an Hartmann, in der ihn Bauernverbandspräsident Walter Heidl schon zum Minister machte, darf da durchaus als Antwort an die CSU verstanden werden. Nach dem Motto: Wenn ihr uns im Stich lasst, dann reden wir eben mit den anderen. Denn die Bauern haben sich ja auch verändert. "Wir wissen alle, dass wir so nicht weitermachen können", das sagt nicht Hartmann, das sagt Bäuerin Asum. Nur wie? Zum ersten Mal durfte ein Grüner dem Bauernverband seine Antworten präsentieren. "Richtig froh" sei er darüber, sagt Heidl. Hartmann also sein Wunschkandidat als Landwirtschaftsminister? "Äh, nein." Das sei dann doch "eher noch schwierig". Heidl meint, schwierig für die Bauern, mindestens genauso schwierig wäre es wohl für die Grünen.

Grünen-Chef im Landtag: In der Sicherheitszone: Früher war es ja so, dass von 100 Bauern 105 die CSU wählten. Heute aber möchten die Grünen auch Taktgeber sein.

In der Sicherheitszone: Früher war es ja so, dass von 100 Bauern 105 die CSU wählten. Heute aber möchten die Grünen auch Taktgeber sein.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Hartmann zieht seinen schwarzen Sneaker aus dem weißen Putenmeer und tritt ins Freie. Die Fotografin will ein Foto machen. Am besten im Stall. Ein bayerischer Landwirtschaftsminister würde jetzt zurückgehen zu den 18 000 Puten und nett lächeln. Hartmann bewegt sich keinen Zentimeter. Er findet, Puten sollten auch mal den Regen spüren und frische Luft. Man weiß es nicht, aber mit solchen würde er sich vielleicht fotografieren lassen. Mit den Asum-Puten aber? Nein. "Könnte ja berufsschädigend sein", höhnt ein Bauer. "Ihr seid's doch immer die gleichen." Fazit Stallbesuch? "Verschissen."

Hartmann und die Bauern, das ist wie eine Achterbahnfahrt: mal oben, mal unten. Es kann einem richtig schwindelig werden. Phase zwei, der Hofbesuch, lief dann doch eher mäßig. Hartmann hat nur noch Phase drei: das Gespräch. Endspurt.

Ein kleines Büro neben einer großen Biogasanlage. An der Wand das Kruzifix, daneben der Jungbauernkalender: Evelyn steht in kurzem Höschen im Pferdestall. Hartmann sitzt vor sehr vielen Wurstsemmeln am Tisch darunter. Die Bauern sagen, sie wollen Anerkennung. Hartmann sagt, kein Bauer wolle Tiere quälen oder den Boden vergiften. Die Bauern regen sich auf über brasilianisches Fleisch mit "Bayern-Siegel". Hartmann sagt: Nicht der Handel, sondern die Politik müsse die Siegel machen. Polnische Puten fluten Deutschland? Die Grünen wollen einen CO₂-Aufpreis. Niemand wolle mehr Geld ausgeben für Lebensmittel? Doch, die Menschen, die in München-Mitte wohnen, in den Bioladen gehen. "Und am Wochenende mit'm Billigflieger nach Paris!" Solche Sätze gibt es und immer noch viel Stirnrunzeln. Aber eben auch Sätze wie: "Wir sind gar nicht so weit entfernt". Am Ende hat Hartmann die Wurstsemmeln nicht angerührt, ein Foto mit den Puten aber macht er jetzt doch. Er kriegt noch einen Geschenkkorb und dann so etwas wie ein Lob: "Der Hartmann ist schon eher so der Typ, der ein bisschen nachdenkt", sagt ein Bauer.

Der Beginn einer wunderbaren Freundschaft? Es ist zumindest: ein Beginn.

Zur SZ-Startseite

Artenvielfalt
:Die Bienen-Revolution von Bayern

Das Volksbegehren zum Artenschutz war das erfolgreichste in der Geschichte Bayerns. Nun ist es offiziell Gesetz - für die CSU ein Spagat, für die Initiatorin erst der Anfang.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: