Politik:Die Gräben sind tief

Lesezeit: 3 min

Die CSU verliert massiv bei der Bundestagswahl und reibt sich in einem brutalen Machtkampf auf. Die AfD gewinnt stark an Zuspruch und wird im nächsten Jahr wohl auch in das bayerische Parlament einziehen. Das Land ist gespalten, doch viele Menschen wollen das nicht einfach hinnehmen. Jürgen Schuhmann tat auch etwas

Von Lisa Schnell, München

Um mit diesem Jahr abzuschließen hat Jürgen Schuhmann ein Gedicht geschrieben. "Reinigung" hat es der 71-jährige Rentner aus Ochsenfurt genannt. Er will es loswerden, das "Gift im Magen", schreibt er, in seine Seele wieder Zuversicht reiben, es endlich abschütteln, dieses verstörende Jahr und das Gefühl, in einem gespaltenen Land zu leben.

Es ist ein Eindruck, von dem viele erzählen, wenn sie zurückblicken auf dieses Jahr, in dem seit langem wieder eine Rechtsaußen-Partei Erfolg hatte in Bayern. Zwölf Prozent holte die AfD bei der Bundestagswahl, zog in manchen Wahlkreisen sogar an der CSU vorbei, deren Erfolg auf einmal nicht mehr so sicher ist, wie das Amen in der Kirche. Der CSU bescherte dieses Jahr einen ihrer brutalsten Machtkämpfe, Jürgen Schuhmann machte es zum Aktivisten.

Einen Tag nach der Wahl schrieb er auf ein Stück Pappe aus seinem Keller: "Ich stehe hier und schäme mich für 694 AfD-Wähler in Ochsenfurt." Und da stand er, jeden Montag bis Weihnachten von 17 bis 18 Uhr vor dem Rathaus. Er hielt sein Schild hoch, schämte sich und erlebte, wie tief der Graben ist zwischen den Menschen. Da gab es die, die sich mit ihm schämten, die ihn spontan in der Bäckerei umarmten und ihm aus ganz Deutschland dankten. Sogar Blumen aus Hamburg hat er bekommen. Und dann waren da die, für die sich Schuhmann zwar schämte, die er aber auch verstehen wollte und ihnen die Augen öffnen, welchen "braunen Sumpf" sie da verteidigen. Also beantwortete er all die Briefe, die an ihn als "Vollpfosten" adressiert waren, höflich. Mit etwa 40 AfD-Unterstützern unterhielt er sich intensiv, manchmal bis halb zwei nachts. Nur einen konnte er zum Nachdenken bringen. Wie man sie wieder zurückholt? Schuhmann fällt lange nichts ein. "Die etablierten Parteien müssen endlich begreifen, dass da was schief läuft bei der sozialen Gerechtigkeit", sagt er dann. Besonders stark war die AfD in den Stadtvierteln, wo die Angst vor sozialem Abstieg groß ist und dort, wo viele Russlanddeutsche und Spätaussiedler leben. Menschen, die vielleicht denken, ihren hart erarbeiteten Platz verteidigen zu müssen. Besonders stark war die AfD auch in Niederbayern, wo die Hilfsbereitschaft für die vielen Flüchtlinge, die 2015 dort über die Grenze kamen, irgendwann wohl dem Gefühl der Ohnmacht wich. Dort wählten die Leute Männer wie Stephan Protschka in den Bundestag, den AfD-Chef von Niederbayern. Er ist überzeugt, dass in fast allen Moscheen Gewalt gepredigt wird und will sie schließen. Er sagt Sätze wie: "Flüchtlinge sind in Deutschland heilig und der Deutsche nicht mehr." An dem Tag, als Schuhmann in Ochsenfurt seine Scham öffentlich machte, ging Protschka mit "erhobenem Haupt" und dem Wissen, alles richtig gemacht zu haben auf die Straße. Schuhmann und er sind sich wohl nur in einem einig: Die Gräben sind tiefer geworden. 15 Jahre war Protschka mit dem CSU-Bürgermeister in seinem Dorf per Du, seit der Wahl sind sie per Sie. Er werde bespuckt und beleidigt, sagt er. Seine 13-jährige Tochter verlor eine Freundschaft wegen ihres AfD-Papas. Bald werden sie sich eine Geheimnummer zulegen wegen der Drohungen, sagt Protschka.

Zwei für Bayern: CSU-Chef Horst Seehofer und der designierte Ministerpräsident Markus Söder sind wahrlich keine Freunde. Doch dieses Jahr machte aus Rivalen notgedrungen ein Team. (Foto: Sven Hoppe/dpa)

Der Riss ging auch durch die CSU. Die einen verurteilten Kanzlerin Angela Merkel und ihre Willkommenskultur, die anderen unterstützten sie. CSU-Chef Horst Seehofer versuchte im Wahlkampf beiden Seiten zu gefallen, erklärte Merkel an einem Tag den Krieg und gleich darauf den Frieden. Auch deshalb habe die CSU bei den Bundestagswahlen ihr katastrophales Ergebnis von 38,8 Prozent in Bayern eingefahren, sagen einige. Die Wahlniederlage war der Anfang von einem Machtkampf zwischen Horst Seehofer und Finanzminister Markus Söder, wie es ihn lange nicht gab in der CSU. Alle Tricks und "Schmutzeleien", die das politische Kriegslehrbuch hergibt, probierten sie aus. Kurz sah es so aus, als ob der große Showdown wirklich käme, gar ein Franken-Duell zwischen Söder und dem Seehofer-Getreuen Innenminister Joachim Herrmann. Dann aber gab es nur ein großes Schauspiel der Harmonie am Parteitag im Dezember in Nürnberg, wo die CSU einen Friedensschluss feierte, dem außer ihr keiner traut: Seehofer bleibt Parteichef, Söder ist designierter Ministerpräsident. Zwei, zwischen denen auch ein tiefer Graben liegt. Nicht zuletzt wegen der AfD, die in der kommenden Landtagswahl wohl ihr schwierigster Gegner wird, müssen sie versuchen, ihn zu überwinden.

Seit der Bundestagswahl grübelt Paul Linsmaier, wie er AfD-Wähler wieder für seine CSU gewinnt. Linsmaier ist CSU-Fraktionsvorsitzender im Stadtrat von Deggendorf. Der Stadt, in die nach der Wahl unzählige Fernsehteams kamen, um dem Geheimnis der "AfD-Hauptstadt" nachzuspüren. Zum Wahlkreis Deggendorf aber, wo die AfD die meisten Stimmen holte, gehört auch der Bayerische Wald. Ein Landstrich, wo das Gefühl, benachteiligt und abgehängt zu sein, wohl stärker sei als im Rest von Bayern, sagt Linsmaier. Nicht nur auf die Flüchtlingsdebatte müsse die CSU deshalb Antworten geben, sondern auch auf soziale Fragen.

Seehofer betont das Soziale schon länger, Söder fängt gerade damit an. Er rechnet aber auch vor, dass der Freistaat mehr für Zuwanderung ausgebe als für Umwelt, Gesundheit und Wirtschaft. Bei solchen Reden wird es Jürgen Schuhmann aus Ochsenfurt schon wieder ganz anders. Fast juckt es ihn, auf ein Stück Pappe zu schreiben, was er davon hält. Vielleicht im nächsten Jahr, sagt er.

© SZ vom 30.12.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: