Der Premierentag dieser Legislaturperiode, der womöglich mit einem ersten Eklat endet, beginnt unter einem meterlangen Fresko. "Einführung Alexander von Humboldts in einen Kreis von berühmten Männern aus Kunst und Wissenschaft in Bayern" heißt das Werk von Engelbert Seibertz im Akademiesaal des Landtags. Der Architekt Leo von Klenze ist abgebildet, ebenso der Physiker Joseph von Fraunhofer. Unter dem Fresko sitzt ein Kreis von berühmten Männern aus der Landespolitik, von denen einer eher ruppig in die Gepflogenheiten der Regierungsarbeit eingeführt wird. Um 9 Uhr setzen Ministerpräsident Markus Söder und sein designierter Stellvertreter Hubert Aiwanger am Montag ihre Unterschriften unter den Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern. "Viel Erfolg auch als Staatsmann", sagt Söder mit einem Lächeln, das alles bedeuten kann: Aufrichtigkeit, Mitleid - oder Spott.
Söder und Aiwanger: Dass da zwei Männer mit robustem Machtinstinkt aufeinander prallen, war schon am Sonntagabend zu spüren, als die beiden bei getrennten Auftritten um die Deutungshoheit über ihr Bündnis rangen. "Wir haben ihnen viele Themen reingewürgt, die sie nicht haben wollten", sagt Aiwanger im Münchner Hofbräukeller, er meint die CSU. Zwar lobt er Söder als "fairen Verhandlungspartner", aber er sagt auch: "Vielleicht ist noch ein letztes Stück Misstrauen da." In den nächsten Wochen und Monaten wird zu beobachten sein, ob Aiwanger und Söder dieses Misstrauen abbauen können. Oder ob es im Regierungsalltag sogar wächst.
Koalition von CSU und Freien Wählern:Bayern droht ein neues Biedermeier
Der Koalitionsvertrag von CSU und Freien Wählern liest sich so, als wolle die neue Regierung in den kommenden Jahren einfach nur ihre Ruhe haben. Auf die großen Fragen der Zukunft gibt er keine Antworten.
Der Betrieb im Landtag nimmt am Montag schnell Fahrt auf. Fleißige Kräfte hasten mit dem Staubsauger durch die Gänge, da macht auch ein AfD-Mann reinen Tisch. Um 9.36 Uhr verschickt Uli Henkel eine Pressemitteilung, in der er seinen Rückzug von der Kandidatur zum Landtagsvizepräsidenten erklärt. "Aus Achtung und Respekt vor der Würde des Hohen Hauses" ziehe er seine Bewerbung zurück, schreibt der Münchner AfD-Mann - und schickt einen Vorwurf gleich mit. Noch nie sei er mit dem Gesetz in Konflikt geraten und solle "nun so demontiert werden". Dass der Verfassungsschutz gegen ihn ermittle, sei "eine absolute Ungeheuerlichkeit". Wie auch immer: Statt Henkel nominiert die AfD den Mittelfranken Raimund Swoboda. Ob das reicht, den erwarteten Eklat abzuwenden? Den vom Verfassungsschutz beobachteten Henkel, darin waren sich die Abgeordneten anderer Fraktionen einig, würden sie nicht wählen. Und Swoboda?
Zur Mittagszeit treffen sich die Fraktionen zu ihren Besprechungen, auch die AfD und ihr Kandidat Swoboda. Um zu wissen, wer da vor ihnen steht, haben sich Landtagsmitarbeiter einen Artikel ausgeschnitten, auf dem alle AfD-Parlamentarier abgebildet sind. Vom Verfassungsschutz wird Swoboda nicht beobachtet, auch zum "Flügel", dem Rechtsaußen-Lager der AfD, soll der Mann aus Bad Windsheim nicht zählen. Swoboda war 43 Jahre bei der Polizei, zuletzt als leitender Direktor. Er ist zuversichtlich, von den anderen Fraktionen gewählt zu werden. Er vertraue auf einen "demokratisch respektvollen Umgang".
Respekt ja, aber einen AfD-Mann wählen? Florian Streibl ist skeptisch. "Ich nehme an, dass eine ablehnende Haltung da ist", sagt Streibl mit Blick auf seine Fraktion. Ja, seine Fraktion - und nicht mehr die von Hubert Aiwanger. Die Freien Wähler haben den bisherigen Fraktionsgeschäftsführer Streibl an ihre Spitze gewählt, da Aiwanger ins Kabinett aufrückt. Vize-Ministerpräsident und Fraktionschef, das ist nicht mal dem Faktotum Aiwanger möglich. Was er anders machen wolle als sein Vorgänger? Streibl: "Er hat seinen Stil, ich meinen." Seine Fraktion sei eine "Herzkammer", sagt Streibl noch in astreiner CSU-Diktion. Aber er hat ja auch christsoziale Berührungspunkte. Sein Vater war der frühere CSU-Ministerpräsident Max Streibl, den Edmund Stoiber einst unsanft in den Ruhestand geleitete. Nun darf sein Sohn die Regierungsarbeit mit der CSU managen, auch das ist eine Pointe des Tages.
Um kurz vor drei strömen die Abgeordneten in den Plenarsaal, neue wie der frühere Fernsehrichter Alexander Hold und der ehemalige FDP-Landeschef Albert Duin. Und altgediente wie Marcel Huber. Der Umweltminister läuft wie immer mit einem freundlichen Lächeln durch den Steinernen Saal, doch wie es in ihm aussieht, ist nur zu erahnen. Die Freien Wähler haben das Umweltministerium überraschend für sich beansprucht; Huber muss um seinen Platz im Kabinett fürchten, obwohl er in Oberbayern CSU-Stimmenkönig ist und in den Koalitionsverhandlungen einen starken Auftritt hingelegt haben soll.
Auch das Wirtschafts- und das Kultusministerium gehen an die FW. Der bisherige Kultusminister Bernd Sibler sollte im Kabinett gesetzt sein, der Niederbayer könnte ins Wissenschaftsressort rutschen, das er schon als Staatssekretär betreute. Noch-Wirtschaftsminister Franz Pschierer aus Schwaben darf auf das Ministerium für Bau, Wohnen und Verkehr hoffen, das bislang Ilse Aigner führte. Aber sicher ist nichts, Personalentscheidungen gibt Söder erst nächste Woche bekannt. Aigner wird am Montag zur Landtagspräsidentin gewählt. Ihre Vorgängerin Barbara Stamm - lange beklatscht - hat einen Platz auf der Ehrentribüne und sieht zu, wie Aigner und der FDP-Abgeordnete Helmut Markwort sich mit Küsschen begrüßen.
Politik beobachtet hat Markwort als Journalist. Jetzt hat er die Chance, Politik zu machen - er nutzt sie ausgiebig. Als Alterspräsident eröffnet der 81-Jährige die erste Plenarsitzung. Nach neun Minuten, sein Vorgänger war da vor fünf Jahren schon am Ende angelangt, hat Markwort noch nicht mal die Grußworte abgeschlossen. Er fordert die Abgeordneten auf, die Verfassung noch ernster zu nehmen. Markwort rügt die Regierung, die auf ihren Handys rumgedaddelt habe, während sich Oppositionspolitiker am Rednerpult abmühten. Er ruft die Beamten auf, ihren Juristenverstand nicht zu nutzen "um abzuwimmeln, sondern um zu ermöglichen".
Der erste Auftritt der AfD folgt sofort. Sie will die Abstimmung zur Geschäftsordnung vertagen, man habe nicht die Zeit gehabt, sich über die von den anderen Fraktionen geplanten Änderungen zu informieren. "Das fängt ja schon gut an", kommentiert SPD-Mann Florian von Brunn. Der AfD-Antrag wird mit den Stimmen aller anderen abgelehnt. Christoph Maier, der parlamentarische Geschäftsführer der AfD, fordert "Waffengleichheit". Ihr Kandidat Henkel sei "politisch vorverurteilt" worden. Bei der Abstimmung zur Geschäftsordnung enthält sich die AfD, nicht aber bei der Wahl der Landtagspräsidentin.
Mit 198 von 205 Stimmen wird Ilse Aigner an die Spitze des Parlaments gewählt, alle Abgeordneten klatschen im Stehen. Aigner wünscht sich kollegiale Zusammenarbeit, ein weiterer Appell dürfte sich an die AfD richten. Der Landtag vertrete alle Menschen, "ganz egal, woher sie kommen, welche Hautfarbe sie haben oder welche Religion sie ausüben". Fremdenfeindlichkeit habe in diesem Haus keinen Platz.
Aigners erste Amtshandlung nach ihrer Rede: Aufruf zur Wahl der Vizepräsidenten. Karl Freller (CSU), Thomas Gehring (Grüne), Alexander Hold (FW), Markus Rinderspacher (SPD) und Wolfgang Heubisch (FDP) - alle werden mit klarer Mehrheit in ihre Ämter gewählt. Waren auch die Hoffnungen des AfD-Mannes berechtigt? Er schlage in Swoboda einen "hochverdienten bayerischen Staatsbeamten" vor, sagt AfD-Fraktionschef Markus Plenk, "wir bitten das Hohe Haus um Zustimmung". Vergeblich. 27 Ja-Stimmen bekommt Swoboda, nur fünf mehr, als die AfD Fraktionsmitglieder zählt. 153 Abgeordnete stimmen mit Nein, 22 enthalten sich. Zum ganz großen Eklat aber kommt es nicht. Die AfD bleibt im Saal. Sie kann Swoboda in einer der nächsten Sitzungen wieder vorschlagen - oder einen anderen Kandidaten.