Süddeutsche Zeitung

Podium:Bienen und Bauern retten

SZ-Debatte in Neumarkt-St. Veit zum Volksbegehren

Und plötzlich sehen sich der Umweltminister und der Biologe tief in die Augen. Für einen Moment ist es still im Kulturbahnhof von Neumarkt-St. Veit. Dann sagt Josef Reichholf, der Biologe, zu Thorsten Glauber, dem Umweltminister: "Wenn wir uns so in die Augen schauen, dann glauben wir uns. Ich hoffe, das bleibt."

Vertrauen - um dieses Gefühl geht es immer wieder bei der Podiumsdiskussion der Süddeutschen Zeitung am Donnerstagabend. Reichholf, langjähriger Professor an der Technischen Universität München, erforscht seit 50 Jahren heimische Tier- und Pflanzenarten. Das Vertrauen, dass die Politik das Artensterben in der bayerischen Natur aufhalten werde, hatte er fast verloren. Dann kam das Volksbegehren. Es sei "vielleicht eine der letzten Chancen", sagt Reichholf.

Vertrauen fordert aber auch der bayerische Umweltminister Glauber (FW). Und zwar Vertrauen in die Leistung der heimischen Landwirte. "Es kann nicht sein, dass eine Berufsgruppe allein für das Problem verantwortlich gemacht wird", sagt der Minister und erhält Applaus - nicht nur von den zahlreichen Bauern im Publikum. Die Staatsregierung aus CSU und Freien Wählern unterstützt das Volksbegehren nicht. In einem Punkt sind sich der Biologe und der Minister jedoch einig: Es muss sich dringend etwas tun in der bayerischen Naturschutzpolitik. Es ist der Moment, in dem sich die beiden Männer intensiv anblicken. Glauber kündigt - wie Ministerpräsident Markus Söder wenige Stunden zuvor - einen Runden Tisch mit Experten und Verbänden an, der sich des Themas annehmen soll.

Neben Glauber und Reichholf sitzt die Imkerin Helga Pausch auf dem Podium. Sie führt einen ökologischen Bienenhof in Scheyern und kritisiert, dass beim Naturschutz in der Landwirtschaft zu lange auf Freiwilligkeit gesetzt worden sei. "Die Landwirte, die freiwillig nachhaltig arbeiten, sind am Ende die Dummen, weil die konventionellen Bauern die höheren Profite einfahren." Sie befürwortet das Volksbegehren, das unter anderem vorsieht, 30 Prozent der landwirtschaftlichen Flächen bis zum Jahr 2030 ökologisch zu bewirtschaften.

Dass es bei dieser Diskussion aber um mehr geht als um Zahlen, macht Zuschauerin Paula Hochholzer deutlich. Die Kreisbäuerin aus dem Landkreis Rottal-Inn fühlt sich wie viele ihrer Kollegen an den Pranger gestellt. Mit brüchiger Stimme berichtet sie, dass sie ihre Milch seit 35 Jahren für den selben Preis verkaufe. In der gleichen Zeit habe jedoch der bürokratische Aufwand stark zugenommen. "Es ist unglaublich, was uns Bauern zugemutet wird", sagt Hochholzer und klagt, dass es nach "Rettet die Bienen" bald "Rettet die Bauern" heißen könnte.

In ihre Kritik stimmt auch Christian Senftl ein. Der 29-Jährige aus der Nähe von Neumarkt-St. Veit ist konventioneller Landwirt. Er berichtet von einem "enormen Druck aus der Gesellschaft", der durch Facebook und Co. befeuert werde. Seinen Berufsstand sieht Senftl als "böse Bauern" verunglimpft. Dabei sei dem Junglandwirt das Problem Artensterben sehr bewusst: "Wir düngen seit Jahren weniger. Aber leben müssen wir auch von unserer Arbeit." Er spricht an diesem Abend für viele andere im Saal.

Wie lässt sich der Zwiespalt zwischen einer einträglichen Landwirtschaft und einem nachhaltigen Umweltschutz lösen? Reichholf weist auf die Lebensmittelverschwendung hin. Fast die Hälfte der Lebensmittel werde weggeworfen. Seine Lösung: "Die Produkte dürften unter den gegenwärtigen Bedingungen doppelt so teuer werden. Nur dann sparen die Leute." Die Bauern würden dann nur das produzieren, was wirklich gebraucht werde. Die Kunden würden die Hersteller direkt bezahlen. Staatliche Subventionen bräuchte es nicht mehr. Bei Reichholfs Gedankenspiel entgleisen Glauber kurz die Gesichtszüge. Er sagt: "Ich kann und möchte niemand vorschreiben, wie er einzukaufen hat." Aber, und auch da sind sich der Biologe und der Minister wieder einig: "Diese Frage wird an der Ladentheke entschieden."

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SZ vom 09.02.2019 / THBA
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