Vilshofen:Die Lärmschutzmauer, die kaum jemand möchte

Bau einer Schallschutzwand an Bahnstrecke in München Giesing, 2013

Wenn es nach den ursprünglichen Plänen der Bahn gehe, soll auch durch Pleinting bald eine solche Mauer führen. (Symbolbild)

(Foto: ANGELIKA BARDEHLE)

In Pleinting plant die Bahn, eine undurchsichtige Schallschutzwand zu errichten. Die Anwohner wehren sich dagegen. Nach langem Hin und Her gibt es für sie nun wieder ein bisschen Hoffnung.

Von Andreas Glas, Pleinting

Früher hat Alexandra Scherm in Berlin gewohnt. Bernauer Straße, direkt am Grenzstreifen zwischen Osten und Westen. Zur Haustür raus, fünf Meter, da war die Mauer. Inzwischen wohnt Scherm in Niederbayern, in Pleinting, Alte Straße, direkt am Bahngleis. Doch wenn alles so kommt, wie geplant, wird sie bald wieder gegen eine Wand laufen, wenn sie das Haus verlässt. "Keine Berliner Mauer!", steht auf dem Plakat, das Alexandra Scherm an der Fassade ihres Hauses befestigt hat. Es ist ihre Form des Protests. Aber es sieht nicht gut aus.

Jemand hat also die Absicht eine Mauer zu errichten. Genauer gesagt: die Deutsche Bahn. Mitten durch den Ort, fast 800 Meter lang, parallel zu den Gleisen, die einmal quer durch Pleinting führen. Seit 160 Jahren donnern Züge durch den 1500-Einwohner-Ortsteil von Vilshofen. Nicht schön und ziemlich laut. Da könnte man meinen, dass es kein schlechter Plan ist, wenn die Bahn einen Lärmschutz baut. Nur ist es halt so: Viele Pleintinger wollen die Wand überhaupt nicht haben.

"Man kriegt das hingeknallt und muss den Rest seines Lebens auf Wände schauen", sagt Roswitha Baumgartner. Das Haus ihrer Mutter steht ebenfalls wenige Meter neben der Bahnstrecke. Durch die Fenster im ersten Stock hat sie einen wunderbaren Blick auf die Donau. Wenn die Wand kommt, drei Meter hoch, wird die 89-Jährige wohl nur noch Blech sehen. "Wie im Knast. Da kriegt man Depressionen", sagt Roswitha Baumgartner. Sie fände es "brutal", falls die Wand kommt. "Dann wäre der Ort komplett gespalten".

Man muss den Fall Pleinting vor einem größeren Hintergrund betrachten: dem Plan der Bahn, den Schienenverkehrslärm in Deutschland bis Ende 2020 um die Hälfte zu reduzieren. Um das zu schaffen, hat die Bahn den Ort zum Teil ihres Plans gemacht. Überhaupt scheint die Bahn die Dinge anders zu sehen als Roswitha Baumgartner und ihre Mutter, die gegen die Lärmschutzwand geklagt hat. Auf Nachfrage teilt ein Bahnsprecher mit: "Viele Pleintinger warten darauf, dass endlich die Schallschutzwände gebaut und sie vor dem Lärm der vorbeifahrenden Züge geschützt werden. Für die Verzögerungen durch die Klage der Anwohnerin haben sie wenig Verständnis."

Dass die Bahn so klingt, als störe die geplante Wand nur ihre Mutter, ärgert Roswitha Baumgartner. "Es geht um den Ort insgesamt, dass der nicht zerstört wird", sagt sie. Insgesamt 359 Pleintinger hatten Einsprüche gegen den Lärmschutz eingelegt. Darunter fast alle, die als Anlieger betroffen seien, sagt Baumgartner. Gemeinsam haben sie gegen den Bau demonstriert, haben entlang der Gleise meterhohe Planen aufgestellt, um sichtbar zu machen, wie die Lärmschutzwand den nördlichen vom südlichen Ortsteil abschneiden würde. Ein kreativer Protest, den auch die Bahn registrierte. Im Sommer 2017 reiste Alexander Pawlik, oberster Lärmschützer des Konzerns, nach Pleinting - und kündigte eine Lösung an.

Die Bahn hielt an ihrem Planfeststellungsbeschluss fest.

"Wir wollen Ihnen keine Lärmschutzwand vor die Nase setzen, die Sie nicht wollen", sagte Pawlik. Man kann das nachlesen, in Berichten des Vilshofener Anzeigers. Man werde "einen Vorschlag zur Güte" machen, "in den nächsten ein bis zwei Jahren muss sich was für Pleinting finden", sagte Pawlik. Doch es geschah: nichts. Die Bahn hielt an ihrem Planfeststellungsbeschluss fest. Also klagte Roswitha Baumgartners Mutter dagegen. Zunächst sah es wieder nach einer Einigung aus. Auch das Bundesverkehrsministerium hatte angekündigt, "nach Wegen zu einer einvernehmlichen Lösung mit den Anliegern" zu suchen. Doch obwohl der Richter am Verwaltungsgerichtshof einen Vergleich vorgeschlagen habe, sei die Bahn hart geblieben, sagt Baumgartner. Am Ende wurde die Klage ihrer Mutter abgewiesen.

Das war im Dezember 2019. Der Bau der Lärmschutzwand könnte also bald losgehen. Die letzte Hoffnung der Pleintinger ist jetzt die Politik, konkret: Andreas Scheuer (CSU), der Bundesverkehrsminister. Die Bahn ist zu hundert Prozent in den Händen des Bundes, Scheuer ist Dienstherr des Bahnchefs. "Er könnte das jederzeit stoppen", sagt Baumgartner. Was den Pleintingern noch lieber wäre: Dass sich Scheuer für einen dezenteren Lärmschutz stark macht. Es gebe ja längst Alternativen zur Drei-Meter-Wand, sagt Baumgartner, zum Beispiel die sogenannten C-Schalen, keinen Meter hoch, noch dazu transparent. In Passau, Scheuers Wahlkreis, "war das kein Problem", sagt Baumgartner, dort gibt es C-Schalen.

Die Reaktion des Bundesverkehrsministeriums kommt recht merkwürdig daher

Auch der bayerische Wissenschaftsminister Bernd Sibler hat seinen Parteifreund Scheuer aufgefordert, sich noch einmal mit den Pleintingern hinzusetzen. Sibler fürchtet offenbar, dass die Lärmschutzwand die Aufnahme des Donauabschnitts bei Vilshofen in die Weltkulturerbeliste gefährdet. Da man die Unesco-Bewerbung "zum Erfolg führen" wolle, "würde ich es sehr begrüßen, wenn hier eine Lösung gefunden werden könnte, die dem Anliegen der Pleintinger, des Lärmschutzes und der Denkmalverträglichkeit Rechnung trägt", schrieb Sibler Ende Februar in einem Brief an Scheuer. Kurz zuvor habe Scheuer ein vereinbartes Telefonat mit den Pleintingern kurzfristig abgesagt und danach nichts mehr hören lassen, sagt Roswitha Baumgartner.

Also, Nachfrage im Bundesverkehrsministerium: Dürfen die Pleintinger noch hoffen? Die Reaktion kommt per E-Mail und recht merkwürdig daher: dass "ein ordnungsgemäßes Planungsverfahren" durchgeführt wurde, dass es einen Planfeststellungsbeschluss gebe, dass die Klage dagegen gescheitert sei. Was das Ministerium da schreibt, ist eine Zusammenfassung des Falls Pleinting - keine Antwort auf die Frage. Dann, am Ende der Mail, ist da aber doch noch ein Satz, der den Pleintingern gefallen könnte. Die Bahn, heißt es, habe "Vorschläge zu einer einvernehmlichen Lösung gemacht", zum Beispiel "transparente Wandelemente".

Erst so, dann so, dann wieder ganz anders? So richtig schlau werden die Pleintinger nicht aus dem, was Bahn und Verkehrsministerium ihnen seit drei Jahren so erzählen. Wie ein transparenter Lärmschutz konkret aussehen könnte, wie hoch die Wand dann wäre, dazu steht nichts in der E-Mail des Ministeriums. Aber immerhin, die Mail ist ein Hoffnungsschimmer. Dieses Hin und Her, "Sie glauben gar nicht, was das Kraft kostet", sagt Roswitha Baumgartner, "man muss da zäh bleiben". Wie das alles endet, ist offen. Aber eines steht offenbar fest: Ans Aufgaben denkt in Pleinting niemand.

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