Süddeutsche Zeitung

Würzburger Initiative:"Wir wollen Echoräume aufbrechen"

Die Initiative pics4peace gibt jungen Menschen das Forum, sich für Demokratie und Frieden stark zu machen, ihre Ängste zu äußern - und durch Kunst zu überwinden.

Von Olaf Przybilla, Würzburg

Anna Schärmann wird in wenigen Wochen Abitur machen, in solchen Zeiten soll es Menschen geben, die sich daheim am Schreibtisch verbarrikadieren. Die 17-Jährige besucht ein humanistisches Gymnasium in Würzburg, schulisches Arbeitsethos ist einem da nicht fremd. Als sie jedoch von der Initiative pics4peace hörte, die sich an junge Menschen richtet, ihre Ängste zu formulieren und sich für Frieden und Demokratie stark zu machen, drängte es sie aus dem Lernkämmerchen.

Auf der Internetseite der Demokratie-Initiative kann man nachvollziehen, wo Schärmann die vergangenen Monate verbracht hat: in der Fußgängerzone ihrer Schulstadt in Unterfranken etwa, im Gespräch mit Würzburger Bürgern; aber auch während der Buchmesse vor dem Frankfurter Römer, Texte zum Thema Bücherverbrennung vortragend. Abitur ist zweifellos wichtig, sagt Schärmann. Anderes aber auch - vielleicht sogar noch wichtiger.

"Uns muss allen klar sein, in welche Richtung das gehen kann, wenn man nichts dagegen tut", sagt Schärmann. Und formuliert damit eine Art Leitidee der Demokratie-Initiative. Diese will das, was junge Leute bewegt, in Politik und Gesellschaft tragen. Von der Unistadt am Main gehen die Aktionen aus, inzwischen aber gab es Veranstaltungen von pics4peace in Augsburg, Mannheim, München, Berlin, Coburg und eben Frankfurt. "Wir wollen Echoräume aufbrechen und junge Menschen motivieren, sich für die Gestaltung ihrer Zukunft einzusetzen und ihre Vorstellungen und Ideen einzubringen", sagt die Gründerin der Initiative, Pia Beckmann.

Wie sich pics4peace selbst versteht, zeigte sich vielleicht am besten in Frankfurt. Dort stellten sich Schüler und Studenten zu Beginn der Buchmesse an jener Stelle auf, wo 1933 als "undeutsch" gebrandmarkte Bücher verbrannt wurden. Während die Initiative selbst geschriebene Texte vorträgt ("Studenten stürmten Schulbüchereien, Unibibliotheken, Buchgeschäfte und mehr. Studenten. Studenten wie wir"), vernichtet der Berliner Künstler Winfried Muthesius ein 40 Kilogramm schweres Bild aus goldenen Blättchen mit einer Kettensäge - ein Rekurs auf den Lärm der Masse, die 1933 einer Bücherverbrennung wie einem Jahrmarktrummel beiwohnte. 85 Jahre später bleibt nach der Aktion der Initiative in Frankfurt ein zerstörtes Kunstwerk in buchgroßen Stücken.

Als Siebenjährige ist Sarul Dubiel nach Deutschland gekommen. Mit einem auf Video aufgenommenen Song hat sie 2018 den ersten Onlinewettbewerb der Initiative gewonnen. Entstanden ist das Video auf dem Hubland, dem Würzburger Universitätsberg. Dort singt die 25-jährige Zahnmedizinstudentin von einem jungen Mann, der durch seine Lieblingsstadt läuft, in der er sich nicht fremd fühlt, nie fremd fühlte, in der ihm aber plötzlich suggeriert wird, er sehe fremd aus: "Ich seh die Polizei, ich seh den Hitlergruß, meine Freunde winken mir zu. Und ich will hier weg. Und ich will nur fort", singt Dubiel.

Sie kennt solche Geschichten von Bekannten. In Würzburg ist ihr dergleichen noch nicht passiert, sagt sie, aber sie habe asiatische Wurzeln, da reagierten die Menschen ihrer Beobachtung nach grundsätzlich anders, freundlicher. Eine Veränderung freilich spüre sie schon, "auch wenn ich mich in Würzburg immer noch wahnsinnig wohlfühle". Was sie irritiert: Wenn sie ihren Song live spiele, herrsche großes Schweigen anschließend. Beklommenheit wohl. "Es spricht mich dann keiner darauf an." Sie findet das schade.

Beteiligt am ersten Wettbewerb hat sich auch die 23-jährige Clara Schilling, die ihr in Tansania aufgenommenes Foto einer Basketballerin mit dem Text untertitelt: "egal welche hautfarbe, egal welches geschlecht, egal welche religion! was darunter steckt, entscheidet wer wir sind."

Und teilgenommen hat auch Romina Birzer, die 2016 an ihrer Masterarbeit in Kommunikationsdesign arbeitete. Als plötzlich in ihrer Heimat, im unterfränkischen Gemünden, Geflüchtete ankamen, verließ auch sie ihre Schreibstube. Mit Kindern hatte sie bis dahin keinen so engen Kontakt, erzählt die 29-Jährige. Die Schicksale derer, die da in Gemünden Schutz suchten, hätten sie aber nicht mehr losgelassen. Wenn sie von nun an Kinder sah, die im Krieg oder auf der Flucht starben, habe sie immer an die Kinder in ihrer Heimat denken müssen. Der Gedanke "So hätte es ihnen auch ergehen können" lässt sie seither nicht los. Zum Wettbewerb hat sie eine Serie mit dem Titel "Kriegskind" beigesteuert, sie wurde mit dem dritten Platz ausgezeichnet.

Mit einem Kunstbeitrag will Birzer auch beim "Umsonst&Draußen" im Juni in Würzburg für pics4peace teilnehmen. Das Thema Europa soll bei dem Festival im Fokus stehen, wie auch beim Onlinewettbewerb der Initiative für 2019. "Ihr könnt das in eurem Kreativbeitrag ausdrücken", heißt es in einem Aufruf, "was euch zur Zeit Angst macht, was ihr verhindern oder was ihr ändern wollt". Mit Texten, Bildern, Videos, Fotos, Graffitis, Songs, Poetry-Slams kann man sich daran beteiligen, einzige Einschränkung: "Es muss uploadfähig sein."

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SZ vom 02.04.2019/baso/kast
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