Süddeutsche Zeitung

Pflegenotstand:Kein Plan

An Bayerns Pflegeschulen drohen ganze Ausbildungsjahrgänge wegzufallen. Jetzt machen die Kliniken Druck auf das Kultusministerium

Von Dietrich Mittler

Seit Anfang vergangener Woche verdichteten sich die Hinweise, dass Bayerns Pflegeschulen vom Kultusministerium nicht rechtzeitig ihre neuen Stundenpläne erhalten und dass deshalb an etlichen Einrichtungen ein Frühjahrs-Lehrgang wegzufallen droht. Bayerns Krankenhäuser, die derzeit händeringend nach Fachkräften in der Pflege Ausschau halten, machen jetzt Druck. Siegfried Hasenbein, der Geschäftsführer der Bayerischen Krankenhausgesellschaft (BKG), sagte am Donnerstag: "Jetzt, wo jeder nach mehr Auszubildenden in der Pflege ruft, wäre es fatal, wenn die Schulen nicht mehr ausreichend Zeit haben, ihre Frühjahrs-Lehrgänge vorzubereiten."

Nach Berechnungen der Gewerkschaft Verdi fehlen in Bayerns Krankenhäusern bereits jetzt rund 12 000 Pflegekräfte. Der Markt sei nahezu leergefegt. Es kommt also mehr denn je auf jeden Auszubildenden an. Doch nicht nur die Krankenhäuser brauchen gut ausgebildete Fachkräfte. Auch die Alten- und Pflegeheime sowie die ambulanten Pflegedienste sind dringend auf Nachwuchs angewiesen. Unter ihnen wird der Kampf um gut geschulte Kräfte in Zukunft noch härter werden. Grund: Die Pflegeausbildung wurde vom Bund neu organisiert. Die zuvor dreigeteilte Ausbildung für die Alten-, Kranken- und Kinderkrankenpflege wird im kommenden Jahr vereinheitlicht.

Heißt im Klartext: Drohende Ausfälle in den Schulen würden die Marktlage weiter verschärfen - und letztlich ginge das wohl in vielen Fällen auf Kosten der Altenpflege. Gleichwohl wächst auch in den Krankenhäusern die Sorge, dass bald vielleicht Stationen zeitweise geschlossen werden müssen, weil das Personal für die Pflege fehlt. "Wir haben einen akuten Mangel an Pflegekräften", sagt BKG-Geschäftsführer Hasenbein, "und wir machen alle möglichen Handstände und Verrenkungen, um Pflegekräfte zu gewinnen." Da sei es aus seiner Sicht "fast skandalös", wenn nun einige Schulen ihre Lehrgänge im April nicht beginnen könnten. Einige, so seine Kenntnis, hätten dies bereits angekündigt.

Hintergrund des Dilemmas ist, dass die Bundesregierung die neuen "Rahmenpläne" für die Pflegeausbildung zwar längst an die Länder weitergegeben hat, damit jene die Pläne an die Landesgesetzgebung anpassen können. "Die bayerische Umsetzung dieser Pläne wird aber erst zum Jahreswechsel erwartet", sagt Ruth Waldmann, die pflegepolitische Sprecherin der SPD-Landtagsfraktion. Die Staatsregierung habe den betroffenen Schulen und Ausbildungsträgern sogar "selber geraten, diesen Jahrgang ausfallen zu lassen", betonte sie. Dies wird so unter anderem auch von der Sozialstiftung Bamberg bestätigt.

Die SPD-Abgeordnete Waldmann stellt sich nun die Frage: "Wie kann die Staatsregierung in dieser dramatischen Situation zulassen, dass ein ganzer Ausbildungsjahrgang wegfällt?" In diesem Sinne habe die SPD-Fraktion bereits einen entsprechenden Dringlichkeitsantrag im Landtag eingebracht, um hier doch noch eine Lösung herbeizuführen. "In der Pflege kracht es an allen Ecken und Enden. Der Personalnotstand ist alarmierend", teilte Waldmann mit.

Das Kultusministerium wies die Vorwürfe in einem Bericht der Nachrichtenagentur dpa zurück. Ein Entwurf des neuen Lehrplans werde voraussichtlich im November an die Schulen gegeben, und die entschieden dann, ob sie zum 1. April 2020 starten können. Diesen Ministeriums-Angaben schenkt unterdessen die Sozialstiftung Bamberg nur wenig Glauben. Vor Weihnachten sei mit den Lehrplänen nicht zu rechnen.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.4626468
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 04.10.2019
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.