Protestaktion:In Pfarrkirchen gehen die Lichter aus

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Pfarrkirchen wird dunkel, die Protestaktion gegen Internethandel (Foto: N/A)

Einzelhändler im Zentrum der Stadt verdunkelten ihre Schaufenster, um auf Probleme durch den Onlinekauf aufmerksam zu machen. Gegen das Shoppen im Internet an sich hätten sie nichts - aber gegen das dreiste Verhalten einiger Kunden.

Von Hans Kratzer, Pfarrkirchen

Neulich betrat ein junges Mädchen ein im Zentrum von Pfarrkirchen gelegenes Geschäft, um sich eine Uhr zeigen zu lassen. Diese hatte sie beim Blick in das Schaufenster entdeckt. Sie schwärmte von dem Stück, probierte es an und war nur noch glücklich. Dann sagte sie: "Die werde ich mir jetzt gleich daheim bestellen." Der Schmuckhändler entgegnete verblüfft, sie könne doch die Uhr bei ihm erwerben und sie gleich mitnehmen. Oha, das Mädchen stutzte kurz, prima Idee, dann kaufte sie die Uhr im Laden. Offensichtlich war dies eine Option, die sie nicht auf dem Schirm hatte. Etwas im örtlichen Handel zu kaufen und nicht im Internet.

"Das Einkaufsverhalten hat sich dramatisch geändert", sagt Bernd Ohlmann vom Handelsverband Bayern (HBE). Vor allem junge Leute betrachten das Einkaufen über das Smartphone als alternativlos. Die örtlichen Läden leiden deshalb immer mehr an Auszehrung, die Kundenfrequenz geht deutlich zurück. Um die Menschen aufzurütteln, hat der örtliche Handel in Pfarrkirchen am Donnerstag eine ungewöhnliche Aktion gestartet. "In der Innenstadt brechen düstere Zeiten an", war vorab in der Lokalpresse zu lesen. Das war wörtlich zu verstehen, denn am späten Nachmittag gingen tatsächlich die Lichter aus, jedenfalls in den Schaufenstern der meisten Geschäfte.

Die wurden nämlich mit Packpapier verhängt, und das ausgerechnet am langen Einkaufs-Donnerstag mitten während des Weihnachtsmarkts. Anstelle von Büchern, Schmuck, Reiseangeboten oder Nähmaschinen waren in den Auslagen nur Plakate zu sehen. Darauf war zu lesen: "Dunkel wird's: So schaut's aus in Pfarrkirchen, wenn die kleinen Läden aussterben ..." Auf einem anderen stand: "Stop Beratungsdiebstahl!"

Die Idee zu dieser Aktion hatte Brigitte Enggruber, die in Pfarrkirchen ein Reisebüro betreibt: "Wir wollten einfach zeigen, was kommen wird, wenn nur noch im Internet eingekauft wird", sagt sie und verweist darauf, dass es in d er Stadt viele schöne Geschäfte mit bester Beratung gebe. "Man muss nicht immer online shoppen." Fast alle Geschäfte am Stadtplatz und an den Zubringerstraßen machten bei der Aktion mit.

Dunkel wird's: Mit dickem Packpapier klebten die Geschäftsleute am Donnerstag in Pfarrkirchen ihre Schaufenster zu. (Foto: Privat)

Noch gilt Pfarrkirchen als eine Einkaufsstadt. Aber die Einkäufe lassen spürbar nach. Und das in Zeiten, in denen die Verbraucher in Bayern so viel Geld für Weihnachtsgeschenke ausgeben wollen wie noch nie zuvor. Dies geht aus einer Umfrage der Hochschule für Oekonomie & Management hervor. Laut dem Handelsverband Bayern wird der Internethandel im Freistaat im Jahr 2019 zweistellige Zuwachsraten verzeichnen.

"Wir haben nichts gegen das Internet", sagt Brigitte Enggruber, aber es schade immens, wenn Kunden nur noch zur Beratung zu uns kommen, die Waren fotografieren und sie dann im Internet bestellen. Sie hofft, dass sich die Menschen durch die Schaufenster-Aktion Gedanken machen, wohin diese Entwicklung führe. "Die Läden sterben, es fehlen dann irgendwann auch lokale Arbeitsplätze, und es gibt nichts mehr zum Schauen und Flanieren."

Auch der Pfarrkirchener Buchhändler Sebastian Seibold hat am Donnerstag sein Schaufenster verhängt. Der Rückgang der Kundschaft sei überall zu spüren, sagt er. "In der Innenstadt ist viel weniger los als noch vor einigen Jahren." Vor zehn Jahren hat er den Laden von seiner Tante übernommen, seitdem habe sich alles gewaltig verändert. Das Geschäft laufe zwar noch, weil er auf seine treuen Stammkunden zählen könne. "Die Laufkundschaft aber ist definitiv weg. Man muss die Leute wachrütteln", sagt er.

Nicht nur das Internet schafft den kleinen Händlern Probleme. "Billig-Aktionen wie der Black Friday richten jeden Fachhandel zugrunde", sagt der Uhrenhändler Franz Zirkler. Er könne vor allem noch über den Service punkten, aber auch bei dem müsste er eigentlich das Dreifache verlangen. Er wünschte sich, dass im Schulunterricht mehr wirtschaftliche Zusammenhänge vermittelt würden. Etwa, dass die Gewerbesteuer wegbreche und das Schwimmbad nicht mehr betrieben werden könne, wenn die lokale Wirtschaft wegsterbe. "Es könnte ein böses Erwachen geben, wenn die Innenstadt tot ist", unkt er.

Beim Handelsverband Bayern sieht man Aktionen wie jene in Pfarrkirchen dennoch zwiespältig. "Da schlagen zwei Herzen in meiner Brust", sagt Pressesprecher Ohlmann. Der Internethandel nimmt sich zwar immer mehr vom Umsatzkuchen. Aber: Letztlich stimmen die Kunden mit den Füßen darüber ab, ob kleine Geschäfte überleben werden. Ohlmann hat seine Zweifel, ob das Heischen nach Mitleid ein dauerhaftes Kaufargument sein kann.

Er rät dem Einzelhandel, noch besser seine Stärken auszuspielen, auf Service und Beratung zu setzen, nach dem Motto: "Du kriegst hier etwas, das du im Internet nicht bekommst." Manchmal passe einfach das Sortiment nicht mehr, die Gründe für den Niedergang seien vielfältig, der Onlinehandel sei oft nur der letzte Sargnagel.

Ein Muss für jeden Händler sei eine eigene Homepage, sagt Ohlmann. Außerdem stellten die Kunden heutzutage hohe Anforderungen an das Verkaufspersonal. Viele kämen superinformiert ins Geschäft, ein Verkäufer müsse mindestens so viel wissen wie sie. Nicht einfach, in Zeiten des Fachkräftemangels solche Leute zu finden. Letztlich wird auch der Kampf um die verfügbare Freizeit der Kunden immer härter geführt. Buchhändler Seibold weiß, dass an Weihnachten viele Netflix-Abos verschenkt werden. Ein Zeitfresser par excellence. Seibold macht sich da nichts vor: "Die Freizeit ist begrenzt, gegen eine Netflix-Berieselung hat das Buch manchmal keine Chance."

© SZ vom 06.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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