Süddeutsche Zeitung

Personeller Neuanfang:Bayerns Junge Union fordert Rückzug von Horst Seehofer

  • Die bayerische Junge Union fordert den Rückzug von CSU-Chef Horst Seehofer spätestens für das kommende Jahr.
  • Über einen entsprechenden Antrag haben die Vertreter heute auf der Landesversammlung abgestimmt.
  • Seehofer steht seit dem schlechten CSU-Ergebnis bei der Bundestagswahl intern unter Druck.

Von Wolfgang Wittl, Erlangen

Der nächste Tiefschlag, der seine politische Zukunft betrifft, ereilt Horst Seehofer am Samstag um kurz nach zehn Uhr. Die Junge Union debattiert gerade über ihre "Erlanger Erklärung", die sie bei ihrer Landesversammlung sogleich verabschieden wird. Auf einmal steht ein Änderungsantrag auf der Tagesordnung, der Seehofers ohnehin wacklige Position in der CSU noch einmal zusätzlich ins Wanken bringt. "Für einen Erfolg bei der Landtagswahl im kommenden Jahr braucht es einen glaubwürdigen personellen Neuanfang", fordert die JU plötzlich in ungewöhnlicher Schärfe. Und weiter: "Bei allen Verdiensten, die sich Horst Seehofer zweifellos in vielen Jahrzehnten für die CSU, Bayern und Deutschland erworben hat, muss er jetzt den Weg bahnen für einen geordneten Übergang an der Spitze der Staatsregierung."

Die JU ist also nicht mehr bereit, mit ihrem Parteivorsitzenden als Spitzenkandidat in den Landtagswahlkampf 2018 zu ziehen. Ausgerechnet die Parteijugend, auf die es im Wahlkampf besonders ankommt. Damit ist die JU der erste parteiinterne Verband, der sich offen gegen Seehofer stellt. Zuvor hatten sich bereits die Bezirksvorstände in der Oberpfalz, in Oberfranken und München mehrheitlich für einen personellen Neubeginn ausgesprochen. Etwa zwei Drittel der JU-Delegierten stimmen am Samstag dem Änderungsantrag zu, nur ein Drittel ist dagegen. Seehofers Unterstützer kommen vor allem aus Oberbayern und Niederbayern - die deutliche Mehrheit hebt jedoch die Stimmkarte und senkt damit den Daumen über den Ministerpräsidenten.

Seehofer sitzt zu dieser Zeit in Berlin, er berät mit den Spitzen von CDU und CSU bei der Bundeskanzlerin über die Jamaika-Sondierungen. Es sind entscheidende Stunde für eine Regierungsbildung. Seit acht Uhr bespricht sich die Runde, beim Reingehen sagt der CSU-Chef: "Wissen Sie, ich bin hier in historisch bedeutsamen Verhandlungen. Da darf kein Fehler passieren. Da muss man sich sehr vorbereiten." Er erklärt damit, weshalb er seinen für Samstag geplanten Besuch bei der JU kurzfristig abgesagt hat. Eine Absage, die den mit fast 97 Prozent im Amt bestätigten JU-Chef Hans Reichhart empört hat. "Es ist schon ein unüblicher Vorgang, dass der Parteivorsitzende der Diskussion mit der JU-Basis ausweicht", schimpfte Reichhart: "Ob das jetzt unbedingt die schwelende Personaldiskussion beruhigt, darüber wird es unterschiedliche Sichtweisen geben." Die Sichtweise der JU spiegelt sich jetzt auch in dem Änderungsantrag über Seehofers Zukunft.

Reichhart kritisiert, dass Seehofer auch am Sonntag nicht zu einem Besuch bereit ist. "Offensichtlich hat sich in seinem Kalender am gesamten Wochenende kein Zeitfenster gefunden. Das nehmen wir so zur Kenntnis." Auch Seehofer soll empört sein, in seinem Umfeld ist von einem "traurigen Beispiel der Unfairness" die Rede. Teile der Partei wollten offenbar die "historische Bedeutung" dessen, was in Berlin gerade verhandelt werde, "einfach nicht akzeptieren". Die CSU sei schließlich keine Provinzpartei, sondern habe bundesweiten Gestaltungsanspruch. Nach den Gesprächen der Unionsspitze sagt Seehofer, er bleibe seiner Linie treu. Erst die Sondierungen abschließen, dann in die Personaldebatte einsteigen - ein Zeitplan, dem auch die JU-Führung zugestimmt habe. "Wenn die Sondierungen abgeschlossen sind, werde ich mich dazu äußern", sagte Seehofer am Rande der Verhandlungen in Berlin.

Statt Seehofer spricht der stellvertretende Parteichef Manfred Weber zur Jungen Union, ehemaliger JU-Chef und einer von Seehofers derzeit engsten Gefolgsleuten. Er beginnt seine Rede mit einer Charmeoffensive für den Parteinachwuchs - auf den Änderungsantrag geht er nur indirekt ein. Seehofers Fehlen entschuldigt er mit der Bedeutung der Gespräche in Berlin, er wirbt um Disziplin und Geduld. "Die Glaubwürdigkeitsfrage wird heute in diesen Gesprächen entschieden", sagt Weber. Darauf komme es im Moment an, auf nichts anderes. Egal mit welcher Aufstellung die CSU nächstes Jahr in die Landtagswahl gehe, egal wer der Spitzenkandidat sei. Wenn es der CSU nicht gelinge, zentrale Wahlversprechen durchzusetzen, werde die Partei ein unauflösbares Glaubwürdigkeitsproblem haben. Webers Botschaft ist klar: Er meint ein Glaubwürdigkeitsproblem, bei dem es völlig einerlei ist, ob der Spitzenkandidat dann Seehofer, Markus Söder oder sonst wie heißt. "Dann kann antreten, wer will."

"Es reicht nicht nur, die starke Rede zu halten"

Weber und Söder, das ist in der Partei ein offenes Geheimnis, sind sich in inniger Feindschaft verbunden. Den Namen des nach der Macht strebenden Finanzministers erwähnt Weber denn auch nur ein einziges Mal, und zwar kritisch, dass der damalige Umweltminister Söder sich gegen den von der CSU beschlossenen Donauausbau gestellt habe. Und doch darf Söder viele Sätze Webers auf sich gemünzt sehen. Selbst Franz Josef Strauß habe sich gedulden müssen, Ministerpräsident zu werden. Respekt und Anstand vor der Lebensleistung (in diesem Fall Seehofers) zählten zu den Kerntugenden der CSU. Und Weber erinnert an den Kater, mit dem die Partei nach dem Sturz von Edmund Stoiber aufgewacht sei. "Ja, die CSU braucht kurz über lang Erneuerung. Aber die Form der Auseinandersitzung ist genauso wichtig", ruft Weber.

Orientierung müsse die CSU geben, Antworten liefern auf die Herausforderungen in Bayern und weiter auf eine Teamleistung setzen, fordert der Parteivize. Die CSU dürfe sich aber nicht kleinmachen und nur um Bayern kümmern, sondern müsse auch national und international die Agenda beeinflussen. Auch das ist wohl als Spitze gegen Söder zu verstehen, der seinen Fokus vor allem auf den Freistaat richtet. "Es reicht nicht nur, die starke Rede zu halten", sagt Weber. Vielmehr müsse man Politik mit Substanz unterlegen, um ein Land in die Zukunft zu führen. Er rät: Weniger auf Umfragen blicken, weniger auf Personalpolitik, dafür mehr auf die eigenen Überzeugungen.

Die Delegierten applaudieren Weber im Stehen, einige jubeln ihm zu, manche fordern ihn sogar unverblümt auf, seine Zelte als Chef der Konservativen im Europaparlament in Brüssel abzubrechen und nach Bayern zurückzukehren. Sie wünschen sich, Weber solle in vorderster Reihe Verantwortung übernehmen, als Parteichef oder als Ministerpräsident. Weber hält sich bedeckt: "Ich habe zum Ausdruck gebracht, was mir wichtig ist - Mannschaftsgeist." Er weiß, dass sein Stand in der Landtagsfraktion wesentlich schlechter ist als in der Parteijugend. Auch eine Kampfkandidatur um den CSU-Vorsitz gegen Söder dürfte er wohl kaum gewinnen.

Auf die Frage, warum er seinen Besuch bei der JU nicht einfach verschoben habe, sagte Seehofer in Berlin: "Am Sonntagvormittag haben sie ja einen Redner, den ich nicht verdrängen möchte - Sie kennen den Namen." Markus Söder wird um zehn Uhr erwartet.

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