Süddeutsche Zeitung

Personalmangel:Bayern braucht 15 000 Altenpfleger

Die Lücke ist dramatisch: Die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter an, doch in den Heimen zeichnet sich ein Personalengpass ab. Bis 2021 braucht Bayern zusätzlich 15 000 Altenpfleger. Doch Jugendliche finden den Job unattraktiv - darum ist nun eine Umlage im Gespräch.

Von Dietrich Mittler und Mike Szymanski

Der Freistaat steuert auf einen dramatischen Personalengpass in der Altenpflege zu. Die Häuser und Dienste der stationären und ambulanten Pflege bilden viel zu wenige Fachkräfte aus. Auf der anderen Seite steigt die Anzahl der Pflegebedürftigen in Bayern weiter rasant an. Neuesten Zahlen des Gesundheitsministeriums zufolge würden in Bayern bis 2021 zusätzlich knapp 15 000 staatlich anerkannte Altenpflegekräfte gebraucht. Selbst bei vorsichtiger Kalkulation fehlten bereits 2014 in Bayern 3700 neue Ausbildungsplätze. Der sich abzeichnende Personalmangel versetzt die Staatsregierung rechtlich sogar in die Lage, alle Pflegeeinrichtungen - ob sie nun ausbilden oder nicht - zu Zwangszahlungen in eine Ausbildungsumlage zu verpflichten.

Gesundheitsministerin Melanie Huml kündigt im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung an, dies mit der Branche diskutieren zu wollen. "Ich bin dafür. Noch im November werden wir eine Arbeitsgruppe Ausbildung ins Leben rufen", sagte die CSU-Politikerin. Der Altenpflegeberuf müsse für junge Leute attraktiver werden. "Alle Akteure sind nun gefordert, gemeinsam zu guten Arbeitsbedingungen in der Pflege beizutragen. Gefragt sind hier nicht nur der Staat und die Kostenträger, sondern auch die Träger als Arbeitgeber."

Viel zu wenige Auszubildende

Zwar gibt es bereits seit Jahren Werbekampagnen wie etwa die Aktion "Herzwerker", um Schulabgänger eine Pflegeausbildung schmackhaft zu machen. Die Erfolge solcher Aktionen sind aber überschaubar. Aufs Jahr gesehen müssten rechnerisch und vereinfacht dargestellt etwa 6700 Menschen in Zukunft eine Pflegeausbildung beginnen, um zu verhindern, dass sich die Lage etwa in den Heimen deutlich verschlechtert. Doch von diesem Ziel ist die Branche weit entfernt. "Diesem Ausbildungsbedarf steht in den vergangenen Jahren eine mittlere Anfängeranzahl von fast 2400 gegenüber", heißt es in einer Studie des Instituts für Gerontologie der Technischen Universität Dortmund, das im Auftrag des Ministeriums Bedarf und Angebot an Ausbildungsplätzen analysiert hat und die der SZ vorliegt.

Vor einem Jahr hatten die Wissenschaftler begonnen, Zahlen unter anderem des Landesamtes für Statistik aufzubereiten, Prognosen zu erstellen und Daten bei Pflegeeinrichtungen abzufragen. Die Anzahl der pflegebedürftigen Menschen in Bayern dürfte den Berechnungen zufolge von etwa 200 000 im Jahr 2013 auf bis zu 250 000 im Jahr 2021 steigen. 47 000 staatlich anerkannte Altenpflegekräfte würden dann benötigt, aktuell sind in Bayern knapp 32 000 beschäftigt. Schon heute, dies ergab die Umfrage, würde jede dritte Einrichtung über "häufigen" beziehungsweise "permanenten" Personalmangel klagen. In Oberbayern sei der Personalmangel am stärksten zu spüren.

Stellen werden als unattraktiv wahrgenommen

Auffällig ist, dass trotz der Notlage viele Ausbildungsplätze unbesetzt bleiben. Ein Viertel der befragten Häuser und Pflegedienste gab an, freie Plätze nicht losgeworden zu sein, das Angebot an Ausbildungsmöglichkeiten würde bei weitem nicht ausgeschöpft. Als Ursache dafür machen die Autoren der Studie unter anderem das "Negativimage" der Pflegeberufe aus. Schlechte Bezahlung, hohe Arbeitsbelastung, kaum Aufstiegschancen - die Stellen würden als unattraktiv wahrgenommen. Aber selbst wenn alle Plätze vergeben werden könnten, würde dies noch nicht ausreichen, um den Mangel in den Griff zu bekommen. Ein Drittel der Pflege-Einrichtungen in Bayern gab an, keine Fachkräfte im staatlich anerkannten Altenpflegeberuf auszubilden. Das ist ihnen oftmals einfach zu teuer. Die Erwartung, dass Pflegekräfte aus dem Ausland die anspannte Situation lindern könnten, dürfte sich auch nicht erfüllen. "Einen wachsenden Zustrom an Pflegekräften aus dem Ausland gibt es nicht zu beobachten", heißt es in der Untersuchung.

Gesundheitsministerin Huml will Einrichtungsträger, Kostenträger, den Berufsverband für Pflegeberufe und die Gewerkschaft Verdi in einer Arbeitsgruppe zusammenbringen, um zu diskutieren, wie eine Ausbildungsumlage aussehen könnte, die hilft, den Mangel zu beseitigen. Wohlfahrtsverbände, die seit langem viel Geld investieren, um Pflegefachkräfte auszubilden, haben der Ministerin bereits kurz nach ihrem Amtsantritt klargemacht, dass sie sich von ihr eine Pflegeausbildungsumlage erwarten. Auch jetzt stellen sie klar: "Alles andere würde uns sehr enttäuschen."

In Nordrhein Westfalen gibt es die Pflegeausbildungsumlage längst - mit beachtlichem Erfolg. Bereits im ersten Jahr (2012) stieg die Anzahl der Auszubildenden um 2200 an. "Das ist auch der richtig Weg für Bayern", heißt es seitens der Wohlfahrtspflege. Auch die Opposition erhöhte am Dienstag im Landtag den Druck auf Huml, jetzt rasch zu handeln.

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SZ vom 05.11.2014/vewo
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