Personalabbau in der Pflege:Auf die brachiale Tour

Seniorenheim

Ist die Angebotsdichte an Altenheimen hoch - und das gilt insbesondere für die Region Mainfranken - so entscheidet zumeist auch der Preis über die Belegung mit alten Menschen. Das geschieht aber oft auf Kosten der Belegschaft.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Einschüchterungen und Entlassungen statt christlicher Nächstenliebe: Mit harter Hand saniert die Caritas im unterfränkischen Mellrichstadt zwei defizitäre Altenheime. Die Beschäftigten fürchten um die Versorgung der alten Menschen.

Von Dietrich Mittler

Auf der Werteliste des Caritas-Diözesanverbandes Würzburg steht ganz oben: "Wir wollen den Menschen in seiner Würde schützen." Doch davon spüren die Mitarbeiter des Franziska-Streitel-Altenheims und Seniorenheims St. Niklas in Mellrichstadt nach eigener Aussage derzeit nichts. Die neue Geschäftsführung, gestellt von der Caritas, saniere die in die wirtschaftliche Schieflage geratenen Häuser offenbar mit brachialer Härte: "Seit Januar 2013 wurden sofort Mitarbeiter entlassen. Andere bekommen Aufhebungsverträge, die so gestaltet sind, dass manche nicht einmal Arbeitslosengeld bekommen", heißt es in einem Schreiben an die Süddeutsche Zeitung.

Die beiden Altenheime gehören der kreiskommunalen Julius-Spital-Stiftung Mellrichstadt. "Wir haben seit 2011 versucht, die Häuser auf einen guten Weg zu bringen", sagt Bürgermeister Eberhard Streit, der, als die finanzielle Krise offensichtlich wurde, den Vorsitz der Stiftung übernommen hatte. Trotz aller Bemühungen habe sich aber wenig am Defizit von 200 000 Euro pro Jahr geändert.

"Wir haben uns jetzt die Caritas ins Boot geholt - in der Hoffnung, dass uns die Pflegeprofis helfen. Aus eigener Kraft haben wir das einfach nicht mehr geschafft", sagt Streit. Dabei habe er auch durchaus Verständnis für jene Mitarbeiter, die nun um ihre Stellen fürchten. "Aber man kann sich nicht leisten, zu viel Personal an Bord zu haben", sagt er - und das sei bislang der Fall.

Essen austeilen im Akkord

Beschäftigte in beiden Häusern stellen sich indes die Frage: "Wer soll pflegen, wenn Menschen entlassen werden?" Oder Verträge nicht verlängert werden. Einsparungen hätten auch einen negativen Einfluss auf Heimbewohner: Das Essen müsse im Akkord ausgeteilt werden, teilweise lasse sich die Pflege "nicht fachgerecht" ausüben. Für die alten Menschen bedeute das womöglich auch, dass sie gewindelt werden müssen, statt aufwendig zum Topf oder zur Toilette begleitet zu werden. "Die Schwestern geben hundert Prozent, aber nicht alle anfallenden Arbeiten können durch den extremen Zeitdruck durchgeführt werden", ließen Mitarbeiter wissen.

Zurückliegende Sparmaßnahmen, mit denen Überstunden abgebaut werden sollten, hatten in Mellrichstadt ein eher kontraproduktives Ergebnis: Der Krankenstand ging enorm in die Höhe, am Ende mussten gar Zeitarbeiter eingestellt werden. Durch die nun an Bord geholten Manager der Caritas Einrichtungen gGmbH sei das Binnenklima nicht besser geworden - im Gegenteil: Mitarbeiter würden eingeschüchtert, Aufhebungsverträge und Stundenreduzierungen gehörten zum Repertoire der neuen Führungskräfte. "Ist das christliche Nächstenliebe?", heißt es im Schreiben an die SZ.

Aus Sicht der Gewerkschaft Verdi ist diese Frage in einigen Fällen durchaus berechtigt - insbesondere, da sich Mitarbeiter in Aufhebungsverträgen verpflichten sollen, der "Stellennachfolge" ihre Tätigkeiten zu übergeben (heißt übersetzt, sie einzuweisen), bevor sie selbst "freigestellt" sind. "Ich als Gewerkschafter höre da eindeutig raus, dass die Caritas das alte, teuere Personal durch neues - sprich billiges - Personal ersetzen will", sagt Verdi-Fachbereichsleiter Dominik Schirmer.

Dem widerspricht Caritas-Manager Marco Warnhoff: "Das ist eine Standardklausel im Vertrag. Niemand wird hier neu eingestellt. Die Häuser sind mehr oder weniger zahlungsunfähig." Die Caritas helfe hier unentgeltlich, die Heime zu retten. Sein Kollege Georg Sperrle betonte indes, auch künftig werde im Pflegebereich jener Personalschlüssel eingehalten, der mit den Kostenträgern vereinbart worden sei. "Es ist definitiv nicht so, dass wir in den einzelnen Wohnbereichen zu wenig Personal vorhalten", sagte er. Betriebsbedingte Kündigungen habe es keine gegeben - wohl aber Kündigungen innerhalb der Probezeit.

Gnadenloser Wettbewerb der Altenheime

Nach Erkenntnissen der Gewerkschaft Verdi sind die beiden Häuser in Mellrichstadt kein Einzelfall. "Die Alten- und Pflegeeinrichtungen in der Region Mainfranken/Rhön stehen in einem gnadenlosen Wettbewerb", sagte Schirmer. Dort gibt es eine hohe Dichte von Häusern, die nicht tarifgebunden seien. Folglich werde der Kampf um die Heimbewohner oft "auf dem Rücken des Personals ausgetragen". Längst gerieten aber auch die Häuser großer Wohlfahrtsverbände in diesen Strudel.

Schwer wird die Sanierung angeschlagener Häuser dann, wenn ihr baulicher Zustand modernen Personalkonzepten im Wege steht, wie aus einer Verdi-Studie hervorgeht. Dies trifft offenbar auch auf Mellrichstadt zu. "Es kommt gewaltig darauf an, das Personal intelligent einzusetzen, sodass es sowohl den gesetzlichen Anforderungen als auch den heutigen Qualitätsstandards genügt", sagt Bürgermeister Streit.

Gemeinsam mit dem Stadtrat will er nun zu einer Antwort kommen, ob und wie die Stadt der Stiftung finanziell beistehen kann. Eine Sanierung gehe indes nie ohne Härten ab. "So ein Umbruch tut weh, aber Ziel des Ganzen muss sein, die Häuser zu erhalten", sagte Streit. Er sei dazu bereit "in jedem Fall Hilfestellung zu leisten". Ein bereits zugesagtes Gespräch mit Verdi wurde allerdings wieder abgesagt.

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