Auf den ersten Blick wirkt Corita Kent im Museum Penzberg – Sammlung Campendonk ein wenig fremd. Denn was haben die amerikanische Pop-Art-Künstlerin und das jüngste Mitglied des Blauen Reiters miteinander gemein? „Die Spiritualität“, sagt Museumsleiterin Annette Vogel und weist auf die Kentschen Christusdarstellungen hin, die ähnlich mystisch seien wie diejenigen von Heinrich Campendonk.
Es gibt noch eine weitere Verbindung: Kent (1918–1986), die lange Nonne war, schätzte die Kunst des Blauen Reiters, hatte sie sich doch während ihres Studiums eingehend damit beschäftigt und diese später als Quelle ihrer Inspiration bezeichnet. Daran dürfte ihr Professor nicht unschuldig gewesen sein: der Expressionismus-Experte Alois Schardt, kein unumstrittener Mann. Er war NSDAP-Mitglied und 1933 sogar kurzzeitig der kommissarische Leiter der Berliner Nationalgalerie. 1939 emigrierte er in die USA.
Wieder ermöglichten Annette Vogels gute Kontakte diese außergewöhnliche Ausstellung, die mit 60 Arbeiten eine hierzulande fast unbekannte, aber enorm vielseitige und experimentierfreudige Künstlerin präsentiert. Mit Kristina Lovaas, einer deutsch-amerikanischen Künstlerin und Kunsthistorikerin, hat Vogel auch eine Kuratorin gefunden, die Kents Kunst seit ihren Kindheitstagen kennt. Lovaas’ Großeltern sammelten schon im Kalifornien der Fünfzigerjahre deren Arbeiten.
Was für eine energiegeladene Frau! Fotos und Videos zeigen sie im Habit einer Nonne, strahlend, mitreißend, kraftvoll. Mit 18 Jahren tritt sie ins Kloster ein und bleibt als Sister Corita für die nächsten drei Jahrzehnte dem katholischen Orden Immaculate Heart of Mary in Los Angeles treu. Kunst studiert sie an der University of Southern California, erwirbt ihren Master in Kunstgeschichte mit Fokus auf mittelalterliche Kunst. Nach dem Studium beginnt sie mit Druckgrafik zu experimentieren, schätzt vor allem die Serigrafie als erschwingliche und demokratische Kunstform. Für sie ein probates Medium, um möglichst viele Menschen zu erreichen.
Religiösen Themen zugewandt erfindet sie zunächst das Andachtsbild neu. Reiht in der Serigrafie „passion“ die Leidenswerkzeuge Jesu auf, vereint in „immaculate heart“ zwei bekannte Motive. Zum einen die klassische Pieta mit der trauernden Mutter, die den toten Sohn umfängt, zum anderen das Bild der Madonna mit den sieben Schwertern, das sie nutzt, um eine Parallele zwischen der Kreuzigung Christi und der gequälten Seele Marias zu ziehen. Maria wird bei ihr zum Sinnbild des Mitgefühls, dargestellt in einer visuellen Sprache, in der das Mystische und das Populäre nebeneinander stehen.
1962 entdeckt Corita Kent Andy Warhols „Soup Cans“ in der Ferus Gallery in Los Angeles. Sie ist fasziniert. Bereits im Sommer produziert sie ihren ersten Pop-Druck, verwendet kräftige Farben und bekannte Symbole aus der Werbung oder den Massenmedien mit dem Ziel, spirituelle Erfahrungen zu demokratisieren. Es ist die Zeit des Zweiten Vatikanischen Konzils, die Volkssprache verdrängt das Latein aus der Liturgie. Kent sucht nach einer visuellen Sprache, um das Evangelium wirksam zu verkünden. Sie entwickelt textbasierte Arbeiten, zitiert aus der Bibel, aber auch aus Werken von Camus oder Rilke, spielt mit der Lesbarkeit von Buchstaben. Manches ist auch nicht lesbar.
Es ist auch die Zeit des Vietnamkriegs. Im Jahr 1967 waren 15000 Amerikaner im Kampf gefallen; bis zum Ende des Krieges sterben mehr als zwei Millionen Vietnamesen. Corita Kent reagiert mit „yellow submarine“, für die Kuratorin die „Quintessenz von Kents Pop-Art-Grafiken“, angefangen von der kräftigen Farbgebung bis hin zur Verwendung populärer Beatles-Symbolik und Songtexte.
Ein anderes Beispiel für ihr Engagement gegen den Krieg ist moonflowers (1969); eine Serigrafie, auf der die Mondoberfläche zu sehen ist, darunter sticht auf schrillem Gelb das Wort „manpower“ in einer militärischen Schriftart ins Auge und, auf grüner Farbfläche, der Titel von Pete Seegers Antikriegslied „Where Have All The Flowers Gone“. Gleich daneben blühen die „Manflowers“, die auf einem Zeitschriftenfoto eines verwundeten Soldaten aus dem Vietnamkrieg basieren.
Zu ihren Schülern gehörten John Cage sowie Charles und Ray Eames
Vermutlich war es wirklich so, wie es der amerikanische Schriftsteller George B. Leonard im Jahr 1966 beschrieb. „Lange bevor diese jungen Männer in New York die Pop Art erfanden, zeigte eine kleine Nonne in Los Angeles ihren Studenten am Immaculate Heart College, wie man das Neue und Schöne in populären Zeitschriften und Verpackungen aus dem Supermarkt entdeckt …“ Kent scheint eine inspirierende Lehrerin gewesen zu sein. In ihren Klassen saßen Avantgarde-Künstler wie der Komponist John Cage, der Architekt Buckminster Fuller oder die Designer Charles & Ray Eames.
1968 schied Kent aus dem Orden aus, ließ sich von ihren Gelübden entbinden und zog an die Ostküste, immer noch auf der Suche nach einer universellen Sprache. Davon erzählt die Serie „International Signal Code Alphabet“, die sich auf die internationalen maritimen Signalflaggen stützt, bei denen jede Flagge einen Buchstaben des Alphabets darstellt.
In ihren letzten sechs Lebensjahren konzentriert sie sich, an Krebs erkrankt, auf Aquarelle, verbindet Naturdarstellungen mit Abstraktion. Und kehrt zum mystischen Charakter ihrer frühen Werke zurück.
Corita Kent: Where Have All The Flowers Gone, bis 17.11., Museum Penzberg, Sammlung Campendonk