Architektur:Nürnberg diskutiert wieder über das Pellerhaus

Architektur: Die moderne Fassade haben die Nachkriegsarchitekten Fritz und Walter Mayer zu verantworten.

Die moderne Fassade haben die Nachkriegsarchitekten Fritz und Walter Mayer zu verantworten.

(Foto: prz)

Das Gebäude ist ein Denkmal der Nachkriegsarchitektur. Dennoch gibt es in schöner Regelmäßigkeit Vorstöße, die alte Prunkfassade wieder aufzubauen.

Von Olaf Przybilla, Nürnberg

Die Stadt Frankfurt ist in vielerlei Hinsicht mit Nürnberg vergleichbar, zumindest historisch. Dort, in Frankfurt, wurden die römisch-deutschen Könige gewählt. In Nürnberg wurde nach der Königswahl jeweils der erste Hoftag des Reiches abgehalten. Ob dieser Sonderstellung gingen beide Orte - mit die bedeutendsten freien Reichsstädte des Mittelalters und der Frühen Neuzeit - in die Goldene Bulle ein, eine Art Reichsgrundgesetz. Was beide Städte zudem gemeinsam haben: Ihre historischen Zentren wurden im Zweiten Weltkrieg zerbombt - und jeweils sehr diskussionsbedürftig wieder aufgebaut.

Was die beiden Städte neuerdings unterscheidet: In Frankfurt ebbt nach jahrelanger Kontroverse die zentrale Architekturdebatte der Stadt allmählich ab - in Nürnberg könnte sie noch gar nicht richtig begonnen haben. Der Diskurs um den Abriss des Technischen Rathauses hatte Frankfurt wie kaum ein anderer dominiert zuletzt. Doch seit im September das Areal mit dem kunstvoll paradoxen Namen "Neue Frankfurter Altstadt" eröffnet worden ist - mehrere Hunderttausend Menschen säumten das alt-neue Viertel -, ist diese Debatte merklich abgeflacht.

Denn was selbst erbitterte (und fraglos auf hohem Niveau argumentierende) Erzgegner der kulissenhaft anmutenden Wiederherstellung einer auf alt getrimmten Neustadt inzwischen einräumen: So ästhetisch, architekturhistorisch und geschichtsphilosophisch fragwürdig das Viertel sein mag, so belebt ist es auch. Wer behauptet, dort trieben sich nur am Kulissenbau interessierte Pseudohollywoodbewunderer herum, der war noch nie da. In Kneipen kann man dort ein ziemlich astreines Hessisch hören.

Scheint also der Scheitelpunkt der Frankfurter Debatte überwunden zu sein, so flammt in Nürnberg eine ähnliche Diskussion immer wieder auf. Verschwindet dann wieder für Monate, bis sie erneut losgetreten wird. Im Zentrum der Auseinandersetzung steht das Pellerhaus, das als wesentlicher Beitrag Nürnbergs zur Architekturgeschichte galt. Als Schlagwort fand sich das Haus in fast jeder Kunstgeschichte. In Auftrag gegeben hatte es Martin Peller, der sich vor 400 Jahren an die Spitze einer der führenden Handelsgesellschaften emporgearbeitet hatte, zeit seines Lebens aber darunter litt, dass ihn die feine Gesellschaft der Reichsstadt Nürnberg als Parvenü aus der Provinz abkanzelte. Der Wahl-Nürnberger Peller, Chef eines europaweit tätigen Leinen-Imperiums mit monopolartigen Zügen, schlug zurück: mit dem Auftrag für eine Prunkfassade, wie sie das Reich zuvor kaum je gesehen hatte.

Im Bombenhagel 1944 und 1945 blieb wenig übrig davon, stattdessen sorgten die Nachkriegsarchitekten Fritz und Walter Mayer dafür, dass das Haus abermals Eingang in die Architekturgeschichten fand. Der Aufbau eines neuen Nürnbergs gelang nicht überall, auch die Fassade der Mayers muss nicht jeder mögen. Auf alle Fälle aber darf sie als ebenso markanter wie eigenständiger Wurf gelten. Unter Denkmalschutz steht sie ohnehin. Und das macht die Nürnberger Diskussion noch deutlich komplexer als jene in Frankfurt. Während dem abgerissenen Technischen Rathaus am Main selbst Freunde des Brutalismus keine Gedenkstunde einräumen dürften, würde sich Nürnberg mit dem Abriss des Mayer'schen Pellerhauses mit hoher Wahrscheinlichkeit zum nationalen Gespött machen, zum Lieblingsdeppen von Architekturtheoretikern, Geschichtswissenschaftlern, Kunsthistorikern, Feuilletonisten.

Will man das? Wenn sich die Altstadtfreunde - einer der einflussreichsten und fraglos verdienstvollsten Vereine der Stadt - und Teile der CSU von Zeit zu Zeit aufschwingen, das auf die Tagesordnung setzen zu wollen, dauert es stets ein paar Wochen, bis das Mehrheits-Nürnberg entgegnet: Sich mit viel Geld, und sei es wohltätig eingesammelt, der Spottlust ganzer Fakultäten auszusetzen - ist das wirklich eine so gute Idee? Zumal man die Augen nicht allzu weit aufmachen muss, um zu sehen, dass das Pellerhaus in seiner jetzigen Form gewiss nicht das ästhetische Hauptproblem in der Altstadt von Nürnberg ist.

Entmutigen lassen sich die Altstadtfreunde dadurch nicht. Der Innenhof hinter der Fassade - das Hinterhaus sozusagen - haben sie bereits mit viel Aufwand in den alten Zustand zurückversetzt. Wer sich das ansieht, wird kaum anders können, als angetan zu sein. Das Problem (vor allem der Altstadtfreunde) ist: Das Hinterhaus sieht man so selten. Also hat Altstadtfreunde-Chef Karl-Heinz Enderle kürzlich vorgeschlagen, einen Großdruck mit der Abbildung der ursprünglichen Renaissancefront vors Gebäude hängen zu dürfen. Als das nicht verfing, packte er noch drauf, die Altstadtfreunde würden - sollte die Stadt dem Verein das Haus überlassen - sowohl die Innensanierung als auch die Rekonstruktion der Fassade übernehmen.

Die Reaktion des politischen Nürnbergs fällt sehr reserviert aus, erledigt ist das Thema aber keineswegs. Zu Hilfe ist Enderle nun ein Mann gesprungen, der so gar nicht im Ruf steht, Dümmlichkeiten zu verbreiten. Der Kolumnist und Ironiker Klaus Schamberger war mitverantwortlich dafür, dass Nürnbergs Abendzeitung - bis zu ihrem Ableben - das vergnüglichste Blatt in Franken war. Heute schreibt er Glossen für die Nürnberger Zeitung. Dort stand jetzt zu lesen, die Altstadtfreunde müssten sich - ginge es etwa nach dem städtischen Baureferenten - hinter die Ohren schreiben: "Wir mit unserem Hang zu einem renaissancenen Pellerhaus sind Depperla, Doldi und Fantasten."

Das genauso wie die Baureferenten nach 1945 ("Gnall- und Volldeppen"), die auf die seltsame Idee gekommen seien, Kaiserburg, Lorenzkirche und Henkersteg wiederaufzubauen. Niemand wisse warum, kämen all die Amis und Japaner heute doch ausschließlich, um Hochhäusern in Langwasser, Dauerstau am Frankenschnellweg und diversen Gewerbegebieten die Ehre zu erweisen - und als Höhepunkt "den sieben Tonnengewölbchen am Egidienberg". Dem Mayer'schen Pellerhaus also. Gut möglich, dass die Nürnberger Debatte jetzt von Neuem beginnt.

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